Grenzen der Resilienzförderung
Im Zuge der Resilienzforschung wurde entdeckt, dass sich – entgegen der üblichen Erwartung – manche Menschen auch angesichts widrigster Umstände normal entwickeln. Seitdem überwiegt die Einstellung, dass Resilienz erstrebenswert ist1; dies gilt für den Bereich der Sozialwissenschaften ebenso wie für die (Bildungs-)Gesellschaft. Doch hat die Resilienzförderung eindeutig ihre Grenzen. Auch gut geleistete soziale Arbeit erzielt dieselben Ergebnisse, wie man sie sich von optimaler Resilienzförderung verspricht.
Resilienzförderung mit Vorbehalt
Wenn ein Mensch rückblickend erkennt, dass er in einer Phase seines Lebens (erstaunlicherweise) große Widrigkeiten ausgehalten oder viele Probleme durchgestanden hat, sich dabei auch noch ohne nennenswerte Schwierigkeiten entwickeln konnte, dann darf er getrost sagen, dass er resilient war. Resilienz kann man nicht nur bei sich selbst erkennen, sondern auch anderen Personen zuschreiben. So kann etwa Viktor Frankl Resilienz attestiert werden, der selbst die Zeit in Konzentrationslagern gut überstanden hat, wo er Vater, Mutter, Bruder und seine Ehefrau verlor, und im weiteren Verlauf seines Lebens die ermutigende Logotherapie entwickeln konnte.
Wenn aber ein Mensch in der Wohlstandsgesellschaft und nicht etwa in Armut oder großen Krisen Resilienz anstrebt, liegt eine völlig andere Ausgangslage vor. Hier geht es um Prävention, und es stellt sich die Frage, welche Stärke mit Hilfe welcher Methoden oder Ressourcen erreicht werden soll.
Wieder eine andere Konstellation ist gegeben, wenn jemand meint, einen anderen Menschen resilient „machen“ zu können. Wenn also Resilienzförderung in Kindergärten, Schulen oder auch Firmen zum Programm gemacht wird, ist dringend geboten, die Grenzen dieses Vorhabens zu benennen. Die Begrenztheit bewusst zu machen ist unter anderem deshalb geboten, da eine nicht angemessene und im Grunde auch nicht angestrebte Ideologie zugrunde liegen könnte. Soll etwa die Jugend „zäh wie Leder“ sein?
Seminare für Wirtschaft und Behörden
Um das Jahr 2011 waren in der Fachwelt die Begriffe Resilienz und Resilienzförderung in aller Munde. Wenn man heute in die Programme von Akademien, Instituten und Krankenkassen schaut, sind Resilienztrainings sehr oft zu finden. Auch freie Coaches sind dazu buchbar. Mitarbeitende in der Wirtschaft aber auch im öffentlichen Dienst sollen davon profitieren.
Dass sich Menschen gegenwärtig so sehr auf Stärken, Fähigkeiten und ihnen innewohnende Ressourcen ausrichten wollen, ist durchaus erfreulich; es ist nur zu begrüßen, dass viele eine Verbesserung ihrer persönlichen Entwicklung anstreben. Doch die Versprechen, die in den Seminaren gegeben werden, sind oft überhöht: Das Seminar solle helfen, die persönliche Widerstandskraft zu stärken und diese gezielt bei Belastungen einzusetzen. Selbst die besten Coaches können mit idealen Methoden in zwei Tagen nicht die langfristige Verbesserung erzielen, die durch den „Resilienzfaktor Nr. 1“ erreicht wird: die enge Bindung eines Menschen an seine wichtigste Bezugsperson. Eine tragfähige und über Jahre aufgebaute Beziehung ist um ein Vielfaches wichtiger und ausschlaggebender für die Resilienzförderung als ein gezielter Rückgriff auf eine andere Ressource, welcher durchaus trainiert werden kann.2
Konsequent bekannte Methoden umsetzen
In der Politik wird immer wieder die Frage gestellt, ob es neue Gesetze braucht oder lediglich die konsequentere Umsetzung der bestehenden Gesetze. Analog dazu könnte man im sozialwissenschaftlichen Kontext die Frage stellen, ob es neue pädagogische Konzepte braucht oder nur die konsequentere Umsetzung bereits bekannter Ansätze oder Methoden.
Der Hype um Resilienz bringt gewiss Positives mit sich, aber braucht es speziell ihn für die Förderung von Stärken? Zielen nicht die Grundanliegen der familiären Erziehung, der Früh- und Schulpädagogik sowie der Erwachsenenbildung ohnehin genau auf die Entwicklung von Resilienz ab? In der Regel nicht explizit – wohl aber indirekt und wirkungsvoll. Das „Rad“ der Pädagogik muss also nicht neu erfunden werden – sie bräuchte auch nicht unbedingt die Ergänzungen aus der Resilienzforschung, da die konsequente Umsetzung der bestehenden Methoden automatisch Resilienzförderung bewirkt.
Ergänzend sei auf einige der Resilienzforschung nahestehende Konzepte beziehungsweise Methoden zur Persönlichkeitsentfaltung hingewiesen: Coping (Bewältigungsstrategie), Hardiness (Robustheit), Salutogenese (dort vor allem Kohärenzsinn beziehungsweise Kohärenzgefühl), Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Optimismus, Empowerment und nicht zuletzt die Bindungstheorie. Der Blick in die pädagogische Praxis lässt erkennen, dass stets mindestens eine der aufgezählten Strategien beziehungsweise Theorien angewandt wird oder die Grundlage des Handelns darstellt.
