Diskriminierung hat viele Facetten
Diskriminierendes Verhalten begegnet Klient(inn)en der Migrationsberatungsstellen bei der Wohnungssuche, bei der Arbeitssuche, in der Kommunikation oder im öffentlichen Raum. Auf der Suche nach einer Wohnung finden sich Menschen mit Migrationsbiografien viel häufiger auf Wartelisten wieder oder warten vergeblich auf eine Rückmeldung bei Wohnungen, die nach Kontrollanrufen seitens der Beratungsstellen eigentlich frei wären. In manchen Fällen erhalten sie gar die Antwort, dass Menschen mit Migrationshintergrund oder kinderreiche Familien aus "Rücksicht auf die Nachbarschaft" in bestimmten Wohngegenden nicht erwünscht seien oder dass es bestimmte Quoten gäbe, die die Verteilung der Wohnungen regle.
Bei der Arbeitssuche nehmen Menschen mit Migrationshintergrund sehr viel häufiger Tätigkeiten an, die unter der eigenen Qualifikation liegen. Strukturelle Herausforderungen liegen oft in der fehlenden oder zeitintensiven Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Andere Einstellhindernisse, die nicht offen kommuniziert, aber durch die Menschen im Bewerbungsprozess wahrgenommen werden, sind fehlende Sprachkenntnisse oder äußerliche Merkmale (Kopftuch, dunkle Hautfarbe und anderes). Aus Angst um ihren Aufenthaltsstatus nehmen viele Menschen Tätigkeiten an, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. Einfacher als im ländlichen Raum ist die Arbeitssuche, so die Rückmeldungen, zumeist in den größeren Städten, in denen es eine größere Community gibt.
Subtiler Rassismus zeigt sich, wenn die Kommunikation gegenüber nichtdeutschen Muttersprachler(in- ne)n vom "Sie" ins "Du" wechselt, die Weitergabe von Informationen über Dritte hinweg gewählt wird, Menschen nicht unmittelbar in die Kommunikation einbezogen werden oder in der gut gemeinten Frage "Wo kommen Sie denn eigentlich her?" auch häufig ein "Von hier demnach nicht" mitschwingt. Eine weitere Beobachtung der Migrationsberatungsstellen ist, dass sich die Kommunikation mit den Ratsuchenden in Anwesenheit der Beratungsfachkräfte häufig wohlwollender und verständnisvoller gestaltet. Dies führt dazu, dass Beratungsfachkräfte Menschen mit Migrationshintergrund zu Terminen bei Behörden, Ärzten oder in anderen wichtigen Angelegenheiten begleiten, so dass eine gute Kommunikation sichergestellt werden kann.
Offenkundiger erscheint Rassismus dort, wo Frauen mit Kopftuch beleidigt oder Menschen mit dunkler Hautfarbe auf der Straße verbal angegriffen werden oder fremdenfeindliche Symboliken öffentliche Plätze markieren. Wenn es zu Übergriffen kommt, werden diese häufig aus Angst oder Scham nicht angezeigt.
Doch auch Mitarbeitende der Migrationsberatungen werden mit diskriminierenden Erfahrungen konfrontiert. Kolleginnen und Kollegen werden in Erklärungsnot für ihre Tätigkeit gebracht, kennen die Schilderungen aufgrund ihres eigenen Migrationshintergrundes selbst oder können von gezielten Einschüchterungsversuchen berichten, bei denen stadtbekannte rechte Gruppierungen sich vor den Beratungsstellen versammeln.
Die Arbeit erfordert eine klare Haltung
Migrationsberatungsstellen und deren Trägern kommen in der Mitgestaltung eines diskriminierungsfreien und teilhabeorientierten Umfeldes mehrere Rollen zu: Sie brauchen selbst eine klare Haltung, die sich im täglichen Tun ebenso wie in der eigenen Präsenz im öffentlichen Raum zeigt. Sie sind direkte Ansprechpersonen, sind in kommunale Netzwerke eingebunden, gestalten das gesellschaftliche Zusammenleben mit und verfügen aufgrund ihrer Tätigkeit über gute Antennen für diskriminierende Strukturen.
