Dritter Weg – wohin?
Immer wieder ist das kirchliche Arbeitsrecht in den vergangenen Jahren in die Kritik geraten. Dabei ging es meist um die Besonderheiten, die die Arbeitsverhältnisse der einzelnen Beschäftigten betrafen. In diesen können kirchliche Dienstgeber mehr und anderes verlangen als weltliche Arbeitgeber. Nach der katholischen Grundordnung etwa wird von den katholischen Beschäftigten erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Im pastoralen und katechetischen Dienst sowie bei Beschäftigten mit einer Missio canonica ist darüber hinaus das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre erforderlich. Bei Verstößen gegen diese Loyalitätspflichten drohen Sanktionen bis hin zur Kündigung. Die vergangenen Jahre haben einige zum Teil aufsehenerregende Fälle gesehen, in denen etwa - der "Klassiker" - einem Mitarbeiter wegen einer kirchenrechtlich unzulässigen Wiederheirat gekündigt wurde. Auch im evangelischen Raum gab und gibt es insofern Konflikte mit dem weltlichen Recht, beispielsweise darum, ob der Dienstgeber die Kirchenzugehörigkeit als Anstellungskriterium festlegen darf.
Demgegenüber war es in den anderen Bereichen des kirchlichen Arbeitsrechts, vor allem im kollektiven Arbeitsrecht, in der letzten Zeit recht ruhig. Das Mitarbeitervertretungsrecht als Pendant zum weltlichen Betriebsverfassungsrecht etwa weicht zwar an verschiedenen (zu vielen) Stellen vom Schutzniveau des Betriebsverfassungsgesetzes zu Ungunsten der Beschäftigten ab. Aber Streit hierum gibt es derzeit kaum. Bei der kollektiven Arbeitsrechtsetzung, dem sogenannten Dritten Weg, war eine Beruhigung festzustellen, jedenfalls im katholischen Bereich. Nachdem das Bundesarbeitsgericht vor zehn Jahren die Verfassungsmäßigkeit der Verfahren im Wege Arbeitsrechtlicher Kommissionen ohne Streikmöglichkeit bejaht hatte, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, haben die katholischen (wie auch die evangelischen) Gesetzgeber reagiert und insbesondere den Gewerkschaften die Mitarbeit ermöglicht. Anders als im evangelischen Bereich, wo der Wechsel zum Tarifsystem eine vermehrt gewählte Option darstellt, halten die katholischen Kirche und auch die Caritas jedoch ohne Ausnahme am Dritten Weg fest.
Kirchliches Arbeitsrecht grundlegend hinterfragt
Doch nun steht gerade die Caritas massiv in der öffentlichen Kritik, weil ihre Arbeitsrechtliche Kommission im Februar dieses Jahres die Zustimmung zu einem Altenpflegetarifvertrag abgelehnt hat, was Voraussetzung für seine Allgemeinverbindlichkeitserklärung gewesen wäre. Damit hatte sie zwar der Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie Deutschland einen Gefallen getan, weil diese infolgedessen gar nicht mehr entscheiden musste. Fraglich ist aber, ob damit dem kirchlichen Arbeitsrecht ein Dienst erwiesen wurde. Denn nicht zuletzt dieses Verhalten der Dienstgeberseite hat Auswirkungen bis in die Politik hinein. Das kirchliche Arbeitsrecht wird wieder insgesamt zum Thema und grundlegend hinterfragt. Reflexartig wurden in den Tagen nach der Entscheidung Rufe laut, die "Privilegien der Kirchen" abzuschaffen und auch kirchliche Beschäftigte dem Tarifrecht zu unterwerfen. Die Programme der Parteien zur anstehenden Bundestagswahl positionieren sich teils ähnlich, bis hin zum Verlangen nach einer Abschaffung "des kirchlichen Arbeitsrechts".
"Rufe wurden laut, die ,Privilegien der Kirche‘ abzuschaffen"
Vor diesem Hintergrund wird man sich fragen müssen, was denn die Basis des Dritten Wegs als einer der prägnantesten Ausprägungen des kirchlichen Arbeitsrechts ist und wie er sich in gesetzespolitischen Verfahren auswirkt. Gibt es Alternativen zu ihm?
