„Jetzt fühle ich mich gerüstet für schlechte Zeiten“
Im Alten- und Service-Zentrum (ASZ) läutet das Telefon. Am Apparat ist Herr K. Er hat aus einem der Perlacher Stadtanzeiger von unserem neuen Angebot, den präventiven Hausbesuchen, erfahren.
Herr K. erzählt, dass er 79 Jahre alt sei und seit einigen Jahren verwitwet. Er lebt in einem großen Haus und kann seine alltäglichen Verrichtungen noch selbstständig bewerkstelligen: einkaufen, seinen Haushalt erledigen, sich um seinen Schriftverkehr kümmern, zum Arzt gehen (…). Seit geraumer Zeit jedoch beschäftigt ihn immer mehr die Frage, was denn wäre, wenn er sich einmal nicht mehr selbst versorgen kann. Er hat zwar einen Sohn, der lebt aber in einer anderen Stadt, nicht gerade um die Ecke. Wer kann ihn im Bedarfsfall unterstützen, und was kann er vorsorglich regeln? Er möchte gerne mehr erfahren über den Hausnotruf, den Menüservice, über Ansprechpartner, falls er Pflege bräuchte. Und er möchte Informationen zur Patientenverfügung. Deshalb will er wissen, ob er zur Beantwortung seiner Fragen einen präventiven Hausbesuch haben kann.
Bereits seit 1979 baut die Landeshauptstadt München konsequent ein Netz von Alten- und Service-Zentren (ASZ) aus. Derzeit sind es 32 Häuser. Betriebsführende Träger sind die Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Ein ASZ betreibt die Landeshauptstadt selbst.
Das Konzept der ASZ wird bundesweit auch als "Münchner Modell" bezeichnet - ist doch München die einzige Großstadt, die ein kleinräumiges, dezentral aufgebautes und nahezu flächendeckendes Netz an Beratungs-, Begegnungs- und Versorgungsangeboten für ältere Menschen und deren Bezugspersonen in dieser Form bereithält und finanziert.
Alle 32 Zentren haben die gleiche Konzeption
Im Einzugsgebiet eines ASZ leben je nach Siedlungsstruktur zwischen 4500 und 20.000 Menschen ab 65 Jahren. Jedes der 32 ASZ arbeitet auf der Basis der gleichen Konzeption. Das konkrete Leistungsangebot vor Ort ist jedoch ganz unterschiedlich. Es orientiert sich an den Gegebenheiten vor Ort und vor allen Dingen an den Bedürfnissen der Menschen, die im Einzugsgebiet des jeweiligen ASZ leben. Allen Häusern gemeinsam sind die vier Grundpfeiler: Begegnung, Beratung, Begleitung und Beteiligung und das Bemühen, den Zugang zu den Angeboten so niederschwellig wie nur möglich zu gestalten.
Ein weiterer wichtiger Baustein der ASZ-Arbeit ist die Vernetzung und Kooperation mit allen Akteuren der Altenhilfe im Einzugsgebiet und darüber hinaus.
Oberstes Ziel der Alten- und Service-Zentren ist es, die älteren Menschen dabei zu unterstützen, so lange wie möglich selbstständig, selbstbestimmt und in Würde in der eigenen Häuslichkeit leben zu können. Prävention war und ist in diesem Zusammenhang von jeher ein wichtiges Thema.
Von 2010 bis 2014 wurde von der Landeshauptstadt München deshalb ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt durchgeführt, bei dem sogenannte "präventive Hausbesuche" über verschiedene Zugangswege in kleinräumigen Quartierseinheiten ausprobiert wurden. Mit Hilfe dieses Projektes sollte eruiert werden, wie insbesondere hochaltrige Frauen und Männer erreicht, informiert und beraten werden können noch bevor ein akuter Hilfebedarf vorliegt.
Nach Beendigung und Auswertung des Projekts hat der Münchner Stadtrat beschlossen, dass dieses präventive Angebot mit in den Leistungskatalog der Alten- und Service-Zentren aufgenommen werden soll.
In einem ersten Schritt wurden sieben der 32 ASZ personell um 1,5 Planstellen auf insgesamt vier Vollzeit-Sozialpädagogen-Stellen aufgestockt. Ein Anteil von 0,5 Stellen ist hierbei ausschließlich für die präventiven Hausbesuche vorgesehen.
Caritas: Hausbesuche sind durchweg positiv
Seit März 2015 bietet das Alten- und Service- Zentrum Perlach in Trägerschaft des Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising die präventiven Hausbesuche an. Das ASZ startete sein neues Angebot mit zwei Sozialpädagoginnen in Teilzeit, die für die Besuche zuständig sind.