Wenn ich mit Wertschätzung und Interesse an der Person deren Handlung lobe3 und somit die Selbst­wirksamkeits-Überzeugung stärke, ist das ein Resilienzfaktor, der bei mehrmaliger Wiederholung die Resilienz fördert. Naturgemäß geschieht dies im Erziehungsalltag zwischen Eltern und Kleinkindern, im Idealfall laufen solche Prozesse aber auch in der Schule und im Berufsleben ab.
„Auf eigenen Beinen stehen“ und zwar finanziell, sozial und auch emotional – dies kann ein Ziel von Erziehung sein, aber auch ein Ziel von sozialer Arbeit; denn soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession die Entwicklung von Menschen und stärkt dabei Autonomie und Selbstbestimmung. Gleichzeitig wird die Professionalität am Handeln nur wenig deutlich, da die Tätigkeitsbereiche global sind und die Interventionen oder Maßnahmen oft nach einer einfachen Alltagshilfe aussehen. Die pädagogisch-erzieherische Förderung, die anwaltschaftliche Vertretung, die vernetzende und nachhaltige Integration beziehungsweise Inklusion – all dies steht im Mittelpunkt sozialpädagogischer Handlungen beziehungsweise personenbezogener Hilfestellung. Genau dieses Agieren kann (insbesondere dann) zu Resilienz beim Hilfeempfangenden führen und stellt somit Resilienzförderung dar, sofern die (Arbeits-)Beziehung über einen längeren Zeitraum gepflegt wird.4
Resilienzförderung in den Zusammenhang mit sozialer Arbeit zu bringen macht insbesondere deshalb Sinn, weil die Felder der sozialen Arbeit in Lebensrealitäten von Menschen reichen, die mit gewissen Not­situationen zusammenhängen. Verkürzt gesagt: Ein Mensch, der soziale Arbeit in Anspruch nimmt, leidet Not. Und dies ist eine nicht zu vernachlässigende Grundvoraussetzung, um das Konzept Resilienz anzuwenden, und somit auch der Resilienzförderung.
Resilienz ist oft ein Beiprodukt
Resilienz ist erstrebenswert und doch nicht immer ein Ergebnis des Strebens und Förderns. Resilienz ist oft ein Geschenk, eine Art Beiprodukt auf dem begleiteten Weg der Persönlichkeitsentfaltung. Sie entsteht oft wie von selbst, wo Menschen in Beziehung leben, sei es im Familienalltag, in der Schule, bei der Erwerbsarbeit. Und immer wenn speziell Hilfe und Förderung nötig ist, kann sich auch soziale Arbeit Resilienzförderung auf ihre Fahnen schreiben – ganz ohne Hype.5
Die Entwicklung von personaler Resilienz ist möglich, aber eng begrenzt. Die Begrenzung liegt vor allem darin, dass kurze Interventionen zu einem schwachen oder gar keinem Erfolg führen. Möglich wird Resilienzförderung immer dann, wenn Beziehungen gestaltet und (mit einem Ziel) über einen gewissen Zeitraum hinweg gehalten werden. Soziale Arbeit kann genau dies; insbesondere dann, wenn Vertrauen zwischen hilfeempfangender und helfender Person wächst und durch das Ergründen von Nöten sowie die Hilfestellung und Begleitung ein (gemeinsamer) Weg zur selbstbestimmten Teilhabe beschritten wird.
Anmerkungen
1. Vgl. die Formulierung der WHO in Health 2020 (dt. Gesundheit 2020): „In ‚Gesundheit 2020‘ wird ein besonderer Schwerpunkt auf die Schaffung widerstandsfähiger Gemeinschaften und das Konzept Hilfe zur Selbsthilfe gelegt.“ (Seite 210).
2. vgl. Rönnau-Böse, M.; Fröhlich-Gildhoff, K.: Resilienz und Resilienzförderung über die Lebensspanne. Stuttgart: 2015, Seite 21 f.
3. Lob impliziert eine Wertung. Diese ist in früher Kindheit relevant. Im weiteren Verlauf der Kindheit und Jugend ist Ermutigung eher angesagt als Lob.
4. Die Berücksichtigung des Zeitfensters von mindestens fünf Monaten und maximal fünf Jahren gilt für die Bestimmung von personaler Resilienz (vgl. Stangl, E. D.: Resilienz durch Glauben? Die Entwicklung psychischer Widerstandskraft bei Erwachsenen. Ostfildern: 2017, Seite 82) und gilt auch für die Resilienzförderung.
5. Vgl. die Ausführung von Freyberg, T. von: Resilienz – mehr als ein problematisches Modewort? In: Zander, M. (Hrsg.): Handbuch Resilienzförderung. Wiesbaden, 2011, Seite 221: „Allen erzieherischen, sozialpädagogischen, aber auch psychotherapeutischen Bemühungen geht es letztlich darum, die gesunden, lebensbejahenden seelischen Kräfte, also die Resilienz ihrer Klientel zu stärken.“
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