Kinderrechte ins Grundgesetz
Die Diskussion um eine explizite Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz wird seit vielen Jahren kontrovers geführt. Mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK), die inzwischen bereits seit 30 Jahren die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien maßgeblich geprägt hat, verpflichtete sich Deutschland bereits im Jahr 1992 dazu, gemäß Art. 4 UN-KRK die Bestimmungen der Konvention in die nationale Verfassung aufzunehmen. Nahezu alle Bundesländer haben bereits wesentliche Rechtsaspekte der Kinderrechte in ihre Landesverfassungen aufgenommen. Dort entfalten die Artikelgesetze auch ohne jeden Zweifel ihre Wirkung.
In der Verfassung des Landes Baden-Württemberg werden Kinderrechte unter anderem in folgenden Artikeln direkt benannt:
- Artikel 2 a: „Kinder und Jugendliche haben als eigenständige Persönlichkeiten ein Recht auf Achtung ihrer Würde, auf gewaltfreie Erziehung und auf besonderen Schutz.“
- Artikel 11 Abs. 1: „Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung.“
- Artikel 13: „Kinder und Jugendliche sind gegen Ausbeutung, Vernachlässigung und gegen sittliche, geistige, körperliche und seelische Gefährdung zu schützen. Staat, Gemeinden und Gemeindeverbände schaffen die erforderlichen Einrichtungen. Ihre Aufgaben können auch durch die freie Wohlfahrtspflege wahrgenommen werden.“
Die Artikel erkennen an, dass die jungen Menschen als eigenständige Persönlichkeiten und nicht als „kleine Erwachsene“ und unabhängig vom Willen Dritter wahrzunehmen sind. Das Landesrecht benennt damit explizit Kinder und Jugendliche als Träger eigener Rechte und betont in besonderer Weise den Schutzauftrag.
Die Gefahr einer Entmachtung der Eltern ist an dieser Stelle aus Sicht des Caritasverbandes für die Erzdiözese (DiCV) Freiburg begründet. Kinderrechte können sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene nicht ohne Elternrechte gedacht werden, und daran will auch niemand etwas ändern. Artikel 18 der UN-KRK legt unmissverständlich fest, dass für die Erziehung und Entwicklung der Kinder in erster Linie die Eltern oder gegebenenfalls der Vormund zuständig sind. Starke Kinder bedeuten auch starke Eltern und ein noch stärkeres Familiensystem.
Ein Perspektivenwechsel ist nötig
Kindern und Jugendlichen Rechte einzuräumen fordert von allen Beteiligten einen Perspektivenwechsel und ein Wegkommen von Lippenbekenntnissen hin zu einer frühzeitigen Wahrnehmung und Beteiligung der jungen Menschen in allen sie betreffenden Angelegenheiten.
Warum ist die eindeutige und sichtbare Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz wichtig und längst überfällig? Jeder Mensch beginnt sein Leben mit der Kindheit; sie ist Teil jeder Biografie und der Grundstock für eine menschenwürdige und lebenswerte Zukunft. Die Kinder und Jugendlichen zu fördern und sie vor Gefahren zu schützen, sind Voraussetzungen dafür, dass sie alle weiteren Lebensphasen bewältigen können. Dennoch gelingt dies an vielen Stellen nicht: Kinder und Jugendliche leben in nicht unwesentlicher Zahl in Armut oder sind von Armut bedroht, sie leben in engen oder unsicheren Wohnverhältnissen und haben unzulänglichen Zugang zu Bildung und Teilhabe-Leistungen. Obwohl in den letzten Jahren in Gesellschaft und Politik sehr viel für den Kinderschutz und die Integration benachteiligter junger Menschen getan wurde, erfahren Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer unterlegenen Position mit steigender Tendenz seelische, körperliche und sexuelle Grenzverletzungen, Übergriffe und Gewalt. Die Verankerung der Kinderrechte wird diese Situationen nicht verhindern. Aber wenn dem Kindeswohl im Grundgesetz ausdrücklich ein Vorrang eingeräumt wird, dann erfordert das bei allen gesetzlichen Regelungen und Entscheidungen ein Mitdenken der Kinderperspektive und des Kinderschutzes. Ein Mitdenken ist nur möglich, wenn die Erwachsenen die Kinder sprechen lassen und ihnen zuhören. Partizipation darf nicht weiter eine politische Floskel sein. Es gibt in Deutschland viele gute Ansätze, Methoden und Strukturen für Beteiligung, aber sie können aufgrund der fehlenden Beachtung und häufig auch der unzulänglichen Finanzierung (zum Beispiel weil der Status eines Projektes unsicher ist) sowie der fehlenden gesetzlichen Verpflichtungen (zu viele Kann- und Soll-Regelungen) ihre Wirkung nicht ausreichend entfalten.