Ausgangspunkt ist und bleibt die Verfassung, das Grundgesetz. Man kann darüber streiten, ob man es richtig findet, dass dieses in seinem Art. 140 GG, der auf Art. 137 Weimarer Reichsverfassung verweist und diesen zu "vollgültigem Verfassungsrecht" macht, den Kirchen eine Selbstbestimmung garantiert, die eben auch das Arbeitsrecht erfasst. Doch das ist verfassungsrechtlich unbestreitbar, und es ist nicht ersichtlich, dass sich eine für eine Abschaffung dieses Selbstbestimmungsrechts erforderliche Zweidrittelmehrheit findet. Insofern ist auch der Entwurf der FDP zur anstehenden Bundestagswahl stark von Wunschdenken geprägt, wenn dieser fordert: "Ebenso müssen kirchliche Privilegien im Arbeitsrecht abgeschafft werden, soweit sie nicht Stellen betreffen, die eine religiöse Funktion ausüben." Abgesehen von einer gewissen Realitätsferne hinsichtlich der Umsetzbarkeit überrascht die Wortwahl in diesem Programm: Es geht nämlich nicht um kirchliche "Privilegien" im Arbeitsrecht. Es ist vielmehr Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Garantie, dass die Kirchen einen eigenständigen Weg auch in der Arbeitsrechtsetzung gehen können. Hier führt schon der Begriff "Privileg" in die Irre. Das erinnert ungut daran, dass man im Zuge der Beschränkungen der Coronapandemie überlegt, Geimpften "Privilegien" einzuräumen, wenn man beabsichtigt, ihnen die Ausübung ihrer Grundrechte wieder zu ermöglichen. Kirchen haben insofern keine Privilegien, sondern üben ihre verfassungsrechtlich gewährten Rechte aus. Diese stehen ihnen zu und werden ihnen nicht vom ein[1]fachen Gesetzgeber "gewährt".
Die Kirche, ein Akteur von mehreren im Wohlfahrtssektor
Doch wird man an der Tatsache, dass an vielen Stellen auch Brüche und Schieflagen entstanden sind, nicht vorbeikommen. Diese können sich einerseits dadurch ergeben, dass sich die öffentliche Wahrnehmung weiterentwickelt hat. Die Kirchen sind in den Augen vieler nicht mehr ein besonderer Akteur beispielsweise im Wohlfahrtssektor, sondern nur einer unter mehreren. Daher wird oftmals nicht mehr verstanden, warum gerade sie über eigenständige (wenn auch verfassungsrechtlich garantierte) Rechte und Systeme verfügen. Solche Schieflagen können besonders dann entstehen, wenn kirchliche Selbstbestimmung auf säkulare, eben[1]falls Geltung beanspruchende Regelungsgehalte stößt. Dafür bietet einerseits das eingangs angesprochene Individualarbeitsrecht viel Anschauungsmaterial. Der Einfluss etwa des europäisch geprägten Diskriminierungsrechts führt dazu, dass Besonderheiten in den Loyalitätserwartungen nicht mehr nur am Maßstab des deutschen Religionsverfassungsrechts zu messen sind, sondern auch an demjenigen des europäischen Diskriminierungsrechts. Infolgedessen ist nicht mehr jede Kündigung wegen einer Wiederheirat oder eines Kirchenaustritts als zulässig anzusehen. Hier ist viel in Bewegung geraten, worauf sich die Kirchen werden einstellen müssen.
Aber auch das kollektive kirchliche Arbeitsrecht stößt an zum Teil neue Grenzen. Bekannt war schon lange diejenige, die sich aus den Rechten der Gewerkschaften ergibt. Auf diese ist eingangs schon hingewiesen worden. Hier hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts 2012 zu einer gewissen Befriedung geführt. Gerade das Streikverbot war immer wieder Gegenstand von Reibereien. Doch hat die Rechtsprechung bis hin zum Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass hier ein ausreichender Ausgleich der verschiedenen Interessen erreicht ist. Kirchen dürfen auf dem Dritten Weg bleiben, müssen dann aber Gewerkschaften mit einbeziehen und die Verbindlichkeit der Vereinbarungen sicherstellen.
Schwierig, kirchliches und weltliches Arbeitsrecht zu verflechten
Eine weitere Grenze lässt sich dort erkennen, wo sich die beiden Rechtskreise, weltliches und kirchliches Recht, ineinander verflechten. Das kann gutgehen, aber auch misslingen. Eine gelingende, verfassungsrechtlich sogar gebotene Verflechtung lässt sich etwa dort erkennen, wo Gesetze Tarifpartnern abweichende Regelungen erlauben - und Kirchen mit ihren kollektiven Regeln des Dritten Wegs ausdrücklich mit genannt wer[1]den. Das lässt sich beispielhaft in § 21 a Jugendarbeitsschutzgesetz oder § 7 Abs. 4 Arbeitszeitgesetz aufzeigen. Der Gesetzgeber macht bei diesen Verflechtungen deutlich, dass er den Dritten Weg akzeptiert und seinen Akteuren wie den Tarifparteien ermöglichen möchte, von gesetzlichen Bestimmungen abzuweichen.
