Digitalisierung bei der Caritas Schweiz
„Sozial braucht digital“ – so lautet der Claim der Caritas- Kampagne 2019 in Deutschland. Inwiefern gilt diese Forderung auch für die Schweiz?
Bei Caritas Schweiz haben wir einen umgekehrten Zugang zum Thema gewählt: Da die Digitalisierung bisher vor allem eine technologiegetriebene Angelegenheit ist, sehen wir es als dringlich an, diese Entwicklungen endlich auch vom Menschen her zu denken, vor allem aus der Perspektive der sozial Benachteiligten. Digital braucht sozial, sozusagen. Ansonsten droht eine weitere Spaltung der Gesellschaft in immer mehr Verlierer(innen) und einige wenige Gewinner. Sozial braucht digital ist natürlich genauso relevant, denn gesellschaftliche Teilhabe setzt mittlerweile digitale Teilhabe voraus.
Aber gerade im Sozialbereich dürfen wir nicht der Illusion verfallen, dass die Digitalisierung automatisch bedeutet, wieder mehr Zeit für das Zwischenmenschliche zu haben. So wird gerne behauptet, dass zum Beispiel der Einsatz von Pflegerobotern es den Fachkräften ermöglicht, sich mehr um die Menschen zu kümmern. Ob das gelingt, hat vor allem mit dem vorherrschenden Menschenbild zu tun. Ein Umfeld, das auf Profit und Effizienz getrimmt ist, wird auch digitale Entwicklungen dazu nutzen, die Produktivität noch weiter zu steigern.
Ist die Schweiz in Sachen Digitalisierung Deutschland voraus?
Nein, sicher nicht. Aber entscheidender ist für Caritas Schweiz, dass der technologische Fortschritt niemanden zurücklässt. In dieser Frage wird in der Schweiz Schönfärberei betrieben. So behauptet der Bundesrat in einem Bericht von 2017, dass die Digitalisierung nicht zu einer höheren Belastung der sozialen Sicherheit geführt habe. Das zeigt einfach, dass es an einer Armutsperspektive fehlt, scheiden doch schon heute jedes Jahr 40.000 Menschen ungewollt aus dem Arbeitsmarkt aus.
Was sind aus Ihrer Sicht die Top-Herausforderungen für die Schweizer Sozialpolitik in den kommenden Jahren?
Die künftige Finanzierung der Sozialwerke ist einer der Knackpunkte. Die Sozialversicherungs-Systeme sind heute einkommensabhängig finanziert und somit nicht auf die Veränderungen am Arbeitsmarkt vorbereitet, die mit der Digitalisierung einhergehen. Software und Roboter entrichten keine Steuern, gleichzeitig verändern sich mit der Plattform-Ökonomie die Strukturen: weg vom abgesicherten Anstellungsverhältnis, hin zum ungesicherten Status als Mini-Unternehmer(in). Es ist deshalb unabdingbar, nicht nur die berufliche Absicherung neu zu denken, sondern auch die soziale Sicherheit auf neue Finanzierungs-Grundlagen zu stellen.
Die Digitalisierung bietet auch viele Chancen. Was muss passieren, damit nicht nur einige wenige davon profitieren?
Auf nationaler Ebene muss mehr in die Grundkompetenzen investiert werden. Schon heute sind Menschen vom Arbeitsprozess ausgeschlossen, weil sie niedrig qualifiziert sind oder sie aufgrund des Alters keinen Job mehr finden. Diese Tendenz wird sich verstärken, wenn immer mehr Jobs der Automatisierung zum Opfer fallen. Trotz dieser Entwicklung fokussieren Weiterbildungen auf gut qualifizierte Personen, während Nicht-Erwerbstätige außen vor bleiben. Auf internationaler Ebene lautet die Frage, wie die monopolartige Machtkonzentration im Silicon Valley gebrochen wird. Dass Firmen wie Facebook und Google exorbitante Gewinne einfahren, hat mit dem Netzwerkeffekt und dem Datenhandel zu tun. Diese Gewinne wiederum ermöglichen es ihnen, die künstliche Intelligenz voranzutreiben und so zu bestimmen, wie sich die Gesellschaft weiterentwickelt. Die digitale Sphäre muss endlich reguliert werden, digitale Monopolrenten sollen mittels neuer Formen der Besteuerung abgeschöpft werden.
Warum ist die Dringlichkeit in dieser Frage besonders groß?
Weil die Digitalisierung nicht nur Arbeitsmärkte verändert. Sie hat auch Einfluss darauf, wie eine Gesellschaft funktioniert. So drohen mit der zunehmenden Algorithmisierung neue Ausschluss-Mechanismen. Menschen werden in allen möglichen Bereichen vermessen und quantifiziert. Ein auf Effizienz ausgerichtetes Regime der Zahlen diskriminiert zwangsläufig Menschen, die schon heute sozial benachteiligt sind, und es erschwert die soziale Mobilität zusätzlich.
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