Dienende Macht
Über Macht wird derzeit viel nachgedacht in karitativen und kirchlichen Kreisen. Ausgelöst wurde diese Reflexion durch schrecklichen Machtmissbrauch: Nicht nur sexuelle Gewalt, auch zum Beispiel psychischer Missbrauch in helfenden Berufen oder finanzielle Unregelmäßigkeiten sind Folgen von Machtmissbrauch. Was aber kann Macht positiv bedeuten, wie ist mit ihr umzugehen - als dienende Macht?
Zwei wichtige Definitionen von Macht gibt es: Macht sei "jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel, worauf dieser Wille beruht"1 - so der Soziologe Max Weber. Ganz anders die politische Philosophin Hannah Arendt: Sie versteht Macht "…nicht als Aufzwingung eines Willens, sondern als die Fähigkeit einer Gruppe von Menschen, sich in einer Kommunikation, die frei von Zwang ist, auf ein gemeinschaftliches Handeln zu einigen"2.
Weber ist gleichsam klassisch: autoritär, von oben nach unten, man muss gehorchen, die Amtsträger entscheiden. Kirchlich könnte man sagen: hierarchisch, ziemlich katholisch. Arendt ist ganz anders: gemeinschaftlich, auf Augenhöhe, fast schon demokratisch. Kirchlich wäre das: synodal, ziemlich evangelisch. Übrigens sind auf dem synodalen Weg, missbrauchen - der/die Betroffene kann sich ja nicht rächen, weil er/sie schwächer ist. Wir können uns nur immer ehrlich und radikal mühen, Kränkungen eben nicht weiterzugeben, sondern sie - das genau ist christlich - zu vergeben. Dass uns das Vergeben schwerfällt, dürfen wir eingestehen - was schon der erste Schritt zur Umkehr ist.
Narzissten ertragen niemals Kritik. Diese nehmen sie persönlich
Wer Macht ausübt, soll die narzisstische Falle vermeiden. Krankhafter Narzissmus bedeutet: Ein Ich, das sich klein fühlt und darunter leidet, macht sich größer, als es ist. Es braucht die Bühne, auf der es auftreten kann und Bewunderung bekommt. Es wird geradezu süchtig nach Anerkennung und Wichtigkeit. Es liebt vor allem sich selbst und tut alles, um groß und bedeutend zu sein. Andere Menschen wird dieses Ich gerne ausbeuten: Sie müssen ihm dienen und seine narzisstischen Bedürfnisse erfüllen, das heißt, es loben und ehren und fördern.
Narzisst(inn)en ertragen niemals Kritik - diese nehmen sie persönlich, sie kränkt sie nur. Narzisst(inn)en schätzen Menschen, solange diese sie loben, und lassen sie fallen, ja werten sie ab, sobald sie Kritik oder Gegnerschaft wittern. Natürlich streben Narzisst(inn)en nach Macht, denn diese stärkt ihr im Grunde schwaches Ich und stillt ihren Hunger nach Anerkennung. In der Machtposition benutzen sie Untergebene für ihre Zwecke. Sie umgeben sich mit Günstlingen und merken nicht, wie sie sich der Welt entfremden, wie sie alles nur auf sich beziehen, wie sie ihre Macht missbrauchen. Narzisst(inn)en bleiben immer unzufrieden, denn den Süchtigen wird ihre Gier nach Bewunderung und Karriere nie gestillt sein. Auch machen sie sich abhängig von ihren Bewunderern, und diese wissen deren Sucht sehr wohl für ihre Zwecke zu nutzen: Wer Narzisst(inn)en genügend schmeichelt, bekommt nämlich von ihnen alles, was er/sie will. Um der narzisstischen Falle zu entgehen, braucht es Selbstbewusstsein, Demut, innere Freiheit. Wir müssen das ein Leben lang üben.
Macht gut ausüben
Wer Macht ausübt, soll das Hören einüben. König Salomo, der weise Herrscher Israels, betet anlässlich seines Amtsantritts im Traum: "Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht" (1 Kön 3,9).
Er bezeichnet sich als "Knecht", das heißt, der König ist von Gott zu einer dienenden Rolle eingesetzt. Das Herz soll hören, nicht nur der Verstand - die Gabe der Einfühlung gehört zum Regieren.3 Und die Unterscheidung von Gut und Böse ist die wichtigste Fähigkeit des Mächtigen - sie braucht eine klare Vernunft, einen diskreten Blick und einen guten Umgang mit Gefühlen, Stimmungen, Bedürfnissen, aber auch mit Argumenten und mit Ordnungen.
