Online-Beratung 2.0 – der Mensch im Mittelpunkt
Worauf ist bei der ambulanten Pflege für meine Mutter zu achten? Wie überwinde ich meine Suchterkrankung? Welche Reha ist die richtige für mich? Wie finde ich einen Therapieplatz? In unserer komplexer werdenden Welt steigt der Bedarf an professioneller Beratung bei vielen Menschen. Doch für Ratsuchende ist der Weg zur richtigen Beratung oft mit hohen Hürden versehen. Lange Anfahrtswege oder fehlende Mobilität erschweren den Besuch einer Vor-Ort-Beratung, telefonische Anfragen sind zu flüchtig, um nachhaltige Wirkung zu entfalten, und für die Generation der Digital Natives kommt eine Kontaktaufnahme jenseits des Internets kaum noch infrage. Stattdessen artikulieren Ratsuchende ihren Beratungsbedarf zunehmend auf Suchmaschinen und in sozialen Netzwerken: „Okay Google, ich bin schwanger, was soll ich tun?“, Suchanfragen dieser Art eröffnen Ratsuchenden eine Flut an Informationen und Angeboten – die Gefahr von Falschinformationen und unseriösen Anbietern ist entsprechend hoch.
Die Caritas hat schon 2006 mit der Gründung des ersten umfassenden Angebots von Online-Beratung erkannt, dass Menschen dort abgeholt werden müssen, wo sie ihren Bedarf äußern – im Internet. Seitdem hat die Caritas ein breitgefächertes Online-Beratungsnetz mit über 4500 haupt- und ehrenamtlichen Berater(inne)n in 16 Arbeitsfeldern und jährlich rund 28.000 Beratungskontakten aufgespannt. Seit Beginn der Online-Beratung nutzten etwa 170.000 Ratsuchende die Möglichkeit, über die digitale Beratungsplattform der Caritas Anfragen zu stellen, und können dabei – im Unterschied zu unverschlüsselten E-Mails oder Messenger-Diensten – auf einen sicheren Schutz ihrer persönlichen Daten vertrauen. Nun, 13 Jahre nach dem Start der Caritas-Online-Beratung, ist die Beratungsplattform jedoch etwas in die Jahre gekommen. Das Design erinnert an frühere Zeiten des Internets, in denen „nutzeroptimierte Workflows“ noch Fremdwörter waren, und der grundlegende Programmcode lässt sich kaum noch für zukünftige Aufgaben weiterentwickeln.
Digitale Hausaufgabe für die Caritas: bessere Vernetzung
Um die Online-Beratung fit für die digitale Zukunft zu machen, beschloss der Deutsche Caritasverband (DCV) bereits im Jahr 2016, eine neue Beratungsplattform zu entwickeln. Doch die erste Software-Agentur meldete Insolvenz an, das Vorhaben verzögerte sich.
Erst Mitte 2018 konnte eine neue Agentur gefunden werden, die seitdem mit viel Elan auf den sogenannten Relaunch der Caritas-Online-Beratung zusteuert. Die Ansprüche sind groß: Die neue Plattform soll leichter zugänglich werden, stabiler laufen und intuitiver bedienbar sein. Vor allem aber soll sie Blended Counseling ermöglichen – ein Beratungskonzept, welches die Ratsuchenden in den Mittelpunkt stellt. So sollen Menschen in schwierigen Situationen zukünftig selbstbestimmt zwischen verschiedenen Beratungsmedien wie Mail, Chat, Telefon, Sprachnachricht und Face-to-Face-Beratung wählen können. Durch den crossmedialen, fließenden Wechsel zwischen den verschiedenen Beratungskanälen können Ratsuchende beispielsweise Anfahrtszeiten sparen, indem sie zwischen zwei persönlichen Beratungsterminen wichtige Dokumente verschlüsselt an die Beraterin senden.
Zusätzlich soll bei komplexen Beratungsfällen die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Beratungsfeldern erleichtert werden. Ein Suchtberater soll etwa eine Schuldenexpertin zum Chat mit einem Ratsuchenden einladen können, um optimal auf den individuellen Beratungsbedarf eingehen zu können. Vernetzung ist das Stichwort, mit dem das Caritas-Beratungsnetz insgesamt aufgewertet werden soll. Am Ende werden Ratsuchende von einem Account aus Zugang zum gesamten Beratungsangebot erhalten oder sich gleich direkt mit weiteren Caritas-Organisationen wie Krankenhäusern oder Senioren-Wohnheimen verbinden können. Ein solches ganzheitliches Hilfsangebot aus einer Hand auf digitaler Basis wird es der Caritas ermöglichen, besser auf Ratsuchende einzugehen und bedarfsorientiert dort zu unterstützen, wo die Hilfe am meisten gebraucht wird. Doch bis zur „Wohlfahrts-App“ als Komplettservice ist es noch ein langer Weg.