Die Bilanz nach knapp zweieinhalb Jahren ist durchweg positiv. Mit den präventiven Hausbesuchen gelingt es tatsächlich, Menschen zu erreichen, die sich bisher nicht von den Angeboten des ASZ Perlach angesprochen fühlten. Die allermeisten Seniorinnen und Senioren möchten, trotz der einen oder anderen altersbedingten Einschränkung, ihren eigenen Lebensstil weiter beibehalten. Das Streben nach Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit ist ein zentraler Bestandteil der Lebensführung. Genau hier greifen die präventiven Hausbesuche: Dieses Angebot ermöglicht es den Menschen, sich an das ASZ zu wenden, ohne dass sie für sich selbst oder der Einrichtung gegenüber einen konkreten Hilfebedarf benennen oder identifizieren müssten. "Eine Institution einschalten zu können, ohne Gefahr zu laufen, dass die bisherige Lebensführung gleich infrage gestellt wird und man das Heft aus der Hand genommen bekommt, ist unserer Interpretation nach das entscheidende Kriterium, sich an uns zu wenden", so die Aussage einer Beraterin.
Wo gibt es Hilfe?
Nur bei etwa zehn Prozent der Anfragen handelt es sich eindeutig um einen präventiven Hausbesuch. In den meisten Fällen identifizieren die Beraterinnen sehr schnell einen konkreten Hilfebedarf. Im Laufe eines unverbindlichen Gesprächs erfahren die Sozialpädagoginnen, dass sich viele Seniorinnen und Senioren bei der Gestaltung ihres Alltags überfordert fühlen und zahlreiche Unklarheiten darüber bestehen, wie und wo sie Unterstützung erhalten können.
Was der Begriff "präventiv" für den Einzelnen bedeutet, ist meist eine Frage der Perspektive: Auch wenn es offensichtlich Hilfebedarf gibt, wird dies aus Sicht der Seniorinnen und Senioren nicht so empfunden. Für sie ist der Besuch absolut präventiv, erfolgt also vorsichtshalber und vorsorglich. Beraterinnen müssen hier sehr feinfühlig agieren.
Auch viele Angehörige (circa 35 Prozent) nehmen das Angebot der präventiven Hausbesuche für ihre Eltern beziehungsweise Geschwister in Anspruch. Die Themen Vereinsamung oder Demenz spielen eine große Rolle. Die Beraterinnen nehmen immer wieder eine vermittelnde Rolle ein, damit Hilfemöglichkeiten bekannt werden und von den Senioren angenommen werden können. Grundsätzlich gilt: Der präventive Hausbesuch ist absolut freiwillig und geschieht nur mit ausdrücklicher Einwilligung des zu Besuchenden. Er kann einem älteren Menschen nicht verordnet werden, nur weil ein besorgter Angehöriger dies für notwendig hält.
Kommt ein Hausbesuch zustande, dann ist das Thema, das am häufigsten angesprochen wird, die Frage nach alltagsunterstützenden Hilfen: haushaltsnahe Dienstleistungen wie das Reinigen der Wohnung, Hilfe beim Einkaufen, Begleitung zum Arzt. Sehr oft werden auch Fragen zu Krankheitsbildern im Alter und den entsprechenden Versorgungsmöglichkeiten gestellt; gefolgt von Fragen nach finanziellen Hilfen und zur rechtlichen Betreuung. Im Zuge des präventiven Hausbesuchs wurden bei einigen älteren Menschen auch Maßnahmen zur Anpassung der Wohnung vorgenommen wie der barrierefreie Umbau des Badezimmers.
Nicht immer gibt es ein passendes Angebot
Ein großes Problem, das im Zusammenhang mit der Frage nach Unterstützungsangeboten in der Häuslichkeit auftaucht, ist der Mangel an passenden Angeboten. Gerade im Bereich der Haushaltshilfen gibt es zum einen zu wenige Anbieter, die sich in die Lebenswelt des älteren Menschen eindenken und sensibel auf dessen Bedürfnisse reagieren können. Zum anderen sind die Angebote für viele Seniorinnen und Senioren zu kostenintensiv. Sie bräuchten ein einkommensabhängiges Subventionssystem, das die oft prekäre finanzielle Situation berücksichtigt.
Gerade für die älteren Menschen, bei denen im Rahmen des präventiven Hausbesuchs ein konkreter Hilfebedarf identifiziert wird, ist es wichtig, dass ein entsprechendes Unterstützungsangebot zur Verfügung steht. Dies zu erarbeiten wird in Zukunft unser aller Aufgabe sein. So können die präventiven Hausbesuche im Lebenssystem der älteren Menschen eine positive Wirkung entfalten, die ihrem Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Selbstständigkeit gerecht wird. So wie bei Herrn K., der uns folgende Mail schrieb: "Ich danke Ihnen für die nette und kompetente Beratung. Jetzt fühle ich mich gerüstet für schlechte Zeiten (...) und im schlimmsten Fall darf ich mich wieder an Sie wenden."
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