In Baden-Württemberg hat die Aufnahme der Kinderrechte in die Landesverfassung dazu geführt, dass unter anderem die Gemeindeordnung verändert wurde und dass landesrechtlich relevante Verträge und Entscheidungen, wie zum Beispiel Rahmenverträge und Vereinbarungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, das Kindeswohl und den Kinderschutz bereits in allen Punkten deutlich stärker in den Blick genommen haben. In gemeinsamer Verantwortung der Landesregierung und der freien Wohlfahrtspflege ist es gelungen, ombudsschaftliche Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe aufzubauen und dabei die Kinder und Jugendlichen zu beteiligen. Weitere Beteiligungsformen, zum Beispiel ein Landesheimrat oder Jugendforen, sind in Bearbeitung.
Themenschwerpunkt: Familienarmut soll bekämpft werden
Das verpflichtende Bekenntnis zu Kinderrechten wirkt sich auch erkennbar auf die Themenschwerpunkte des Landes Baden-Württemberg aus. Dabei ist insbesondere die Bekämpfung der Kinder- und Familienarmut ein vorrangiges Ziel: Im Jahr 2020 wird die Strategie „Starke Kinder – chancenreich" ein Schwerpunktthema des Landes sein.
In den Einrichtungen und Diensten des Caritasverbandes für die Erzdiözese Freiburg ist die Umsetzung der Kinderechte bereits seit Bestehen der UN-KRK ein fester Bestandteil der täglichen Arbeit. In der Begleitung der Kinder und Jugendlichen stellen die Mitarbeiter(innen) jedoch immer wieder fest, dass die Kinder zum Spielball anderer Interessen werden und Erwachsene ohne eine altersentsprechende Beteiligung über ihre Köpfe hinweg entscheiden. Umfang und Art der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen hängt aufgrund fehlender Verpflichtung von den Kompetenzen der Entscheidungsträger ab und beeinträchtigt an vielen Stellen den Kinderschutz.
In den Beteiligungsgremien des DiCV Freiburg (wie in Heimräten, Jugendforen oder Kinderkonferenzen) ist immer wieder zu erfahren, wie reflektiert Kinder und Jugendliche über sich und ihre Zukunft nachdenken und welche Lösungen sie in ihrer prekären Lebenssituation gerade sehen. Verpflichtungen schaffen an dieser Stelle eine höhere Verbindlichkeit.
Bedeutung der Kinderrechte erfordert den stärksten Rechtsstatus
Die Gesetze auf Bundes- und Landesebene ermöglichen auch heute schon an vielen Stellen, sich am Kindeswohl zu orientieren und den Kinderschutz sowie die Gewährleistung des Rechts auf Betroffenenbeteiligung sicherzustellen. Die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention hat in Deutschland dahingehend bereits vieles bewirken können.
Die Argumentation allerdings, dass Bundes- und Landesgesetze lediglich vehementer im Hinblick auf Kinderrechte und Kinderschutz umgesetzt werden müssten und deshalb keine Verankerung im Grundgesetz notwendig sei, ist zu kurz gegriffen. Die Bedeutung der Kinderrechte für die Gesellschaft und für eine lebenswerte Zukunft erfordert den stärksten Rechtsstatus, den ein Land seinen Kindern bieten kann. Dieser Anspruch kann nur durch das Grundgesetz und damit durch einen eigenen Rechtsanspruch des Kindes festgeschrieben werden.
Dafür setzt sich der Diözesan-Caritasverband Freiburg schon seit vielen Jahrzehnten ein und erlebt eine kinderrechtebasierte Arbeit auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen als bereichernd und längst überfällig.
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