Der Streit um die neue Pflegekammer
In Niedersachsen wird sie gerade wieder aufgelöst und in Baden-Württemberg die Gründung vertagt, doch in Nordrhein-Westfalen (NRW) steht ihre Errichtung unmittelbar bevor: die Pflegekammer1 . Protegiert vom Berufsverband der Pflegenden, verteufelt von den Gewerkschaften. Anlass für erbitterte Auseinandersetzungen vor allem in den sozialen Medien. Die Dienstnehmervertretung der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes in NRW (DNV NRW)2 hat sich schon früh kritisch mit dem Vorhaben auseinandergesetzt.
Zur Historie: Im Rahmen ihres Koalitionsvertrages hatten CDU und FDP 2017 die Bildung einer Pflegekammer in NRW in Aussicht gestellt. Einzige Bedingung: Die Pflegenden selbst sollten sich im Rahmen einer Befragung dafür aussprechen. Begleitet wurde der Prozess von Beginn an von leidenschaftlichen Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern einer solchen berufsständischen Vertretung. Insbesondere die Gewerkschaft Verdi befürchtet eine Beschneidung ihrer Kompetenzen und den Schwund von Mitgliederzahlen, wenn eine weitere zahlungspflichtige Interessenvertretung in den Pflegeeinrichtungen Einzug halten sollte. Im Sommer 2018 veröffentlichte dann das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW seine Pläne zu einer Befragung der in der Pflege Beschäftigten, woraufhin sich die DNV NRW veranlasst sah, ihre Beteiligung einzufordern. Schließlich gibt es in NRW mehr als 100.000 Fachpflegekräfte, die in Krankenhäusern und in der Altenhilfe der Caritas Dienst tun.
Viele zweifeln an der Befragung
In Gesprächen mit dem Ministerium setzte sich die DNV NRW insbesondere für eine umfassende Aufklärung der Mitarbeitenden über Sinn und Zweck einer Pflegekammer ein und sprach sich für eine Urabstimmung aus. Stattdessen wurde eine von einem externen Institut durchzuführende repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben. Befragt werden sollten Pflegefachkräfte aus allen Bereichen, stationär wie ambulant. Nicht zuletzt auf Intervention der DNV NRW wurde in die Befragung noch die Alternative "Pflegering nach bayerischem Modell" aufgenommen. Dort basiert die Mitgliedschaft in einer vom Freistaat finanzierten "Kammer" auf Freiwilligkeit.
Ende 2018 verkündeten Institut und Minister eine 79-prozentige Zustimmung zur Errichtung einer Pflegekammer NRW. Die Kammer-Befürworter jubelten, die Gegner übten massive Kritik an der Art der Befragung und bezweifelten die Aussagekraft des Ergebnisses. Von 197.000 Pflegenden wurden nur circa 1500 aus 160 (von 5500 Einrichtungen und Diensten) befragt. Die SPD im Düsseldorfer Landtag schloss sich diesen Zweifeln an und sprach sich für eine erneute Befragung in Form einer Urabstimmung aus. Doch die Landesregierung trieb das Projekt weiter voran.
Mit der Weichenstellung für die endgültige Errichtung der Kammer wurde eine Gründungskonferenz eingerichtet, in der auch die DNV NRW vertreten war. Parallel wurde das Gesetzgebungsverfahren vorangetrieben und im Juni 2020 mit der Mehrheit der Regierungsparteien abgeschlossen. Das Ministerium unterstützt die Errichtung der Pflegekammer mit fünf Millionen Euro. Berufen wurden inzwischen die Mitglieder des Errichtungsausschusses, dessen Aufgabe es sein wird, den Aufbau der Selbstverwaltung mit circa 200.000 Berufsangehörigen zu organisieren. Deren Ermittlung und Registrierung dürfte dabei vorrangig sein. Denn am Ende steht die Durchführung der ersten Kammerwahl.
Die DNV NRW beteiligt sich bewusst nicht an diesem Errichtungsausschuss. Aus ihrer Sicht kann die Pflegekammer nicht das liefern, was Pflegende derzeit brauchen. Originäre Hauptaufgabe der Pflegekammer ist es, eine fachgerechte und professionelle Pflege der Bevölkerung sicherzustellen; das Pflegepersonal selbst steht dabei nicht im Fokus.
Nach Auffassung der DNV NRW ist diese Sicherstellung Aufgabe des Landes. Mit der Übertragung auf die Pflegekammer, die noch Jahre brauchen wird, bis sie wirklich handlungsfähig ist, entledigt sich die Landesregierung dieser Verantwortung und schiebt die Probleme erneut auf die lange Bank. Die Befürworter der Pflegekammer führen zwar immer wieder ins Feld, nun endlich eine gesellschaftliche Aufwertung des Berufsstands der Pflege erreichen zu können, die akuten Probleme der Pflege (Personalmangel, Vergütung, Arbeitsbedingungen) werden aber auch langfristig nicht von einer Kammer gelöst werden, weil sie schlichtweg nicht zu deren Aufgabengebiet gehören.
Assistenzkräfte ohne Rechte
Die Gewerkschaft Verdi sieht die Gefahr, dass sie bei Anhörungen in Gesetzgebungsverfahren im Düsseldorfer Landtag von der Pflegekammer verdrängt werden könnte und keine Möglichkeit mehr hätte, sich dort für Arbeitnehmerinteressen in der Pflege einsetzen zu können. Befürchtet wird zudem auch eine Spaltung der Belegschaften. Denn die Pflegekammer steht nur den Pflegefachkräften offen. Alle Hilfs- und Assistenzkräfte können zwar freiwillig Mitglied werden, haben aber keinerlei Rechte.
Ob die Pflegekammer vor diesem Hintergrund bei den Beschäftigten überhaupt eine Akzeptanz finden wird, darf stark bezweifelt werden. Im Errichtungsausschuss jedenfalls sind deren Interessensvertretungen so gut wie gar nicht vertreten. Das Fehlen einer angemessenen Beteiligung dort und bei der Befragung zur Errichtung der Kammer sowie die bis dato kaum vorhandene Aufklärung über deren Zuständigkeiten dürften spätestens dann zu Widerständen führen, wenn die Pflegenden auch noch zur Zahlung von Pflichtbeiträgen herangezogen werden. Es steht zu erwarten, dass Pflegekräfte gegen die von der Pflegekammer erlassenen Berufsordnungen oder Beitragsbescheide auf dem Klagewege vorgehen und die Legitimität der Kammer infrage stellen werden.
Anmerkung
1. In Baden-Württemberg ist die Gründung einer Landespflegekammer vorerst gescheitert. Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha hat nach heftigem Widerstand insbesondere der Gewerkschaft Verdi und des Arbeitgeberverbandes Pflege am 17. September 2020 entschieden, das Vorhaben erst wieder in der nächsten Legislaturperiode aufzugreifen.
2. Die Dienstnehmervertretung der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) des DCV in NRW ist über das nordrhein-westfälische Krankenhausgesetz mittelbar Beteiligte bei der Krankenhausplanung NRW. Sie ist personenidentisch mit der Dienstnehmerseite der Regionalkommission NRW der AK des DCV
Soziale Anliegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
Fördergelder für die nächsten sieben Jahre
Es ist eine Frage des Wollens
Der Streit um die neue Pflegekammer
Schuldnerberatung für alle
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}