14 Jahre legale Live-in-Betreuung in Österreich
Die 24-Stunden-Betreuung hat sich in den letzten Jahren - neben der Betreuung durch Angehörige, den mobilen und stationären Diensten und der Kurzzeitpflege - zu einer wichtigen Säule im Pflege- und Betreuungssystem in Österreich entwickelt. Die langjährige Praxiserfahrung zeigt, dass es in diesem Bereich weiterhin eine Reihe von Herausforderungen, Defiziten und Problemfeldern gibt.
Österreich hat 2007 mit dem Hausbetreuungsgesetz (HBeG) und der Änderung der Gewerbeordnung die rechtlichen Grundlagen für die Personenbetreuung geschaffen. Das HBeG sieht vor, dass die Betreuung auf selbstständiger oder abhängig beschäftigter Basis erfolgen kann. De facto hat sich aufgrund der geringeren Kosten und höheren (Arbeitszeit-)Flexibilität das Selbstständigen-Modell (mit Gewerbeschein Personenbetreuung) durchgesetzt. Nur etwa ein Prozent der Personenbetreuer:innen ist abhängig beschäftigt.
Seit 2008 ist die Anzahl der osteuropäischen Personenbetreuer:innen stetig gewachsen. Seit etwa zwei Jahren ist ein leichter Rückgang zu beobachten. Waren Ende 2019 in der Wirtschaftskammer Österreich noch circa 62.000 aktiv selbstständige Personenbetreuer:innen gemeldet, so waren es Ende 2021 nur rund 60.000.1
Staatliche Förderung als Anreiz
Für beide Modelle gibt es bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine finanzielle Förderung. Die betreute Person erhält 550 Euro pro Monat, wenn die Betreuung durch zwei selbstständige Betreuungskräfte erfolgt. 1110 Euro erhält sie pro Monat, wenn die Betreuung durch zwei abhängig Beschäftigte erfolgt. Die staatliche Förderung der 24-Stunden-Betreuung hat sich damit als ein wichtiger Anreiz für die Legalisierung erwiesen.
Laut dem österreichischen Pflegevorsorgebericht des Sozialministeriums2 bezogen im Jahr 2020 gut 24.000 Personen eine Förderung im Bereich der 24-Stunden Betreuung. Damit erhalten rund fünf Prozent aller Pflegegeldbezieher:innen in Österreich diese staatliche Unterstützung.
Rund 900 Agenturen vermitteln Pflegekräfte
In Österreich hat sich - ähnlich wie in Deutschland - ein großer Markt an inländischen und ausländischen Vermittlungsagenturen entwickelt. Ein wichtiger Schritt war 2015 die Neuregelung der Gewerbe von Personenbetreuer:innen und Vermittlungsagenturen. Wesentliche Aufklärungspflichten sowie auch die Bedarfserhebung vor Betreuungsstart wurden hiermit den Vermittlungsagenturen überantwortet.3
Aktuell verfügen rund 900 Agenturen über eine Gewerbeberechtigung zur Organisation von Personenbetreuung.4 Teilweise unsaubere Geschäftspraktiken, intransparente Verträge, überhöhte Beiträge der Betreuungskräfte oder schwierige Arbeitsbedingungen finden dennoch regelmäßig Eingang in die mediale Berichterstattung.
