Commitment sichert Qualität
Der Fachkräftemangel ist unumstritten in der sozialen Arbeit angekommen und stellt Organisationen vor Herausforderungen. Dies erfordert eine Neuausrichtung interner Personalbindungsstrategien. Damit rückt der Stellenwert des organisatorischen Commitments in den Mittelpunkt. Commitment wird als Verbundenheit, Verpflichtung, Identifikation und Loyalität gegenüber der Organisation übersetzt.1
Um Bindungsdeterminanten empirisch zu analysieren, wurden fünf Mitarbeitende der Caritas-Erziehungshilfe befragt: ein:e Sozialpädagog:in der Ü50er-Generation, zwei Pädagog:innen der U35er-Generation, ein:e Sozialpädagog:in, die die Caritas auf eigenen Wunsch verlassen hat, sowie eine Leitungskraft.2
Doch zunächst stellt sich die Frage, welchen Nutzen ein stabiles Commitment für welche Akteure mit sich bringt. Auf Ebene der Organisation korreliert Commitment positiv mit Arbeitsleistung, -zufriedenheit und -motivation sowie mit erhöhter Loyalität.3 Für Mitarbeitende kann Commitment das Bedürfnisnach Zugehörigkeit befriedigen und als Ressource bei Stress fungieren.⁴ Auch die Ebene der Kinder- und Jugendhilfe (KJH) profitiert. Langfristig Gebundene signalisieren eher Vertrauen und Stabilität gegenüber der Klientel. Gerade in der Beziehungsarbeit ist ein stabiles Arbeitsbündnis für den Erfolg entscheidend. Wesentliche Grundpfeiler, wie die Erhöhung der Selbstwirksamkeit zur eigenständigen Problembewältigung, sind nur einige Aspekte, die positiv beeinflusst werden. Somit wirkt Commitment als Erfolgsfaktor auf mehreren Systemebenen.
Was Mitarbeitende brauchen
Welche Aspekte sind Mitarbeitenden besonders wichtig, um sich langfristig zu binden? Welchen Einfluss haben Führungsstil, Team und der Ruf der Organisation? Diese und weitere Fragen wurden anhand leitfadengestützter Interviews erfragt, um commitmentrelevante Faktoren zu erheben. Die Ergebnisse bestätigen die Komplexität des Commitments. Dennoch zeigen sich ausschlaggebende Determinanten:
◆ monetäre Aspekte, zum Beispiel Gehalt, Zulagen, Betriebsrente;
◆ subjektiv gut empfundenes Arbeitsklima;
◆ Partizipationsmöglichkeiten, zum Beispiel bei internen Entscheidungen;
◆ hohe Kongruenz der Wert- und Zielvorstellungen zwischen Organisations- und Mitarbeitendenseite;
◆ Weiterentwicklungsmöglichkeiten, zum Beispiel Fort- und Weiterbildungen;
◆ gelebte Führungsphilosophie.