Die neue Beratungsplattform – anonymer, kompetenter, sicherer
Der nächste Schritt wird der Start der neuen Caritas-Beratungsplattform sein. Die Caritas-Suchtberatung hat sich entschieden, Anfang April als erster Fachbereich den Prototyp der neuen Software zu testen (vgl. neue caritas 5/2019, Seite 19). Nach einer kompakten Weiterbildung und einer Eingewöhnungsphase werden dann über 350 Suchtberater(innen) die Anfragen von Ratsuchenden auf der neuen Plattform bearbeiten. Ihre Eindrücke und Erfahrungen sollen genutzt werden, um einzelne Einstellungen der neuen Plattform nachzujustieren. Nach und nach werden die anderen Beratungsfelder folgen. Der schrittweise Umzug der einzelnen Fachbereiche auf die neue Plattform hat den Vorteil, dass die Datenmigration erleichtert wird und die Berater(innen) bei der Umstellung besser betreut werden können.
Derzeit handelt es sich noch um einen Prototyp der zukünftigen Beratungsplattform. Doch trotz eingeschränkter Funktionalität zeigen sich die Vorteile der neuen Software schon jetzt: Das neue Design ist hell und freundlich und ermöglicht eine intuitive und nutzeroptimierte Navigation. Man fühlt sich wie in einer Whatsapp-Umgebung, allerdings ohne die Datenunsicherheiten dieses Messengers in Kauf nehmen zu müssen. Für Ratsuchende ist der Zugang zur Plattform deutlich niedrigschwelliger, und auch die Arbeitssoftware für Berater(innen) ist übersichtlicher, so dass diese Beratungsanfragen effizienter bearbeiten können. Ein Nachrichtenverlauf im Messenger-Format sorgt für eine zeitgemäße Integration von Mail und Chat. Hinter dem Design verbirgt sich eine hochmoderne digitale Infrastruktur mit deutlich verbesserter Stabilität, Informationssicherheit und verbessertem Datenschutz. Der Programm-Code ist modular aufgebaut, wodurch die Plattform beliebig erweiterbar und zukunftssicher wird. Die Partneragentur des DCV wird die Anwendung stetig weiterentwickeln und nach und nach mit weiteren Funktionalitäten für die einzelnen Caritas-Beratungsfelder abrunden.
Caritasrat für „Kooperationsgemeinschaft Blended Counseling“
Mit der technischen Weiterentwicklung sind zahlreiche fachliche, organisatorische und finanzielle Aufgaben verbunden. Dabei können Fragen zu neuen Beratungskonzepten, zur überregionalen Vernetzung von Beratenden oder zur Finanzierung der kostspieligen Softwareentwicklung zweifelsohne nur gemeinschaftlich in der verbandlichen Caritas beantwortet werden. Der Caritasrat unterstützt in seinem Beschluss vom 21. November 2018 dieses Vorgehen und empfiehlt die Gründung einer „Kooperationsgemeinschaft Blended Counseling“, in der Diözesan-Caritasverbände, Fachverbände und DCV gemeinsam die Weiterentwicklung der Caritas-Online-Beratung koordinieren. Der DCV hatte bereits Ende 2018 zur Gründung dieser neuen Governance-Struktur eingeladen und sehr viele positive Rückmeldungen bekommen. Nachdem die Organisationsstruktur der Kooperationsgemeinschaft rechtlich und steuerlich genau geprüft wurde, steht in den nächsten Monaten die Gründung an.
Unterstützung für die Weiterentwicklung der Online-Beratung erhält der DCV zudem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), welches das Projekt mit 500.000 Euro im Jahr 2019 teilfinanziert. Den Antrag stellte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW), deren Verbände in jeweils unterschiedlichen Bereichen der Digitalisierung vom Ministerium gefördert werden. Damit auch die anderen Wohlfahrtsverbände von der neuen Online-Beratung profitieren können, plant der DCV, die neue Caritas-Beratungsplattform als Open-Source-Software für alle gemeinnützigen Beratungsstellen zur Verfügung zu stellen. Denn mit Blick auf Facebook und Co. zeigt sich, dass gute Vernetzung, die Bündelung von Ressourcen und die Zusammenführung von Menschen das A und O in der digitalen Transformation sind. Mit diesem Fahrplan ist auch die Caritas gut beraten: Menschen verbinden, Hürden abbauen, näher am Nächsten sein – soziale Netzwerke waren und sind das Spezialgebiet der Caritas!
Sucht-Selbsthilfe goes online
Bangen um Rentenzahlung der Pensionskasse
Digitalisierung bei der Caritas Schweiz
Damit Beratung ankommt
SV-Beiträge: monetär, generativ, aber auch gerecht?
Stromsparhelfer finden zurück auf den Arbeitsmarkt
Wohlfahrt 4.0: Nur sicher ist sicher
Gegen Missbrauch in Kirche und Caritas
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}