Welche Funktion und welches Potenzial hat Suchtberatung?
Fachverbände halten Suchtberatungsstellen zwar für einen wichtigen Akteur im Feld suchtbezogener Hilfen, ihre Bedeutung und Wirkung für Betroffene und für den Bereich suchtbezogener Hilfen wurden aber bisher nicht explizit herausgearbeitet. Daher haben die Caritas Suchthilfe (CaSu) und der Gesamtverband Sucht (GVS) der Diakonie Deutschland eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag gegeben.1
Deren Ziel war es herauszuarbeiten, welche Stellung beziehungsweise Funktion Suchtberatungsstellen im Gesamtrahmen suchtbezogener Hilfen einnehmen, welche Tätigkeiten sie wahrnehmen, welche Wirkungen diese Tätigkeiten haben und welche Potenziale zukünftig ausgebaut werden können. Das methodische Vorgehen bestand darin, Daten aus verschiedenen Quellen unter diesen Fragestellungen miteinander in Beziehung zu setzen. Im Einzelnen waren dies:
- Dokumentenanalyse von übergeordneten Konzepten, Rahmenrichtlinien und Leistungsbeschreibungen von Suchtberatungsstellen2 für die Rekonstruktion der Felddynamik suchtbezogener Hilfen,
- Analyse von qualitativen Untersuchungen in Suchtberatungsstellen mit Fokus auf Tätigkeiten der Fachkräfte3 für die Rekonstruktion der Interaktionsdynamik,
- Analyse von quantitativen Daten der Deutschen Suchthilfestatistik4 für die Rekonstruktion von Wirkungen der Arbeit von Suchtberatungsstellen.
Welche Stellung haben Suchtberatungsstellen?
Wesentlichen Einfluss auf die fachliche Arbeit von Suchtberatungsstellen haben Finanzierungsquellen mit den damit verknüpften Zielbeschreibungen und Erwartungen. In der Suchtberatung treffen Finanzierungsquellen aus verschiedenen Sektoren zusammen. Zentral ist ihre Zuordnung zu den sogenannten „kommunalen freiwilligen Leistungen der Daseinsvorsorge“. Aber auch Leistungen aus der Sozialversicherung (SGB VI) und Leistungen aus rechtlich fixierten steuerfinanzierten Leistungen örtlicher und überörtlicher Leistungsträger (SGB II und XII) werden in der Suchtberatung erbracht. Hier gibt es große regionale Unterschiede. Die Leistungen sind deshalb nur schwer bis gar nicht allgemein beschreibbar. Es erscheint daher sinnvoll, zwischen der Organisation und der Funktion von Suchtberatung zu unterscheiden.
Die Erwartung anderer suchtbezogener Hilfen an die Funktion Suchtberatung (Feldimperative) liegt, so legen es Konzepte und Leistungsbeschreibungen nahe, im Kern in einer Art „Zuliefererrolle“ für „Rehabilitation“ als zentral bewertete Option der Hilfe. Dies kann durchaus als Hierarchisierung von Hilfeformen gelesen werden, denn ein eigenes, gleichberechtigtes Hilfeprofil wird Suchtberatungsstellen im Gegensatz zum Beispiel zu Leistungen der Rehabilitation eher nicht zugestanden. „Beratung“ ist in dieser Lesart eher eine Art Überzeugungsarbeit im Hinblick darauf, dass Klient(inn)en Motivation entwickeln sollen, Suchtrehabilitation oder andere Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Eine wichtige Rolle bei der Strukturierung der Arbeit spielen daher die sogenannten „Empfehlungen“ des Leistungsträgers der Rehabilitation.5 Diese geben sowohl inhaltliche als auch Strukturelemente für Suchtberatung vor, ohne sie jedoch dafür mit Ressourcen auszustatten. Diese Konstellation hat sich historisch herausgebildet und sich im Kern nicht verändert. Sie erfährt seit einigen Jahren eine Zuspitzung durch die zunehmende Umstellung der Finanzierungsprinzipien weg von einer Kostendeckung hin zu einer ziel- und kennzahlen-oientierten Finanzierungsgrundlage. Dies gefährdet in letzter Konsequenz die Funktion Suchtberatung.6