Insbesondere die Aspekte "Weiterentwicklung" und "gelebte Führungsphilosophie" sind maßgebende Schlüsselkategorien. Doch was verstehen Mitarbeitende unter Weiterentwicklung und wie sieht eine "gute" Führung aus? Betrachtet man die Ergebnisse differenzierter, wird deutlich, dass Weiterentwicklung auf vielfältige Art interpretierbar ist. Dies betrifft sowohl die organisationale Ebene beziehungsweise damit einhergehend die des Sektors der Kinder- und Jugendhilfe als auch die personenbezogene Ebene. Commitment wirkt somit umfassend: Mitarbeitende profitieren von Aspekten der Selbstverwirklichung, Organisationen von verbesserter Innovationsfähigkeit, guter Reputation, weniger Fluktuation und höherer Auftragslage. Daraus resultieren Vorteile für die Ebene der Kinder- und Jugendhilfe. Kontinuität im Arbeitsbündnis steigert die Befähigungspotenziale der Kinder und Jugendlichen, die individuelle Problemlage zu verbessern, und wirkt Beziehungsabbrüchen entgegen. "Also, wenn wir wirklich bei der Klientel anfangen, dann halte ich das für so wichtig, dass sie nicht mit weiteren Abbrüchen konfrontiert werden, sondern […] stabile Ansprechpartner haben und nicht alle drei Monate neue Visitenkarten in die Hand gedrückt bekommen."⁵
Weiterentwicklung wird auch im Kontext von Karriere gewünscht. Mitarbeitende erwarten, dass der Arbeitgeber vielfältige Weiterentwicklungsmöglichkeiten mobilisiert und somit flexibel reagiert. Werden ausschlaggebende Bedürfnisse nicht befriedigt, hat dies Auswirkungen auf die Fluktuation. So sind Kündigungsgründe "fehlende Wertschätzung", "unterschiedliche Auffassungen der Ziele", "... wenn ich nicht die Möglichkeit bekomme, mich weiterzuentwickeln ...".⁶
Von Führung werden Wertschätzung und Interesse erwartet
Somit sind Führungskräfte herausgefordert, individuelle Bedarfe der Mitarbeitenden und zugleich die Bedarfe der Organisation sowie die der Zielgruppe zu berücksichtigen. Im Bereich Führung wird eine Führungsbeziehung erwartet, die durch Kommunikation auf Augenhöhe, Respekt, Wertschätzung und authentischem Interesse gekennzeichnet ist. Dies impliziert, dass Leitungskräfte auf persönliche Belange Rücksicht nehmen. Ebenso wird Feedback gewünscht, in dem konstruktive Kritik geäußert wird. Führungskräfte sind folglich herausgefordert, eine wertschätzende Grundhaltung zu etablieren, im Sinne einer positiven Fehlerkultur. Dies spricht für eine transformationale Führungsart.
Die Ergebnisse zeigen, dass jede:r Mitarbeitende individuelle Bedürfnisse zeigt, die im Zusammenspiel mit arbeits- und organisationsbezogenen Faktoren in Einstellung und Verhalten sichtbar werden. Diese Bindungsdeterminanten sind der Wissenschaft nicht unbekannt, dennoch lässt sich kein Erfolgsrezept ableiten. Die Herausforderung liegt darin, eine organisationsspezifische Strategie zu implementieren.
Handlungsmöglichkeiten für Organisationen
Ein Standardrezept scheint es nicht zu geben, jedoch konkrete Ansatzpunkte, um relevante Faktoren zu beeinflussen. Außer Zweifel steht: Commitment ist komplex, und bindungsbeeinflussende Determinanten sind vielfältig. Somit sind Führungskräfte angehalten, das Commitment strategisch anzugehen. Zunächst ist es wichtig, einen Rahmen zu schaffen, in dem sie bedarfsgerecht handeln können. Commitment ist kein "Nebenbei-Thema", es sollte proaktiv und strategisch angegangen, im Alltag verankert und stetig reflektiert werden.
Es braucht gezielte Mechanismen zur Steuerung
◆ Ein erster Schritt ist eine organisationsinterne Analyse der Möglichkeiten für Commitment-Strategien.
◆ Im Folgeschritt werden die Umsetzungsmöglichkeiten systematisch geplant. Mit der Lupe Commitment werden sämtliche Organisationsbereiche fokussiert. Welche der vorhandenen Instrumente können genutzt, welche neu implementiert werden? Ist die Wertekongruenz einheitlich innerhalb der Organisationsbereiche? Wie lassen sich Ressourcen für Führungskräfte erweitern? Wie lassen sich Instrumente der Arbeitsstrukturierung passend nutzen? Karrierepfade sowie materielle/immaterielle Anreize sind zu überdenken.
