Die Sprache ist geprägt von Misstrauen, Stress, Hektik und vielen Unterbrechungen
Wie sieht die Kommunikation in Teams der sozialen Arbeit oder Pflege oft aus?
Auf den ersten Blick wirkt die Kommunikation ganz normal, wie in vielen anderen Teams auch. Wenn ich genauer hinschaue, hinhöre und hinspüre, kommt es sehr stark auf meinen Blickwinkel an. Wer bin ich, wo stehe ich, was ist meine Situation oder auch Position und wie wichtig ist für mich "Kommunikation"? Ich schaue mal durch die Brille "der anderen".
Wie erlebe ich Kommunikation als Mitarbeiterin, als Teil eines Teams?
Ich erlebe "alles". Je nachdem, wer Dienst mit mir hat, verändert sich insbesondere der Grundton der Kommunikation. Wer hat das Sagen? Wer setzt sich durch? Wie ist die Stimmung? Die Sprache und die Wortwahl sind geprägt von Misstrauen, Stress, Hektik und vielen Unterbrechungen. Ironie und Zynismus schwingen mit, Macht und Ohnmacht wechseln ab. Die Kommunikation gewinnt an Eigendynamik und zieht viele Beteiligte runter. Das kostet viel Kraft. Ein Satz, der hier häufig zu hören ist: "Naja, es kommt halt immer drauf an, wer Dienst hat." Mit dieser Haltung und Aussage schiebt man das "Problem" nach außen und nimmt sich selbst aus der Mitverantwortung. Ist die Stimmung miteinander gut, ist ein Netz des Vertrauens für[1]einander gewebt, verändern sich sofort Wortwahl und O-Ton. Bei sehr viel Arbeit und Verantwortung ist dennoch Menschlichkeit auf allen Seiten zu spüren. Kompetenzen werden geachtet, ein "Bitte und Danke" gehören einfach dazu, auf Blickkontakt wird häufiger geachtet und es sind Namen von Menschen genauso zu hören wie eine Begrüßung und ein Abschied
Und wie erlebe ich Kommunikation als Führungskraft meines eigenen Teams?
Ich weiß ehrlicherweise nicht, wo ich anfangen soll. Ich habe viele Menschen, mit denen ich sprechen will, muss und manchmal auch darf. Die Bedürfnisse sind extrem unterschiedlich und meist emotional durchtränkt. Zeit habe ich dafür wenig, das meiste läuft "nebenbei". Wenn ich Glück habe, habe ich eine Stellvertretung, mit der ich mich verstehe. Wenn ich Pech habe, klappt das nicht, dann spaltet schon das Führungsteam das Team. Grüppchenbildung ist normal. Mein Team prüft, ob ich passe, und stellt durchaus Forderungen an mich, die meist nicht ausgesprochen, sondern mit[1]einander diskutiert werden. Kommunikationstrainings sind nicht sehr beliebt und ich selbst will mich auch nicht vorführen lassen. Die, die es am meisten brauchen, kommen nicht, und zwingen kann ich niemanden. Manchmal schicke ich auch jemanden in ein Seminar, erhoffe mir allerdings wenig Besserung. Mich selbst bewerte ich als durchaus positiv und bemüht.
Und als Führungskraft eines "anderen" Teams?
Ich bin froh, wenn es bei mir im Team einigermaßen läuft. Interdisziplinär kommt es stark auf Grundhaltungen und Persönlichkeiten an. Die willkürliche Kommunikation erreicht oft Oberhand. "Die oder der ist halt so." Punkt. So werden Konkurrenz, Rivalität und Spaltung genährt. Hier gibt es manchmal zu viel Selbstbewusstsein oder auch zu wenig. Das Ergebnis ist das gleiche: kein Dialog auf Augenhöhe. Wenig Zeit, um anderen mit Interesse zuhören zu können. Der Druck im System ist groß, also nicht zu viel reden, auf den Punkt kommen und belastbar sein. Je höher meine Position, umso mehr Erwartungsdruck verteile ich. Nahbar bin ich nur mit wenigen Kollegen. Habe ich gelernt, meine Fachkompetenz zu leben und den Menschen in mir zu bewahren, bin ich wahrscheinlich ein Traum für viele Beteiligte. Trotz hohem fachlichen Anspruch biete und baue ich immer wieder beruhigende und Sicherheit gebende Dialogbrücken in der Zusammenarbeit. Humor ist bei mir Lebenselixier und Empathie kein Fremdwort.
