„Deine Stimme zählt“: Junge Menschen zu Glauben und Vertrauen befragt
Ich bedanke mich, dass meine Stimme gehört wird, und ich hoffe, dass viele andere in Deutschland die Chance bekommen, dass ihre Stimme auch gehört wird."1 - "Deine Stimme zählt!", aus dem dieses Zitat eines jungen Menschen stammt, war ein Projekt des Fachausschusses "Christliches Profil und Ethik" des Bundesverbands katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen (BVkE).2 Die Idee dazu war entstanden, als die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge (afj) 2020 im Auftrag der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz Themen und Fragen ausarbeitete, mit denen die Inhalte der sogenannten Jugendsynode und insbesondere des apostolischen Schreibens "Christus vivit" von Papst Franziskus3 in Deutschland konkret werden sollten. Dazu waren explizit alle Handlungsfelder und Akteure der Jugendpastoral eingeladen.4
Damit auch die Stimmen der jungen Menschen gehört würden, die in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe leben, entwickelte eine Projektgruppe zwei Formate: eine Online-Umfrage sowie ein Kreativprojekt. Sie sollten Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Möglichkeit geben, ihre Lebenssituation und auch ihren Glauben in besonderer Weise zu reflektieren. Diese Standortbestimmung hatte außerdem das Ziel, dabei zu helfen, diese jungen Menschen besser zu verstehen und entsprechende Schlüsse für die pädagogische und religionssensible Arbeit in den Einrichtungen zu ziehen.
Vier Themenkomplexe waren für beide Formate leitend:
1) "Aktuelle Situation": Dabei spielte auch die Coronapandemie mit ihren Auswirkungen auf das alltägliche Leben eine Rolle.
2) "Begleitung": Was erwarten die Teilnehmenden von guter Begleitung, welche Themen sind ihnen dabei wichtig, und von wem werden sie konkret begleitet?
3) "Beruf und Berufung": Hierbei stand im Fokus, was den jungen Menschen bei der Berufswahl hilft. 4) "Glaube, Religion und Kirche": Insbesondere interessierte, was die jungen Menschen glauben - knapp 100 offene Antworten geben dazu ein aussagekräftiges Bild.5
Die Online-Umfrage wurde insgesamt 204-mal gestartet, davon wurden 102 Fragebögen komplett bearbeitet und konnten ausgewertet werden. Die vollständigen Eingaben stammten von 27 jungen Frauen und 75 jungen Männern zwischen zehn und 23 Jahren (Mittelwert 16,8 Jahre) aus mindestens 15 verschiedenen Einrichtungen.
Am Kreativprojekt haben sich 15 junge Menschen aus zwei Einrichtungen beteiligt. Eine der beiden Einrichtungen nutzte Reisen nach Berlin für den intensiven Austausch über die gefragten Themen, in der anderen wurden Collagen gefertigt.
Wertschätzung des eigenen Glaubens - gerade in Krisen
Zunächst ist überaus bemerkenswert, wie gut sich die insgesamt 117 Teilnehmenden auf die jeweilige Studie einlassen konnten. Im Vergleich zu anderen Befragungen wurden in der Online-Umfrage überdurchschnittlich viele offene Antworten gegeben, durchweg ernsthaft und mit persönlichen Meinungen, Erfahrungen und Einstellungen versehen. Auch beim Kreativprojekt gab es den gewünschten Brückenschlag zu den jungen Teilnehmenden, der gerade bei den sehr persönlichen Fragen nach Glauben und Begleitung wichtig war.
Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass insbesondere im Bereich des Glaubens deutliche Abweichungen zu anderen Studien zu verzeichnen sind. Die Shell[1]Jugendstudie 2019 fand beispielsweise heraus, dass nur knapp 40 Prozent der jungen Menschen der Glaube an Gott wichtig sei.6 Bei der Online-Umfrage von "Deine Stimme zählt" gaben 46,3 Prozent an, an Gott als Begleiter zu glauben, knapp 18 Prozent "vielleicht". Ebenso war hier die Selbsteinschätzung als "gläubig" mit 50 Prozent sehr hoch. Dazu kamen die positiven Beispiele, wobei der Glaube bisher als hilfreich erlebt wurde - beispielsweise in schwierigen Lebenssituationen ("in Phasen von Angst und Panik", "wenn ich traurig bin und verzweifelt, hat mich mein Glaube getröstet"), wenn eine konkrete Bitte/ein Gebet gesprochen und gegebenenfalls erhört wurde ("es mir ein Gefühl gibt von Sicherheit und dass alles gut wird") oder als Orientierung im Leben ("in schwierigen Lebenssituationen hilft mir der Glaube, mich abzugrenzen von Schlechtem, und ich finde Kraft und Orientierung zum Guten"). Insgesamt sind dies alles Faktoren, die darin bestärken, dass der Glaube nicht einfach aus dem pädagogischen Alltag ausgeklammert werden kann, sondern vielmehr als Ressource gelten und angeboten und vor allem begleitet werden sollte.