Als Träger eine antirassistische und teilhabeorientierte Haltung einzunehmen ist kein Selbstläufer. Auch diese - oder vielmehr die daraus folgenden kontextspezifischen Leitlinien, Handlungen und Verhaltensweisen - müssen in Dienstberatungen, in Inter- oder Supervision, durch Weiterbildungen oder in Einzelgesprächen immer wieder reflektiert und besprochen werden. Eine klare und transparente Haltung des Trägers, die auch Handlungsoptionen aufzeigt, wie mit Verstößen zu verfahren ist, und Mitarbeitende in den Einrichtungen stärkt, fördert den Mut, sich aktiv gegen Diskriminierung einzusetzen, und zeigt, dass für Rassismus in den Einrichtungen kein Platz ist.
Ein Anlaufpunkt für Wissensvermittlung
Eine wichtige Säule der antirassistischen Arbeit vor Ort liegt im Empowerment. Migrationsberatungsstellen vermitteln "System- und Strukturkenntnisse", klären auf, bieten den Rahmen für alltagsorientierte Treffen (Frauen- oder Männercafés, Konversationskurse, interessenorientierte Treffpunkte und anderes), vermitteln bei sprachlich oder inhaltlich komplizierten Sachverhalten oder verweisen an Dritte.
Durch ihre Tätigkeit und ihr Portfolio sind Beratungsstellen häufig einer von vielen Anlaufpunkten, in denen Wissen, Handlungskompetenz und Selbstbewusstsein hinsichtlich der Artikulation und des Einforderns der eigenen Rechte in der Konfrontation mit diskriminierenden Strukturen vermittelt werden können. Der aktive Austausch in Teams über Diskriminierungserfahrungen der Ratsuchenden hilft zudem dabei, Tendenzen und Dynamiken im lokalen Umfeld wahrzunehmen und den Ratsuchenden weiter Unterstützung anzubieten. Menschen, die ihre Rechte kennen, haben den Mut und die Kompetenz, ebendiese einzufordern, und können sich damit auch selbst zur Wehr setzen.
Träger der Migrationsberatung stehen auch in der Verantwortung, die eigene antirassistische Haltung überall dort zu zeigen, wo es angezeigt ist und sich Möglichkeiten ergeben, zum Beispiel durch die Präsenz bei öffentlichen Kundgebungen, die (Mit-) Organisation interkultureller Veranstaltungen, die Teilnahme an symbolischen Tagen wie dem Internationalen Tag gegen Rassismus, dem Diversity-Tag oder der Interkulturellen Woche. Dies zeigt nach innen und außen eine teilhabeorientierte Haltung, stärkt Mitarbeiter(innen) und Klient(inn)en und trägt zu einem vielfaltsorientierten Klima vor Ort bei.
Aktive Netzwerkarbeit und interkulturelle Öffnung
Antirassistische und teilhabeorientierte Arbeit ist ein Zusammenspiel aus engagierten und couragierten Akteur(inn)en, die sich in der Zusammenarbeit für eine offene Gesellschaft einsetzen. Überall dort, wo bereits eine gute und langjährige, vertrauensvolle und auf gegenseitigem Respekt beruhende Zusammenarbeit mit lokalen Einrichtungen, Unternehmen oder Organisationen wie beispielsweise der Agentur für Arbeit, dem Jobcenter, den örtlichen Wohngenossenschaften, den Behörden der Kommune oder des Landkreises besteht, macht sich dies im teilhabeorientierten Handeln der Beteiligten bemerkbar. Nur in der Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren der Zivilgesellschaft und mit ausreichenden Ressourcen kann diskriminierenden Strukturen präventiv begegnet werden.
Zu nennen sind hierbei auch Prozesse der interkulturellen Öffnung. Diese und Migrationsarbeit sind mehr als zwei Seiten derselben Medaille, beide greifen ineinander. Dort, wo bereits Prozesse der interkulturellen Öffnung angestoßen wurden und Migrationsberatungsstellen und andere öffentliche wie private Einrichtungen und Unternehmen am gemeinsamen Ziel der Chancengerechtigkeit arbeiten, zeigt sich, dass das gesellschaftliche Klima sich hin zu Offenheit, Chancengerechtigkeit und Teilhabeorientierung wandelt.
Antirassistische Haltung nach innen und außen zeigen
Eine nachhaltige und fundierte antirassistische Arbeit ist ohne finanzielle Sicherheit seitens der öffentlichen Hand nicht möglich. Nur durch diesen Rückhalt, das klare Bekenntnis der Kommunen, der Länder oder des Bundes zum Aufbau und Erhalt antirassistischer Strukturen ist es den Trägern möglich, mit konkreten Maßnahmen menschenverachtenden Entwicklungen entgegenzuwirken und positive Vielfaltsgedanken innerhalb der Gesellschaft sichtbar zu machen.
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