Was ändert sich, wenn ich Führungskraft im oberen Management bin?
Ich komme klar. Wer ein Problem hat, darf gerne auf mich zukommen. Ich bin redegewandt, werde kommunikativ stark gefordert auf Managementebene. Hier pflege ich eine völlig andere Sprache als im operativen Geschehen. Ich schaue auf Prozesse und Ergebnisse, was sich in meiner Sprache spiegelt. Viele Passivformulierungen, Qualitätssprache, Standard - und Protokollsprache. Höflichkeit und Respekt biete ich bewusst. Settings und Meetings sind (hoffentlich) auf dem Punkt. Schriftsprache ist wichtig und spätestens hier fällt etwas auf: Individualität, Menschlichkeit, Wärme vernachlässige ich bewusst oder auch unbewusst.
Wie kommuniziere ich als Patientin oder hilfebedürftiger Mensch?
Hier wird es sehr spannend, denn ich bin in absoluter Abhängigkeit "dieser Menschen". Ängste und Kontrollverlust schärfen meine Sinne. Ich bin hellhörig, aufmerksam, kritisch. Ich höre Zwischentöne und beobachte Körpersprache sehr genau. Der allgemeine Umgangston wirkt auf mich kühl, nüchtern, zuweilen herrisch. Ich bekomme viele unterschiedliche Informationen, Antworten sind knapp oder werden überhört. Ich spreche mit fremden Menschen über sehr persönliche Dinge und hoffe, dass sie gut damit umgehen. Ich höre oft "müssen, schnell, kurz und gleich". Ich warte viel und überlege, ob ich kämpfen oder aufgeben soll.
Wie kommuniziere ich als Angehörige?
Ich bin die mit der höchsten Aufmerksamkeit in der Form und Art und Qualität der Kommunikation im Umgang mit dem Patienten. Ich bin nicht abhängig, sondern angehörig. Ich passe auf, kämpfe, nerve, fordere, frage. Immer wieder. So wirke ich nach außen. Aus meiner Sicht bin ich eine fürsorgliche, schutzbefohlene, liebende
Hat die Coronakrise die Schwierigkeiten in der Kommunikation noch verstärkt oder verändert?
Ja, auf jeden Fall. Ein Team, das permanent im Krisenmodus ist, leistet Übermenschliches. Es gibt keine Regenerationszeit und die Leistungsanforderungen sind stets ganz oben. Ein Mensch, der immer in Alarmbereitschaft ist, braucht insbesondere positive Beziehungen. Hat ein Team ein grundsätzliches Vertrauen aufgebaut, kann das schützen und tragen. Aber jedes Vertrauen entsteht durch Menschlichkeit und ein Invest von allen Seiten. Schwer in diesen Zeiten!
Wo liegen die Ursachen?Wer derzeit nicht auf Zusammenhalt und Vertrauen im Team bauen kann, hat schon lange vor der Pandemie die Bedeutung von Teamgeist und Workflow unterschätzt. Leider wird dieses Thema noch immer von vielen Berufsangehörigen belächelt und abgetan. Sie wissen viel darüber und können wenig. Entscheider denken eher nüchtern: Wie lange dauert das und was kostet es? Wahre Professionalität ist hier noch nicht angekommen. Persönliche Willkür herrscht noch vor. Das Bewusstsein dafür ist ansteigend. Das macht Mut.
Drei Tipps, was Führungskräfte für eine gelingende Kommunikation tun können
1. Raus aus der Soloposition und das Team auf Augenhöhe einladen und einfordern.
2. Reinventing Teams - erfindet euch neu. Feedbackkultur aktivieren, üben, leben.
3. Intervision für Teamentwicklung anstreben.
Drei Tipps, was Mitarbeitende für eine gelingende Kommunikation tun können
1. Eigene Kommunikationsmuster und -rituale reflektieren und erweitern.
2. Stärkenorientierung füreinander aktivieren.
3. Mehr Humor und weniger "nachtragen". Auf Reset drücken und miteinander neu durchstarten. Diese Zeit ist perfekt dafür.
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