Passgenau planen – wirksam helfen
Wer Menschen mit Behinderung auf Augenhöhe unterstützen, ihre gesellschaftliche Teilhabe verbessern und ihre Lebensqualität erhöhen will, der muss zunächst einmal die richtigen Fragen stellen: Was versteht der Betroffene überhaupt unter Lebensqualität und Teilhabe? Wie sehen seine individuellen Ziele aus, und was hat ihn bisher daran gehindert, sie zu erreichen? "Wirksam sind unsere Leistungen dann, wenn sie so individuell und passgenau wie möglich sind", sagt Manfred Schulte, Geschäftsführer des katholischen Sozialunternehmens Josefs-Gesellschaft. "Um das zu gewährleisten, arbeiten wir mit System - und dieses System heißt ICF."
ICF lautet die Abkürzung für "International Classification of Functioning, Disability and Health", ein Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das Besondere: Die ICF beruht auf dem biopsychosozialen Modell, das den Menschen in den drei wesentlichen Dimensionen seiner Existenz (bio-psycho-sozial) beschreibt. Sie ermöglicht somit einen ganzheitlichen Blick auf den Menschen, seine Ressourcen und Bedarfe. "Behinderung" definiert die ICF als das "Ergebnis der negativen Wechselwirkung zwischen einer Person mit einem Gesundheitsproblem und ihren Kontextfaktoren auf ihre funktionale Gesundheit". Anders als andere Klassifikationssysteme berücksichtigt die ICF somit auch Umweltfaktoren. Ein Beispiel: Wer als Rollstuhlfahrer in einer völlig barrierefreien Umgebung lebt, hat eine körperliche Beeinträchtigung, die ihn jedoch nicht maßgeblich behindert. Würde dieselbe Person in einer Dachwohnung ohne Fahrstuhl wohnen, sähe das anders aus. Aus dem Fokus, den die ICF setze, ergebe sich ein klarer Auftrag für die Behindertenhilfe: die funktionale Gesundheit eines Menschen herzustellen durch die Beseitigung behindernder Faktoren - und zwar genau da, wo die individuellen Ressourcen eines Menschen und die seines sozialen Umfelds nicht ausreichten, erläutert Manfred Schulte.
Vereinbarte Ziele werden überprüft
Veranschaulichen lässt sich das am Beispiel Mobilität: Lukas Schneider (Name von der Red. geändert), Bewohner des Josefsheims in Bigge, hat ein Teilhabeplanungsgespräch mit seinem Case-Manager. Gemeinsam wird zunächst überprüft, inwiefern die im letzten Termin vereinbarten Ziele erreicht wurden. An welchen Stellen gab es Fortschritte, wo besteht besonderer Handlungsbedarf? Welche Maßnahmen waren erfolgreich und welche weniger? Punkt für Punkt werden sogenannte ICF-Items in den Blick genommen und auf einer Skala von 1 bis 3 - "geringe Funktionseinschränkung" bis "erhebliche Funktionseinschränkung" - eingeordnet. Eines der Items lautet: "Sich unter Verwendung von Geräten/Ausrüstung fortbewegen". Lukas Schneiders Ausrüstung ist ein Elektrorollstuhl. Weil er seine Lenktechnik in den letzten Monaten deutlich verbessert hat, trägt der Case-Manager statt einer Drei diesmal eine Zwei ein. An dieser Stelle ist künftig keine Assistenzleistung mehr notwendig.
Was dem Bewohner des Josefsheims dagegen noch erhebliche Probleme bereitet, ist das Item "Transportmittel benutzen" - und gerade das ist ihm besonders wichtig. "In einem halben Jahr möchte ich so weit sein, dass ich ohne Assistenz mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen kann", sagt der 31-Jährige. Damit würden sich auch seine Chancen auf einen Arbeitsplatz außerhalb der Werkstatt für behinderte Menschen deutlich erhöhen. Sein Case-Manager schlägt ihm die Teilnahme an einem speziellen Mobilitäts-Assessment mit anschließendem Mobilitätstraining vor.
Trainingseinheit: Fahrschein lösen
Das Josefsheim bietet ein Mobilitätstraining auf der Basis eines differenzierten Assessments mit dazu passenden praktischen Lerneinheiten an. Entwickelt wurde beides im Rahmen des Projekts "Kompetent mobil", an dem neben dem Josefsheim eine weitere JG-Einrichtung, das Berufsförderungswerk (BFW) Bad Wildbad, federführend beteiligt war. Zu den Kooperationspartnern gehörten außerdem die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) und der Deutsche Rollstuhl-Sportverband (DRS). "Bei der ICF-basierten Teilhabeplanung war immer wieder Schwarz auf Weiß zu sehen, wie groß der Bedarf nach Mobilitätsförderung ist", so Wolfgang Dings, Geschäftsführer des BFW Bad Wildbad und Initiator von "Kompetent mobil". Die vorhandenen ICF-Items seien jedoch nicht aussagekräftig genug gewesen, um diesen Bedarf differenziert beurteilen zu können. So entstand die Idee, die Standard-Items zur Mobilität weiter auszuarbeiten. Wo vorher nur von "Transportmittel nutzen" die Rede war, findet man jetzt Trainingseinheiten wie "Durchsagen und Hinweise beachten und verstehen" oder "Einen Fahrschein lösen".
Entstanden ist ein ausführliches, ICF-basiertes Assessment-Instrument, mit dem Lukas Schneider jetzt genau herausfinden kann, warum ihm das Bus- und Bahnfahren Probleme bereitet. Anschließend kann er diese Probleme gezielt angehen und seine Mobilität, entsprechend seinen persönlichen Zielen, effektiv verbessern. Im Josefsheim wird er dabei von einem hauptamtlichen Mobilitätstrainer unterstützt. Auch das BFW Bad Wildbad hat sein Leistungsspektrum erweitert: Die Physiotherapie bietet jetzt fünfmal pro Woche Mobilitätstrainings an. "An diesem Beispiel wird deutlich, dass die ICF nicht beim Individuum aufhört, sondern dass sie außerdem wichtige Impulse zur Unternehmensentwicklung setzen kann", sagt JG-Geschäftsführer Manfred Schulte. Ein Übungshandbuch, das passend zum Assessment-Instrument entwickelt wurde, ist in einigen JG-Einrichtungen bereits zum Standardwerk geworden. Beides steht auch externen Interessierten unter www.kompetent-mobil.de kostenlos zur Verfügung.
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