EU-Migrationspakt erfüllt Hoffnungen nicht
Die Migrationen werden ein grundlegendes Element der Zukunft der Welt darstellen.‘ [42] Heute werden sie jedoch, mit dem Verlust jenes Sinns für brüderliche Verantwortung, auf dem sich jede Zivilgesellschaft gründet‘, [43] konfrontiert. Europa beispielsweise läuft ernsthaft Gefahr, diesen Weg zu beschreiten‘", schreibt der Heilige Vater Franziskus in seiner Enzyklika Fratelli tutti1.
Nach Jahren des Stillstands bei der Reform des EU-Asylrechts hat die Europäische Kommission am 23. September einen neuen Migrations- und Asylpakt vorgelegt. Caritas Europa hatte auf einen neuen und positiven Ansatz gehofft, der das Asylrecht in Europa und die Solidarität zwischen den EU-Ländern stärken würde. "Kein Moria mehr", das Ende überfüllter und unwürdiger Flüchtlingslager an der EU-Grenze, war ein zentraler Wunsch. Der Pakt scheint jedoch weiterhin Migrationsprävention, Grenzkontrollen und Rückführungen zu priorisieren. Wir befürchten, dass schnelle Grenzverfahren an der EU-Grenze mit verwässerten Verfahrensgarantien zur Norm werden, während die benötigte nachhaltige Solidarität und Aufteilung der Verantwortung zwischen den EU-Mitgliedstaaten nicht verwirklicht werden. Wir sind besorgt über einen neuen Mechanismus, der es den Mitgliedstaaten ermöglichen würde, zwischen der Förderung von Rückführungsaktionen oder der Umsiedlung zu wählen, um unter Druck stehende Staaten zu unterstützen.
Migrationsprävention scheint weiterhin Priorität zu haben
Man wählt die Option einer Solidarität à la carte mit einem starken Fokus auf Rückkehr. Dennoch müssen einige positive Entwicklungen hervorgehoben werden: neue Bestimmungen zum Schutz der Kinderrechte und der Einheit der Familie; die Verpflichtung zur Überwachung der Grundrechte an der Grenze und die Möglichkeit für anerkannte Flüchtlinge, nach einem dreijährigen legalen Aufenthalt einen regulären Aufenthaltsstatus zu erlangen. Die Empfehlung der Europäischen Kommission, die die Mitgliedstaaten auffordert, Schutzmaßnahmen wie Resettlement und ziviles Engagement zur Aufnahme von Flüchtlingen durch Kommunen zu verbessern, ist ebenfalls zu begrüßen.
Immerhin besitzt Europa, "unterstützt durch sein großes kulturelles und religiöses Erbe, die Mittel […], um die Zentralität der Person zu verteidigen und um das rechte Gleichgewicht zu finden in seiner zweifachen moralischen Pflicht, einerseits die Rechte der eigenen Bürger zu schützen und andererseits die Betreuung und die Aufnahme der Migranten zu garantieren". [44] Im Einklang mit dem Versprechen des Heiligen Vaters wird sich die Caritas Europa konstruktiv in den bevorstehenden Verhandlungsprozess über den Pakt einbringen und fordern, dass Menschenrechte und Würde stets gewahrt bleiben.
Anmerkung
1. Papst Franziskus: Fratelli tutti - Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 27, Oktober 2020