◆ Zudem werden alle Maßnahmen stetig reflektiert. Dazu bedarf es eines professionellen Reflexionsrahmens. Kommunikationskanäle, wiederkehrende Zeiten zur gezielten Reflexion erscheinen unabdingbar. Betrachtet werden zum Beispiel Erhebungen der Mitarbeitendenbedürfnisse sowie kovariierende Faktoren wie Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmotivation. Ebenso eine Analyse der Veränderungen im Außen erscheint relevant. Soziale, politische als auch rechtliche Entwicklungen werden beobachtet und im Hinblick auf deren Konsequenzen überdacht. Ferner ist ein wichtiger Parameter, Fluktuationen in der Mitarbeiterschaftzu reflektieren. Eine prozessuale Ursachenerhebung erscheint wichtig, um relevante Faktoren zu ermitteln und Fluktuation mittels Austrittsinterviews proaktiv zu verhindern. Ein kontinuierlicher, systemisch verankerter Austausch ist somit unabdingbar. Doch was heißt "kontinuierlich"? Auch
hier gilt es organisationspezifisch zu überdenken, was realisierbar erscheint.
Fazit: Raum für Reflexion schafft
Commitment
In den Organisationsstrukturen implementierte Reflexionszeiten tragen zur commitmentfördernden Sensibilisierung im Alltag bei und unterstützen das Commitment der Mitarbeitenden erheblich. Es geht darum, das Thema im Alltag präsent zu haben. Erst dann scheint es zu gelingen, im komplexen und dynamischen Alltag commitmentrelevante Faktoren wahrzunehmen, um sie passgenau zu steuern. Ein Dilemma - denn hierin liegt die Herausforderung. Bedürfnisse sowohl der Mitarbeitenden als auch die der Klientel sind nicht starr, einmal erhoben und langfristig festgeschrieben, sondern wandeln sich im Laufe der Zeit. Ebenso befindet sich die Organisation in Veränderungsprozessen und muss sich komplexen Herausforderungen immer wieder neu stellen. Führungskräfte sind somit herausgefordert, das Commitment umfassend sowie kontinuierlich zu fokussieren. Ein professionelles Management setzt hier an, erfasst die Passgenauigkeit und berücksichtigt zugleich die Bedürfnisse unterschiedlichster Akteure. Erst wenn dies gelingt, können sich die
förderlichen Effekte entfalten, und zwar auf allen drei Systemebenen. Um Erfolg zu erzielen, bedarf es einer fundierten Gesamtstrategie aus allgemeinen und subjektspezifischen Maßnahmen. So können Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe, der Profession der sozialen Arbeit, einen besonderen Beitrag beisteuern, denn ein erfolgreiches Commitmentmanagement trägt zur Qualitätssicherung im Hinblick auf eine wirkungsvolle Arbeit bei - sofern die aus einer langfristigen Verbundenheit resultierenden positiven Synergieeffekte verantwortungsbewusst zugunsten der Organisation, Mitarbeitenden sowie Klientel genutzt werden.
Anmerkungen
1. Felfe, J.: Mitarbeiterbindung. Göttingen: Hogrefe Verlag, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, 2020, S. 26.
2. Der Artikel beruht auf einer Masterarbeit: Ramaj, A.: Mitarbeiter*innenbindung in der Kinder- und Jugendhilfe. Theoretische Grundlagen, empirische Untersuchung und praktische Handlungsempfehlungen. Veröffentlicht am 20. September 2021 in socialnet Materialien. www.socialnet.de/materialien/29346.php; aus Datenschutzgründen wird Geschlecht der befragten Personen nicht genannt.
3. Van Dick, R.: Identifikation und Commitment fördern. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. In: Praxis der Personalpsychologie. Human Resource Management kompakt. Band 5. Göttingen: Hogrefe Verlag, 2017, S. 14 ff.
4. Felfe, a. a. O., S. 14 f.
5. Ramaj, a. a. O., 2021, S. 140.
6. Ramaj, a. a. O., 2021, S. 118 ff.
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