Ein Arbeitsplatz, der Sinn macht
Seit langem beschäftigen sich die Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe mit der drohenden Fachkräftekrise. Im Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe (BVkE) besteht der Fachausschuss Personal seit über 20 Jahren. In verschiedenen Kampagnen macht der Ausschuss auf sein Arbeitsfeld aufmerksam, beschäftigt sich mit den Generationen Y und Z - dem Fachkräftenachwuchs - und tauscht sich über Strategien der Personalgewinnung sowie der Personalbindung aus. Aktuell wird eine neue Kampagne für Ende des Jahres über die Social-Media-Kanäle Instagram und Facebook vorbereitet.
Die Ansprüche an die Mitarbeiter:innen sind sicher auch in der stationären Kinder- und Jugendhilfe gestiegen. Die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe beschäftigen sich natürlich mit der Frage, wie die als vermeintliches Manko erlebte Schichtdienstarbeit sowie die Arbeit an Wochenenden und Feiertagen als Wettbewerbsnachteil kompensiert werden können.
In den Bewerbungsgesprächen sind interessierte Mitarbeiter:innen auf der Suche nach einer sinnstiftenden Arbeit mit Menschen. Dafür haben sie ihr Studium der Sozialen Arbeit oder die Ausbildung zum:zur Erzieher:in gewählt. Darüber hinaus fragen sie nach Weiterbildungsmöglichkeiten und sogenannten Add-ons (zum Beispiel Fortbildung, Zeitwertkonten, Dienstrad). An diesem Punkt kann die stationäre Kinder- und Jugendhilfe sehr viel bieten: Der Sinn des Berufes liegt darin, den oft traumatisierten Kindern und Jugendlichen Schutz zu bieten, sie so anzunehmen, wie sie sind, sie zu stabilisieren, Lebenswege zu begleiten sowie Perspektiven mit ihnen und ihren Eltern zu entwickeln.
Einarbeitung, Partizipation und Teamwork sind wichtig
Die Arbeitgeber:innen kommen mit den Bewerber:innen ins Gespräch über Motivation, eigene Prioritäten in der Lebensführung, Talente sowie über die komplexen Anforderungen im Arbeitsfeld. Dabei stellt sich oft heraus, dass das an der Fachhochschule erlernte theoretische Wissen sehr allgemein ist und dass für die Kinder- und Jugendhilfe eine besondere Einarbeitung notwendig ist und auch gefordert wird. Hier ist es wichtig, ein gutes Konzept zu haben: eine:n Mitarbeiter:in, der:die im Team für die Anleitung neuer Mitarbeitenden zuständig ist. Außerdem sollte die Kinder- und Jugendhilfe das, was sie sich in der Arbeit mit ihrer jungen Klientel auf die Fahne schreibt, auch bei ihren Mitarbeiter:innen umsetzen: Partizipation, Selbstwirksamkeit, Einbringen eigener Interessen und Fähigkeiten, wertschätzende, eindeutige und authentische Kommunikation.
Wesentlicher Aspekt in der stationären Kinder- und Jugendhilfe ist eine gute Teamarbeit. Im Bewerbungsprozess die Kolleg:innen des Teams rechtzeitig kennenzulernen ist sehr hilfreich und zeigt auch die Beteiligungsmöglichkeit des Teams bei der Personalauswahl auf. Darüber hinaus sind es Fragen wie "Wie ist mein Spielraum in der Organisation und im Team?", die bei der Bewerbung eine große Rolle spielen. Im Sinne der Partizipation kann die Kinder- und Jugendhilfe immer wieder damit punkten, dass sie Möglichkeiten der Mitbestimmung in Entscheidungsprozessen bei den pädagogischen Fachkräften aufzeigen kann. Die Verantwortung im Einzelfall, die Mitgestaltung im Hilfeplan, die Mitwirkung beim Dienstplan sowie auch in der gesamten Organisation sind Beispiele dafür.
Die Dienstplangestaltung spielt dabei eine herausgehobene Rolle. Gibt es die Möglichkeit, eigene Wünsche in die Planung einfließen zu lassen? In jeder Einrichtung werden sicher vor der Dienstplanung Wünsche abgefragt, und soweit es geht, werden die Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigt.
Die Attraktivität des Arbeitsfeldes zeichnet sich auch dadurch aus, dass die Mitarbeiter:innen eigene Fähigkeiten und Interessen einbringen können. Wer kann schon während der Arbeitszeit zum Beispiel klettern gehen oder auch naturnahe Erlebnisse genießen? Zugegeben: mit Kindern und Jugendlichen, die es nicht immer leicht hatten und es einem manchmal nicht leicht machen. Die aber gerade in solchen gemeinsamen Aktionen über sich hinauswachsen, wobei an dieser Stelle eine Win-win-Situation entsteht. Die Interessen sind so vielfältig, wie es Mitarbeitende und Kinder und Jugendliche gibt. Musik, Zirkus, Fitness, Kreativität in jeder Form oder auch nachhaltige Garten- und Naturgestaltung sind Felder, die angeboten und auch von den einzelnen Mitarbeitenden angenommen werden.