Wer Macht ausübt, soll delegieren. Auch diese schon erwähnte Kunst ist einzuüben. Delegieren bedeutet, Arbeitsbereiche an Untergebene zu übertragen, so dass diese selbstständig und verantwortlich die Aufgaben gestalten und erfüllen. Delegieren setzt persönliches und sachliches Vertrauen voraus. Dieses muss gepflegt und gefördert werden, wozu es wiederum der guten Kommunikation bedarf. Und Kommunikation, damit sie gelingt, braucht den informellen Fluss, aber auch Strukturen, die den Austausch fördern. Wer an andere delegiert, soll nicht nur kritisieren, sondern auch loben. Delegieren ist eine Gratwanderung, die Fingerspitzengefühl und Menschenkenntnis erfordert.
Wer Macht ausübt, soll seine Rolle annehmen. Rollen sind geprägte Verhaltensmuster, die mit konkreten, kulturell unterschiedlichen Erwartungen, aber auch mit Rechten und Pflichten verbunden sind. Die Rolle des Mächtigen, also die der Chefin, des Pfarrers, der Mutter oder des Gruppenleiters gilt es in der Tat "zu spielen". Die Rolle erweckt beim Untergebenen einerseits Vertrauen in die Kompetenz und in die Verantwortlichkeit des Mächtigen, auch die Bereitschaft, sich führen zu lassen, andererseits entstehen durch die Rolle auch Grenzen: In der Rolle ist der/die Mächtige eben nicht einfach Freund, sondern bleibt distanzierter.
Wer Macht ausübt, soll Schweres und Brüche annehmen und Einsamkeit aushalten. Die Rolle schafft Distanz. Für Fehler oder vermeintliche Fehler wird der/die Mächtige mit Vorwürfen oder mit Verachtung bestraft, mit Brüchen und Abstürzen muss er/sie leben. Hinzu kommt das Problem der Projektion oder Übertragung: Wer Macht hat, eignet sich hervorragend als Fläche, auf die man andere Konflikte projiziert, oder als Objekt, auf das man Versagen aller Art und aller Personen überträgt. Der/Die Chef(in) ist ja für alles verantwortlich, also auch für alles abzustrafen. Er oder sie braucht daher ein dickes Fell, ohne allerdings abzustumpfen und menschlich unsensibel zu werden. Ungerechte Prügel muss der/die Mächtige einstecken, ohne gleich zurückzuschlagen, was er/sie ja gefahrlos könnte. Hinzu kommt das Problem einer gewissen Einsamkeit: Dem/Der Chef(in) wird mit Distanz und Scheu begegnet, und es wird erwartet, dass er/sie höflich die Mitarbeiter(innen) fragt, wie es ihnen geht; ihm/ihr selbst wird jedoch nie diese Frage gestellt.
Jesu Macht
Die Bibel thematisiert häufig die Macht. Die wohl berühmteste Stelle ist das Wort Jesu: "Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein...Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele" (Mt 20,25-28).
"Dienen" bedeutet im Griechischen ursprünglich "bei Tisch aufwarten", "dem anderen helfen" und war bei gebildeten Griechen als niedrig verachtet. Manche Mächtige missbrauchen übrigens das Wort "Dienst", um ihren Machtmissbrauch zu verschleiern, indem sie ihr autoritäres oder von Eigeninteressen gesteuertes Verhalten als "Dienst" beschönigen. Jesus wertet den Dienst fundamental auf: Erst das Dienen macht einen Menschen zum Jünger Jesu. Zum Dienst gehört für Jesus so etwas wie Hingabe, die sich bei ihm in der Bereitschaft vollendet, sein Leben einzusetzen - wer in Corona-Zeiten Kranken dient, geht sehr konkret dieses Risiko ein. Nie geht dienende Macht ohne Selbstlosigkeit und Achtsamkeit, ohne Tugend und Einsatzbereitschaft. Dienende Macht - ob im Sinn Webers4 oder im Sinn Arendts - braucht es heute dringender denn je, und vielleicht hilft ein bisschen mehr Arendt, dass die Macht dienender wird.
Anmerkungen
1. Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: Mohr Siebeck, 1921/22, S. 28 f.
2. Arendt, H.: zit. nach: Ueberschär. E.: Kirchliche Machtstrukturen in der liberalen Moderne. In: Stimmen der Zeit Heft 4/2020, S. 256.
3. Siehe dazu auch Kiechle, S.: Achtsam und wirksam. Führen aus dem Geist der Jesuiten. Freiburg: Herder Verlag, 2019.
4. "Macht" wird in der Kirche oft nach Weber’scher Definition gebraucht und dann als "Dienst" bezeichnet, auch wenn dies bei Weber nicht so steht.
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