Hier arbeiten Fachkräfte der Sozialen Arbeit
Neben den Finanzierungsstrukturen haben sich auch die tatsächlich wahrgenommenen Tätigkeiten in Suchtberatungsstellen historisch entwickelt. Die zugeschriebenen Aufgaben der „Beratung“ und „Vermittlung“ werden mit methodisch fachlichen Inhalten der Profession „Soziale Arbeit“ gefüllt und umgesetzt. Zentraler Aspekt ist die Entwicklung einer „vertrauensvollen Arbeitsbeziehung“7, deren Bedingungen in Suchtberatungsstellen nun erstmals empirisch in einer Untersuchung beschrieben wurden.8 Sie bildet die Grundlage für einen integrierten, hilfesektorenübergreifenden Prozessbogen9, der eine kooperative Inanspruchnahme weiterführender Hilfen und eine Begleitung eines längerfristigen Recovery-Prozesses10 erst ermöglicht. Weitere Tätigkeiten von Fachkräften in Suchtberatungsstellen, die zu 62 Prozent Fachkräfte der Sozialen Arbeit sind, können wie folgt benannt werden:
- längerfristige Beratung und Begleitung (als eigenständiges Profil, nicht als primäre Zuarbeit für Rehabilitation),
- eine qualitative Vermittlung in weiterführende Hilfen auf der Basis von Kooperation und als inhaltliche Vorbereitung auf diese Hilfen (zum Beispiel Rehabilitation, betreutes Wohnen, Entgiftung etc.) in Bezug auf eine biografische Untersuchung der Lebensumstände und die Erarbeitung von Zielebenen der Hilfen usw.,
- längerfristige Begleitung bei (Wieder-)Eingliederung in das Alltagsleben, auch außerhalb von Nachsorge nach Rehabilitation,
- regionale Erschließung von Hilfenetzwerken für Betroffene und Angehörige.
Welche Wirkungen haben Suchtberatungsstellen?
Zusammenfassend kann in Bezug auf die Funktionalität der Aufgaben gesagt werden, dass Suchtberatungsstellen im Feld der suchtbezogenen Hilfen eine Brückenfunktion einnehmen, die zurzeit nicht zu ersetzen ist.11 Eine Untersuchung, die das Ziel hatte, herauszufinden, wie die „Vermittlung in Sucht-Rehabilitation“ in hausärztliche Praxen zu integrieren sei, hat herausgearbeitet, dass dies zurzeit nicht möglich ist.12 Dies wird unter anderem damit begründet, dass es Hausärzt(inn)en nicht gelingt, mit der als „schwierig“ geltenden Klientel13 in eine, bezogen auf den Konsum psychoaktiver Substanzen, vertrauensvolle Arbeitsbeziehung einzutreten.
Neben der „Vermittlung“ liegt das eigentliche Potenzial der Funktion Suchtberatung eben in der „Beratung“, nicht verstanden als „Motivierung zur Rehabilitation“, sondern als ergebnisoffener Prozess mit dem Fokus auf den Anliegen der Klient(inn)en und unter Einbeziehung professioneller und klient(inn)en-bezogener Netzwerke. Dies kann je nach Bedarf auch als längerfristige sogenannte Begleitung erfolgen. Mit Blick auf die Wirkung zeigt das Zahlenmaterial der Deutschen Suchthilfestatistik deutliche Stabilisierungs- beziehungsweise Besserungseffekte in den Bereichen Wohnen, Lebensunterhalt, Partnerbeziehungen und Aufnahme einer Erwerbsarbeit.14 Es muss aber noch genauer untersucht werden, wie sich dies auf die Inanspruchnahme beziehungsweise Nicht-mehr-Inanspruchnahme kommunaler Hilfeleistungen auswirkt.
Suchtberatung braucht ausreichende Finanzmittel
Aus heutiger Sicht lassen sich folgende konzeptionelle Eckpfeiler für Suchtberatung benennen:
- niedrigschwellige Zugangsmöglichkeit,
- Raum zur Entwicklung einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung,
- integrierter Prozessbogen mit hilfesektorenübergreifendem Case Management,
- Beratung und Begleitung in Bezug auf Klient(in - n)enanliegen,
- Erschließung eines regionalen Hilfenetzwerkes für Betroffene.