Schwieriger ist es dann nur, wenn die Kirchen und ihr Arbeitsrechtsregelungsverfahren nicht eigens genannt werden, sondern allein den Tarifparteien Abweichungen gestattet sind, wie etwa im Befristungsrecht in § 14 Abs. 2 TzBfG. Ob man auch hier den Kirchen gleiche Rechte einräumen muss, ist sehr umstritten. Dafür spricht aber vieles.
Doch misslingt die Vermischung von weltlichem Recht und kirchlichem Verfahrensweg auch. Deutlich wurde dies jüngst am bereits eingangs angeführten Bei[1]spiel des Tarifvertrags Pflege. Hier hatte der Gesetzgeber den Kirchen eine Mitverantwortung übertragen wollen. Über die Hintergründe kann man streiten, eines aber scheint deutlich geworden zu sein: Eine solche Art der Systemvermischung kann nicht funktionieren - und ist auch nicht geboten. Es ist insofern nicht über[1]zeugend, den Kirchen die Aufgabe zu übertragen, über eine Voraussetzung für den weltlichen Akt der Allgemeinverbindlicherklärung eines säkularen Tarifvertrags zu entscheiden. Die Kirchen haben - verfassungsrechtlich abgesichert - das Recht, ihr eigenes System zu verfolgen. Da passt es schon systematisch nicht, wenn sie zugleich, sozusagen vom Spielfeldrand aus, einem säkularen Tarifvertrag zustimmen sollen, damit dieser allgemeinverbindlich werden kann. Es steht dabei außer Frage, dass das Anliegen berechtigt ist: möglichst faire und gerechte Arbeitsbedingungen in der Pflege herbeizuführen. Aber nicht jeder Weg, der zu einem guten Ziel führt, überzeugt. Für die Kirchen und ihr kirchliches Arbeitsrecht war ohne Zweifel die Ablehnung der Zustimmung zum Tarifvertrag unter dem Blickwinkel der Öffentlichkeitsarbeit fatal. Die Gründe hierfür drangen nicht durch. Doch das war absehbar. Sie hätten von vorneherein klarmachen müssen, dass sie diese Rolle nicht annehmen, um nicht in die Gefahr zu geraten, sich durch externe Rollenzuschreibungen das eigene erfolgreiche Modell diskreditieren zu lassen. Probleme wie die schlechten Arbeitsbedingungen von Pflegekräften müssen dort gelöst werden, wo sie herrühren - und das ist sicher nicht bei beziehungsweise von den Kirchen, deren Arbeitsbedingungen im Regelfall (deutlich) besser sind als im weltlichen Bereich.
Nicht zu Schiedsrichtern in säkularen Tariffragen werden
Eine derartige Vermischung muss daher von vornherein vermieden werden. Kirchen dürfen nicht zu Schiedsrichtern und Entscheidern in säkularen Tariffragen werden. Das ist systemfremd und schadet dem kirchlichen Weg - in der Außenwahrnehmung ebenso wie im Miteinander der ansonsten häufig gut zusammenarbeitenden Seiten in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen. Der Dritte Weg hat seine Berechtigung. Er ist auch kein Privileg der Kirchen, sondern ein verfassungsrechtliches Gut. Und er führt, wie man immer wieder sehen kann, zu guten, überzeugenden Ergebnissen, gerade weil die Kommissionen seit Jahrzehnten effizient miteinander arbeiten. Die Kirchen haben insofern ihr verfassungsrechtliches Recht überzeugend wahrgenommen. Sie sollten es sich nicht durch einen Gesetzgeber, der sich anders nicht zu helfen weiß, zerreden lassen.
Es gäbe zweifellos die Alternative, den eigenen Weg aufzugeben und auf den Tarifweg zu wechseln. Das ist weder von vornherein gut noch schlecht. Auf diesem Weg werden die Ergebnisse aber nicht zwingend besser. Daher spricht viel dafür, ein eingespieltes System weiterzuverfolgen, wenn alle Beteiligten dies gleichermaßen wollen. Und mit diesem Weg kann man sich dann auch dort, wo es systemgerecht ist, in politische Verfahren einbringen.
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