Vertrauen in die Betreuungskräfte
Beim Thema "Begleitung" wurden andere gängige Stu[1]dien bestätigt, die ebenfalls die Familie und die Freundinnen und Freunde als wichtigste Ressource für junge Menschen herausfanden. Spezifisch für das Feld der Jugendhilfe ist sicher die Nennung der Betreuer(innen) in der Wohngruppe mit 71,3 Prozent. Dies ist deutlich positiv zu bewerten, da in der Frage vorher eine gute Begleitung charakterisiert wurde als eine Person, der man vertrauen kann, mit der man über alles reden kann und die da ist, wenn man Hilfe braucht.
Die Ergebnisse zur Berufsorientierung korrelieren miteinander: Praktika und "zu wissen beziehungsweise herauszufinden, was ich gut kann und gerne mache" sind die Top-Antworten zur Beruf(ung)sfindung. Gleichzeitig ist den jungen Menschen wichtig, ihre persönlichen Stärken im späteren Berufsleben einbringen zu können. Anerkennung, die Arbeit gerne zu verrichten und auch ein guter Verdienst spielen bei der Berufswahl offenbar eine Rolle.
Klassische Werte wie Liebe, Vertrauen, Freundschaft, Frieden und Gerechtigkeit haben im Leben der jungen Menschen eine herausragende Bedeutung. Sie werden sowohl bei der offenen Frage nach dem, was einem persönlich wichtig ist, als auch bei der Frage "Woran glaubst du?" häufig genannt. Vor allem die Ungewissheit, wie es in Zukunft weitergeht, macht einigen auch Angst. Im Gefühl des Vermissens, des Verlustes, des Schmerzes, der Angst und des Zweifels kam im Kreativprojekt dem Stichwort "Mittragen" eine besondere Bedeutung zu. Damit wird ein pädagogischer Ansatz bestärkt, der auf Respekt, Wertschätzung und Vertrauen basiert.
Die an der Studie teilnehmenden Einrichtungen waren für die meisten jungen Menschen als kirchlich erkennbar: Dies wird hauptsächlich an offensichtlichen Äußerlichkeiten festgemacht wie dem Kirchengebäude, Symbolen und der Raumgestaltung, weniger an konkreten Angeboten (Gottesdienst, Gebet, Pilgern) oder an der Art des Umgangs miteinander. Daher stellt sich für die Träger kirchlicher Einrichtungen die Frage, wie ihr christliches Profil auch und insbesondere für die jungen Menschen erfahrbar wird. Immerhin ein Viertel der Befragten wünscht sich, herauszufinden, was sie glauben, und ein weiteres Viertel, im eigenen Glauben begleitet zu werden. Themen rund um Gott, Glaube und Religionen kommen in der Lebenswelt vieler durchaus vor, wurden in der Studie benannt und bieten Anknüpfungspunkte. Es gilt, Konzepte zu entwickeln, wie das christlich-kirchliche Profil der Einrichtung lebendig wird und dabei junge Menschen sensibel in Lebens- und Glaubensfragen begleitet werden.
Anmerkungen
1. Alle Zitate im Text stammen von den jungen Menschen selbst aus den offenen Antworten der im Folgenden beschriebenen Online-Umfrage. Zur besseren Lesbarkeit wurden Rechtschreibung und Zeichensetzung angepasst
2. Der Gesamtbericht der Studie ist hier zu finden: www.bvke.de/themen/deine-stimme-zaehlt-jugendpastoral/deine-stimme-zaehlt-jugendpastoral
3. Vgl.www.afj.de/themen/synode-2018/dokumente
4. Vgl. www.afj.de/forum-jugendpastoral
5. Befragt wurden christliche Klient(inn)en ebenso wie muslimische und junge Menschen, die keiner Religion angehören. Die Konfession wurde aus Gründen des Umfragedesigns nicht eigens erfasst.
6. Vgl. www.shell.de/ueber-uns/shell-jugendstudie/alle-schaubilder-und-grafiken.html (Familie, Werte, Religion)
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