„So schlimm ist katholisch gar nicht
In Fortbildungen für die Mitarbeitenden in der Allgemeinen Sozialberatung ist eins der Themen auch die Grundlage der täglichen Arbeit. Woraus leiten sich die Aufgabe und die Haltung der in der Sozialberatung Tätigen ab? Weshalb gibt es den Anspruch, Menschen in Not dabei zu unterstützen, ihr Leben selbstständig zu führen und selbstverantwortliche Entscheidungen zu treffen? Die Allgemeine Sozialberatung erfüllt die Aufgabe, für alle Menschen und ihre Fragen und Nöte offen zu sein.
Dies unterscheidet sie von den anderen professionellen Diensten der Caritas, die spezialisiert sind auf Probleme im Kontext von Sucht, Schulden, Erziehung oder Schwangerschaft. Menschen dabei zu begleiten, Schwierigkeiten zu erkennen und zu sortieren, sie zu stabilisieren und Lösungen zu finden ist Alltag der Allgemeinen Sozialberatung (ASB), und dies mit einer Haltung, die Menschen befähigt, sich selbst zu helfen, ihre Kompetenzen zu ermitteln und zu stärken. Was denn daran katholisch und ob dies nicht normale soziale Arbeit sei, wird häufig geäußert und der Hinweis auf die katholische Soziallehre eher fragend aufgenommen.
"Die Armen und Notleidenden bestimmen die Tagesordnung und Agenda von Kirche", sagte Kardinal Reinhard Marx auf dem Caritaskongress 2019 in Berlin. Wenn das so ist, hat die Caritas einen enormen Fundus an Zukunftsgestaltung für Kirche und Gesellschaft. Und mehr noch: Arbeit und Erkenntnisse der Caritas bestimmen auch die kirchliche Lehre.
Die Mitarbeitenden in der (Allgemeinen) Sozialberatung realisieren den Anspruch der katholischen Soziallehre tagtäglich in ihrer Arbeit, und die Caritas als Träger gestaltet die Soziallehre, indem sie Inputs zur Weiterentwicklung liefert. In der Sozialberatung wird deutlich, welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen oder auch Gesetze zu mehr Ungleichheit und einem Verbleib in Armut führen und welche Veränderungen diese durchbrechen könnten. Durch die sozialpolitische Arbeit der Caritas werden Problemkonstellationen und Lösungsvorschläge in den politischen Prozess eingebracht und der Gerechtigkeitsaspekt der katholischen Soziallehre umgesetzt. Gleichzeitig bietet die Soziallehre ebenso Hilfestellung bei ethischen Fragen und Konflikten. Stets mit den sozialen Fragen einer Gesellschaft und ihrer Politik befasst, stellt sich gleichzeitig immer wieder auch die Frage nach dem katholischen Profil der Caritas. Was ist das "Katholische", das "Christliche" an einer Sozialberatung?
Personalität und Subsidiarität
Die vier Prinzipien der katholischen Soziallehre versuchen, eine weitsichtige Orientierung für die Praxis zu liefern. Die Prinzipien sind: Personalität, Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohl. Die eigenverantwortliche Entwicklung und Entfaltung einer Person und Persönlichkeit stehen im Zentrum des Handelns: Der Mensch ist Ursprung, Träger und Ziel aller sozialen Institutionen.1 Dieses Prinzip der Personalität muss sich messen lassen an dem Prinzip der Subsidiarität. Jeder soll und muss das leisten, was er auch leisten kann. Die Kompetenzen und Fähigkeiten des Einzelnen sind so weit wie möglich zu fördern. Erst an ihren Grenzen gilt es, Hilfestellung zu geben unter dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe". Subsidiäres Handeln fordert Eigenverantwortlichkeit ein und unterstützt dort, wo die eigenen Möglichkeiten an Grenzen kommen. An solchen Grenzen braucht es Solidarität in einer Gesellschaft für eine starke Gesellschaft. Der Einzelne hat eine Verpflichtung für die Gesellschaft und die Gesellschaft für den Einzelnen.