Häufigstes Herkunftsland: Rumänien
Die in Österreich tätigen Personenbetreuer:innen kommen aus verschiedenen osteuropäischen Herkunftsländern. Die Turnuszeiten der Betreuungskräfte variieren je nach Nationalität zwischen zwei und vier Wochen. Während 2008 fast 80 Prozent aus der Slowakei und nur knapp sieben Prozent aus Rumänien kamen, haben sich die Anteile in den letzten Jahren deutlich in Richtung Rumänien verschoben (aktuell fast 50 Prozent). Die Zahl der Personenbetreuer:innen aus der Slowakei ist seit Jahren aus verschiedenen Gründen rückläufig. Weitere Herkunftsländer sind: Kroatien: 7,5 Prozent, Ungarn: 6,8 Prozent, Bulgarien: 2,9 Prozent; aus Österreich kommt mit 1,7 Prozent ein verschwindend geringer Anteil.5
"Caritas Rundum Zuhause betreut"
"Caritas Rundum Zuhause betreut" wurde 2007 als eigener Verein gegründet. Aktuell arbeiten sechs Caritas-Diözesen (Wien, St. Pölten, Linz, Salzburg, Steiermark und Burgenland) zusammen. Die fachliche Qualitätssicherung und Begleitung durch diplomierte Pflegekräfte ist, neben der Vermittlung von osteuropäischen Betreuungskräften an die Kund:innen, ein integraler Bestandteil des Angebots. So verfügen vermittelte Betreuungskräfte zumindest über eine heimhilfeähnliche Ausbildung. Diese beinhaltet mindestens 200 Kursstunden und wird zumeist in den Herkunftsländern absolviert.
Muttersprachliche Kontaktpersonen stehen den Personenbetreuer:innen für Fragen rund um die Betreuung und administrative Belange zur Seite. Die Kooperationen mit osteuropäischen Caritas-Organisationen, zum Beispiel in Rumänien oder Bulgarien, haben sich als wichtige Kontaktstellen für die Aufnahme, Begleitung und auch die Weiterentwicklung der Kompetenzen der Betreuungskräfte etabliert.
In Hinblick auf die Weiterentwicklung der fachlichen Kompetenzen der Betreuungskräfte wird seit Jahren seitens des Caritas-Vereins Handlungsbedarf gesehen. Seit 2014 hat der österreichische Caritas-Verein, in Kooperation mit osteuropäischen Caritas-Organisationen in der Slowakei, Rumänien und Bulgarien, ein Weiterbildungsprogramm (Train to Care7) entwickelt für selbstständige Personenbetreuer:innen, die in der Live-in-Betreuung in Österreich arbeiten, aber auch für die eigenen Pflegekräfte. Im Rahmen des Programms werden Kurse zu verschiedenen betreuungsrelevanten Themen wie zum Beispiel Demenz, Ernährung im Alter oder Kinaesthetics angeboten. Diese Kurse finden in der Sprache des Herkunftslandes statt und werden seit 2019 auch online angeboten. Mit circa 150 Kursen mit 1800 Teilnahmen hat das Programm sehr positives Feedback erhalten. Wichtig sind auch muttersprachliche Broschüren für die osteuropäischen Betreuungskräfte. In den letzten Jahren wurden zwei Broschüren ("Menschen mit Demenz betreuen"; "Tipps zur Aktivierung von Menschen mit Demenz"8) erarbeitet und in mehrere osteuropäische Sprachen wie Rumänisch, Ungarisch, Slowakisch übersetzt. Diese Broschüren werden auch von den osteuropäischen Caritas-Organisationen verwendet.
Strukturelle und systemische Verbesserungen gefordert
Die Live-in-Betreuung in Österreich steht seit Jahren immer wieder in der Kritik. Kritikpunkte betreffen die Rechtmäßigkeit des Selbstständigenstatus der Betreuungskräfte, die fehlende arbeitnehmerrechtliche Absicherung, mangelnde Mindeststandards sowie Fragen einer möglichen Finanzierbarkeit eines alternativen Arbeitnehmer:innenmodells. Trotz öffentlicher Förderungen bringt die Inanspruchnahme einer 24-Stunden-Betreuung viele an ihre finanziellen Grenzen. Die Wohlfahrtsträger in Österreich fordern daher seit Jahren eine Erhöhung der staatlichen Förderungen.
Der Caritasverein setzt sich seit Jahren für verbindliche Qualitätskriterien und Verbesserung der Qualität der Betreuung und der Arbeitsbedingungen der Personenbetreuer:innen ein. In Ermangelung eines nationalen Qualitätssiegels für Agenturen haben sich im Jahre 2015 die österreichischen Wohlfahrtsträger Caritas, Hilfswerk und Volkshilfe auf ein gemeinsames Qualitätslabel "Sicher. Kompetent. Fair"9, im Sinne einer Selbstverpflichtung, geeinigt.