Diese Elemente zeigen sich als funktional mit Blick auf die Stabilisierung basaler Lebenssituationen (Wohnen, Tagesstruktur / Arbeit / Lebensunterhalt / Beziehungen im sozialen Nahfeld) von Klient(inn)en mit einem problematischen Substanzkonsum. Die Platzierung der Suchtberatung im kommunalen Raum mit Zugang zu anderen Hilfesektoren erscheint nach wie vor sinnvoll. Die prekäre Finanzierung jedoch gefährdet ihre Arbeit. Eine einseitige Verschiebung oder ein Verzicht auf diese Leistung erscheint weder im Hinblick auf Humanität noch auf eine Kostenreduktion sinnvoll. Demgegenüber kann das Potenzial von Suchtberatung in Bezug auf die Annahme von Hilfen, eine Stabilisierung und Reintegration in basale Lebensbereiche (Teilhabe) weiter ausgebaut werden, wenn die Funktion dieser Hilfe im kommunalen Raum und in den anderen Hilfesegmenten (an-)erkannt und mit angemessenen Ressourcen ausgestattet wird.
Anmerkungen
1. Hansjürgens, R.: Tätigkeiten und Potentiale der Funktion Suchtberatung. Expertise im Auftrag von CaSu und GVS. Freiburg / Berlin: Gesamtverband Sucht der Diakonie Deutschland, 2018 b; verfügbar unter: Caritas Suchthilfe e. V. (Zugriff am 8.12.2018).
2. Böhl, H.; Koch, A.; Leune, J.; Redecker, T.: Suchthilfe im regionalen Behandlungsverbund. Bestandsaufnahmen und Entwicklungsperspektiven. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.), Hamm, 2010. (Zugriff am 15.1.2016); Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg..): Leistungsbeschreibung für ambulante Beratungs- und Behandlungsstellen der Suchtkrankenhilfe, 1999; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen: Suchthilfe und Versorgungssituation in Deutschland. Hamm, 2014; Deutsche Rentenversicherung Bund: Vereinbarungen im Suchtbereich. Berlin, 2013; Fachverband Drogen- und Rauschmittel: Mindeststandards der ambulanten Suchthilfe, 2005. (Zugriff am 7.1.2016); Fachverband Drogen- und Rauschmittel: Forderungen für eine wirksame Ambulante Suchthilfe. Berlin, 2017.
3. Hansjürgens, R.: „Zwischen den Stühlen“. Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe. Forschungsbericht. Hochschule Koblenz, 2013; Hansjürgens, R.: „In Kontakt kommen“. Analyse der Entstehung von Arbeitsbeziehungen in Suchtberatungsstellen. Baden-Baden: Tectum-Verlag, 2018 a.
4. Braun, B.; Specht, S.; Thaller, R.; Künzel, J.: Deutsche Suchthilfestatistik 2016. Teilband für stationäre Rehabilitationseinrichtungen. München: Institut für Therapieforschung (IFT), 2017 a; Braun, B.; Specht, S.; Thaller, R.; Künzel, J.: Deutsche Suchthilfestatistik 2016. Tabellenband für ambulante Sucht- und/oder Beratungsstellen und Institutsambulanzen. München: Institut für Therapieforschung (IFT), 2017 b.
5. Deutsche Rentenversicherung Bund: Vereinbarungen im Suchtbereich. Berlin, 2013.
6. Hansjürgens, R.: a.a.O., 2018 a.
7. Hansjürgens, R.: a.a.O.
8. Hansjürgens, R.: a.a.O.
9. Sommerfeld, P.; Hollenstein, L; Calzaferri, R.: Integration und Lebensführung. Ein forschungsgestützter Beitrag zur Theoriebildung der Sozialen Arbeit. 1. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2011.
10. Amering, M.; Schmolke, M.: Recovery. Das Ende der Unheilbarkeit. Hoffnung macht Sinn. 5. überarbeitete Auflage, Bonn: Psychiatrie-Verlag, 2012.
11. Hansjürgens, R.: a.a.O., 2018 a; Hansjürgens, R.: a.a.O., 2018 b.
12. Fankhänel, T.; Klement, A.; Forschner, L.: Hausärztliche Intervention für eine Entwöhnungs-Langzeitbehandlung bei Patienten mit einer Suchterkrankung (HELPS). Sucht Aktuell (2) 2014, S. 55–59.
13. Giersberg, S.; Touil, E.; Kästner, D.; Büchtmann, D.; Moock, J.; Kawohl, W. et alii: Alkoholabhängigkeit (Behandlungspfade für die ambulante integrierte Versorgung von psychisch erkrankten Menschen. In: Rössler, W.; Moock, J. (Hrsg.), 1. Auflage, Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2015. 14. Braun, B.; Specht, S.; Thaller, R.; Künzel, J.: a.a.O., 2017 b.
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