Letztlich geht es der katholischen Soziallehre um ein austariertes Verhältnis von persönlicher Entwicklung und Gemeinwohl: Das Gemeinwohl hält die Balance zwischen Individuum und Gemeinwesen, so dass die Bedürfnisse aller Bürger sich gleichermaßen verwirklichen können ohne Einzelinteressen zu priorisieren. Das Prinzip des Gemeinwohls schätzt die Pluralität einer Gesellschaft wert und fördert sie im Sinne einer Freiheit, die die Freiheiten anderer nicht einschränkt.
Soziale Arbeit zielt auf die Förderung gesellschaftlicher Veränderungen, sozialer Entwicklungen, den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern; dabei bindet sie Strukturen ein.2 Die Allgemeine Sozialberatung und ihre Prinzipien zeigen, wie kongruent sie zur katholischen Soziallehre stehen und wie die Soziallehre den Paradigmenwechsel begleitet, von der Armenfürsorge hin zur Befähigung. Dies beinhaltet auch, die derzeitigen gesellschaftlichen Bestrebungen, Barmherzigkeit und Armutsfürsorge durch die Vergabe von Lebensmitteln wieder als Hilfen des Sozialstaates anzuerkennen, nicht nur kritisch zu hinterfragen, sondern als Verstärkung sozialer Ungerechtigkeiten zu benennen.
Die katholische Soziallehre darf also nicht verstanden werden als deduktiver Imperativ für die Praxis. Sie ist ein dynamisches Gewächs, das versucht, Antworten zu geben auf die Herausforderungen und Entwicklungen einer Gesellschaft auf Grundlage einer christlichen Wertehaltung. Während die katholische Soziallehre keine Antwort gibt, aber eine erste Orientierung, so geht es in der Allgemeinen Sozialberatung um Praktikabilität und Lösungsfindung. Das Katholische darf und sollte als "Stachel" empfunden werden, der die Strukturen infrage stellt, von denen eine Allgemeine Sozialberatung abhängig ist. Die katholische Soziallehre kritisiert diese und macht sie zum Politikum. Die Allgemeine Sozialberatung unterstützt die katholische Soziallehre und setzt sie fort, sowohl in ihrer Anwendung als auch in ihrer politischen und sozialwissenschaftlichen Reflexion. Ohne jene Erfahrungen wäre eine katholische Soziallehre im luftleeren Raum und damit nichtig.
Der Blick auf den Menschen
Gleichzeitig befruchtet die katholische Soziallehre eine Allgemeine Sozialberatung, indem sie auf das "Mehr" des Menschen aufmerksam macht. Sie liefert eine "Sozialspiritualität"3 . Idealiter wird in jeder Beratung der Mensch, der über sich hinausweist, in seiner Gänze betrachtet. Das Ziel christlicher Sozialberatung ist die Befähigung zu einer vierfachen Beziehungsgestaltung: zu sich, zum Nächsten, zur Gesellschaft und zu Gott beziehungsweise zur eigenen Spiritualität.
In beidseitiger Durchdringung geht es nicht um eine systemkonforme Wirksamkeit, sondern immer auch darum, Systeme zu gestalten, die den Notleidenden in den Mittelpunkt rücken. Die katholische Soziallehre und die Allgemeine Sozialberatung gehören also zusammen. Sie bedingen und ergänzen sich. Sie zeigen die Verknüpfung von Theorie/Idee/Vision und Praxis auf. Und sie gibt den Mitarbeitenden Kraft und Energie bei der Erfüllung der täglichen Arbeit.
Anmerkungen
1. Vgl. Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils Gaudium et spes 25,1.
2. Vgl. www.dbsh.de/profession/definition-der-sozialen-arbeit/deutsche-fassung.html. DBSH, 2014.
3. Sedmak, C.: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Zur Anwendung der Katholischen Soziallehre. Regensburg, 2017, S. 64.
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