In den vergangenen Jahren gab es Bemühungen, ein nationales Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen zu erarbeiten. Seit 2019 gibt es das österreichische Qualitätszertifikat ÖQZ-24,10 dessen Richtlinien vom Sozialministerium gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Österreich und den Wohlfahrtsträgern entwickelt wurden. Die Zertifizierung erfolgt bis dato allerdings lediglich auf freiwilliger Basis. Bis Februar 2022 haben nur 38 von 972 Vermittlungsagenturen dieses Qualitätszertifikat erlangt. Seitens der Caritas wird weiterhin eine verbindliche und flächendeckende Umsetzung gefordert.
Immer wieder stehen die Qualität der Betreuung und die Kompetenzen der Betreuungskräfte im Fokus der Kritik - auch von Betreuten und ihren Angehörigen. Die Caritas fordert daher seit Jahren den systematischen Aufbau eines Regelsystems für die Fortbildung von Personenbetreuer:innen. Aktuell gibt es leider nur vereinzelte Initiativen.
Caritas-Organisationen erarbeiten gemeinsamen Standard
Caritas-Organisationen aus Ost- und Westeuropa beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Thematik der Pendel- beziehungsweise Pflegemigration. Als erster Schritt wurde 2018 ein Caritas-Europa-Positionspapier "Fair Care Mobility and Migration in Europe"11 erarbeitet. Zentrales Anliegen war nicht nur eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Betreuungskräfte im Zielland, sondern auch, die Auswirkungen auf die osteuropäischen Herkunftsländer in den Blick zu nehmen.
Auf Basis dieses Papiers wird derzeit an der Entwicklung eines gemeinsamen Caritas-Standards "Standard for Fair Care Mobility and Migration in Europe" gearbeitet. Dieser Standard soll künftig die Basis für die Umsetzung der unterschiedlichen Live-in-Modelle und die Zusammenarbeit der beteiligten Caritas-Organisationen bilden. Die zentralen Themenfelder dieses Standards wie faire und legale Arbeitsverhältnisse für Care-Migrant:innen, Unterstützung der Care-Migrant:innen in Herkunfts- und Zielland, Verbesserung der Betreuungsqualität sowie verbesserte Kooperationen mit den Herkunftsländern bilden dabei die Grundlage für zukünftige politische Forderungen und eine stärker europäisierte Perspektive auf die Problematik.
Auch die Pandemie hat die strukturellen Schwächen im Bereich der 24-Stunden-Betreuung deutlich verstärkt. Viele Betreuungskräfte haben die Tätigkeit aufgrund der Belastungen von Ein- und Ausreisen, erhöhten Anforderungen im Betreuungsalltag und der angekündigten Impfpflicht in Österreich beendet.
Es bestehen daher vermehrt Zweifel, wie sich der Bereich mittel- und langfristig gestalten wird. Aus Sicht der Caritas gilt es daher, die zentralen Herausforderungen rasch anzugehen und gezielte Verbesserungen für den Bereich der Live-in-Betreuung in die Wege zu leiten und dabei die Situation der Herkunftsländer auch als Teil der Umsetzung einer zukünftigen verbesserten Lösung zu integrieren.
Anmerkungen
1. Quelle: Mitgliederstatistik der Wirtschaftskammern Österreichs, Stand: jw. 31.12. (Auf Anfrage bei der Wirschaftskammer Österreich erhältlich.)
2. https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Search
3. www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe ?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20009377
4. Statistik Wirtschaftskammer Österreich: http://wko.at/statistik/BranchenFV/B_127.pdf
5. Quelle: https://bit.ly/3qWz07Rf
6. Quelle: Wirtschaftskammern Österreichs/Mitgliederstatistik Anzahl der Berufszweigmitglieder nach Nationalität, Stand: 31.12.2021.
7. www.caritas-rundumbetreut.at/train-to-care
10. https://oeqz.at
11. www.caritas.eu/fair-care-mobility-and-migration-in-europe
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