Fortbildung und flexible Arbeitszeitmodelle
Erwartet wird von den Mitarbeiter:innen eine wertschätzende und authentische Kommunikation mit den Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern. So wie die Mitarbeiter:innen mit ihnen Ziele formulieren, Handlungsmöglichkeiten entwickeln und durch Beharrlichkeit neue Lernerfahrungen bewirken, so ist auch die Organisation gefordert, dies den Mitarbeitenden zu ermöglichen: Teamsitzungen, Supervision, Konferenzen, Fortbildungsangebote und übergreifende Austauschmöglichkeiten gehören selbstverständlich dazu.
In der stationären Kinder- und Jugendhilfe hat sich im Laufe der Jahre eine große Arbeitszeitflexibilität entwickelt, die Teilzeitarbeit ermöglicht und familienfreundlich gestaltet werden kann. Über verschiedene Arbeitszeitmodelle und Ansparzeiten auf Zeitwertkonten können Mitarbeiter:innen eigene Sabbat- oder Ruhezeiten erarbeiten. Darüber hinaus ist die attraktive Bezahlung, auch wenn der BVkE noch weitergehende Forderungen hat1, in der stationären Kinder- und Jugendhilfe sicher auch ein Punkt, der nicht zu vernachlässigen ist.
Gesellschaftliche Megatrends (wie Digitalisierung oder Klimaschutz) können von den Mitarbeiter:innen in der stationären Kinder und Jugendhilfe mitgestaltet und Bestandteil ihrer Arbeit werden. Dafür schaffen die Führungskräfte Rahmenbedingungen für Spielräume.
Zudem ist die Mitarbeiterpflege ein großes Feld, das sehr unterschiedlich gefüllt wird: Teamtage, Mitarbeiterfeste, Weihnachtsfeiern bis hin zu spirituellen Angeboten sind Bestandteil der Jahresplanung. Regelmäßige Mitarbeitergespräche gehören zum Standard. Eine Identifikation mit der jeweiligen Einrichtung gelingt umso besser, je angenehmer das Arbeitsklima ist.
Einrichtungen lernen ständig dazu
Die beschriebenen guten Arbeitsbedingungen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe sind immer in Bewegung. Die Einrichtungen begreifen sich als lernende Organisationen. Insofern werden die Bedingungen immer wieder auf den Prüfstand gestellt und unter Beteiligung der Mitarbeiter:innen weiterentwickelt. Sicher sind das hohe Ansprüche, denen sich die einzelnen Einrichtungen verpflichtet fühlen. Im Alltag ist dann die Umsetzung zu prüfen und sind Grenzen zu erkennen.
Die Einrichtungen fordern zu Recht, dass für Akquise, Anleitung und Qualifizierung ausreichende Ressourcen im Entgeltsatz Berücksichtigung finden. Diesen Forderungen wird aber bisher von Kostenträgerseite zu wenig Rechnung getragen. Insofern ist auch an dieser Stelle ein starker Verband, hier der BVkE oder eine diözesane Arbeitsgemeinschaft, von großem Wert, Forderungen zu bündeln und Lobbyarbeit zu leisten.
Es wird nie langweilig ...
Abschließend möchte ich noch persönlich zur Attraktivität der Arbeit etwas anfügen. Eines habe ich in meiner langen Berufserfahrung gelernt: Es wird nie langweilig in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Die Facetten von Menschen sind unglaublich vielfältig. Die Arbeit lohnt sich für die Kinder und Jugendlichen und deren Eltern; Wirksamkeitsstudien zum Beispiel des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe Mainz, IKJ, belegen das.2 Ich glaube, nicht nur die Kinder und Jugendlichen, sondern auch die Mitarbeitenden und natürlich auch ich lernen manchmal von den Kindern und Jugendlichen sehr viel für das eigene Leben. Erziehung ist immer ein wechselseitiger Prozess. Dazu gehören Erfolgsgeschichten, aber auch Krisen und Durststrecken, die es gemeinsam von Kindern, Jugendlichen, Mitarbeiter:innen und Organisation auszuhalten gilt. In diesem Sinne heißen wir die neuen Fachkräfte willkommen. Mögen sie ein Teil des Teams werden, das Lebenswege begleitet und für Kinder und Jugendliche Perspektiven eröffnet sowie das eigene Leben bereichert.
Anmerkungen
1. BVkE: Stellungnahme Fachkräfte in den Hilfen zur Erziehung. Mai 2021. Kurzlink: https://bit.ly/3MSNZJW
2. Macscenare, M.; Esser, K.: Was wirkt in der Erziehungshilfe? Wirkfaktoren in Heimerziehung und anderen Hilfearten. München: Reinhardt, 2015.
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