Flüchtlinge integrieren – wer, wenn nicht die Caritas?
Gegenwärtig wird der öffentliche Diskurs mehr und mehr von Fragen der Integration von Flüchtlingen bestimmt. Nicht immer geht es dabei darum, die Integration insbesondere in Arbeitsmarkt und Ausbildung in einer Weise zu gestalten, die allen Schutzsuchenden Chancen der Teilhabe eröffnen. Vielmehr widersprechen die dabei zugrundeliegenden ordnungsrechtlichen Erwägungen nahezu allen Regeln der Kunst - also allen sozialpolitischen Erkenntnissen und Regelstandards für eine gelingende Arbeitsmarktintegration. Statt ein funktionierendes System der Förderung zu etablieren - dazu gehören die Vereinheitlichung der Rechtskreise ebenso wie ausreichende aufeinander abgestimmte Förderprogramme - werden Forderungen nach Sanktionen gegen vermeintlich integrationsunwillige Flüchtlinge in den Vordergrund gestellt.1 Diskussionen um die Aussetzung des Mindestlohns, den umfänglichen Zugang zu Leiharbeit oder die inflationäre Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten deuten darüber hinaus darauf hin, dass nicht Entwicklung und Förderung der Potenziale von Flüchtlingen, sondern deren Wertabschöpfung im Vordergrund der Begehrlichkeiten stehen. Auch das Eckpunktepapier zum Integrationsgesetz, das am 14. April 2016 vom Koalitionsausschuss vorgestellt wurde, folgt diesem Trend und lässt wirkungsvolle Strategien vermissen, Mängel und Fehler in der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik der Vergangenheit zu beheben.2
Wenn wir also von Beschäftigung und Arbeitsmarktintegration für Flüchtlinge sprechen, dann müssen wir zunächst klarstellen, dass davon weder Menschen ausgeschlossen noch Absichten verfolgt werden sollen, sie als Billiglohnkohorte zu nutzen. Das primäre Ziel muss es sein, Flüchtlingen die Teilhabe an unserer Gesellschaft - und damit vor allem auch am Arbeitsmarkt - zu ermöglichen, um ein Leben in Würde führen zu können.3 Das schließt die frühestmögliche Förderung von Potenzialen ein, das heißt, Flüchtlinge müssen ausgebildet und fortgebildet werden, um beschäftigungsfähig zu sein. Die Frage einer Bleibeperspektive stellt sich dabei nicht am Anfang, sondern am Ende eines Asyl- beziehungsweise Aufenthaltsverfahrens. Was aber sind die wesentlichen Rahmenbedingungen und Beweggründe, die es für die Caritas interessant machen, Flüchtlinge auszubilden und zu beschäftigen?
Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen wird eine dauerhafte und vor allem langfristig ausgerichtete Aufgabe sein. Angesichts einer exorbitant hohen Zahl nicht bearbeiteter Asylanträge, also auch weiterhin sehr langer Asylverfahren4 und einer gleichzeitig hohen Schutzquote5, dürften sich die Integrationsquoten aus der Vergangenheit - auch mit umfassenderen Förderprogrammen als bisher - nicht deutlich verbessern lassen. Das Statistische Bundesamt stellte für das Jahr 2013 fest, dass nur 0,9 Prozent der Asylsuchenden einen Vollzeit- und weitere 1,5 Prozent einen Teilzeitjob hatten.6 Im Jahr 2015 erhielten 32.238 Asylsuchende und 7100 Geduldete eine Beschäftigungserlaubnis.7 Laut "Süddeutscher Zeitung" vom 1. Oktober 2015 schafften es nur acht Prozent der schutzberechtigten Flüchtlinge im ersten Jahr ihres Aufenthalts, einen Job zu finden, nach fünf Jahren waren es 50 Prozent, und nach 15 Jahren erreichten Flüchtlinge den durchschnittlichen Beschäftigungsgrad von Ausländer(inne)n.
Die Anforderungen an die Arbeitsmarkt- und die Bildungspolitik werden also hoch sein. Je früher sich aber Arbeitsverwaltung und Sozialwirtschaft den Aufgaben stellen, umso geringer ist die Gefahr, kostenintensiv die Folgen langjähriger Arbeitslosigkeit beseitigen zu müssen. Das allein sollte auch für die Caritas Ansporn sein.
Bereits heute fällt es manchen Fachbereichen der Caritas schwer, ihre offenen Stellen zu besetzen. Das betrifft nicht nur die Pflegeberufe, sondern wird zunehmend in allen Bereichen der sozialen Arbeit, im Projekt- und Wirtschaftsmanagement oder auch in der Verwaltung akut. Eine hohe Altersstruktur in den Einrichtungen der Caritas wird diese Lage alsbald verschärfen.8 Ende Februar 2016 waren circa 300.000 erwerbsfähige Flüchtlinge aus nichteuropäischen Hauptherkunftsländern bei den Kommunen registriert.9 Berücksichtigen wir die noch nicht erfassten Anträge und Flüchtlinge aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, dürfte die tatsächliche Zahl deutlich, vermutlich um weit mehr als das Doppelte höher liegen. Auch wenn es kaum belastbare Studien über die Qualifikationen der zu uns kommenden Flüchtlinge gibt, so lassen verschiedene Erhebungen den Schluss zu, dass das Bildungsniveau ausreicht, um mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes Schritt halten zu können.10
Junge Flüchtlinge bieten Planungssicherheit
Im Jahr 2015 waren 81 Prozent der Asylsuchenden jünger als 35 Jahre. 29 Prozent waren zwischen 16 und 24 Jahren und 26 Prozent zwischen null und 15 Jahren. Gut zwei Drittel sind männlich. Bei den schutzberechtigen Flüchtlingen sind Alters- und Geschlechterverhältnisse ähnlich verteilt.11 Dieses außerordentlich hohe Bildungspotenzial lässt (Aus-)Bildungsfragen in den Vordergrund rücken und schafft im Sinne einer nachhaltigen Personalentwicklung Planungssicherheiten. Dabei sollte die Caritas auch die Entwicklung zukunftsweisender Konzepte (Seiteneinstiege in ein Studium, modulare und duale sowie assistierte Ausbildungsgänge) in den Blick nehmen und hier gemeinsam mit Hochschulen, Betrieben und dem Personalmanagement progressive, den besonderen (Bildungs-)Bedarfen der Flüchtlinge gerecht werdende Wege gehen.
Caritas kann ihren Marktvorteil nutzen
Soll ein Flüchtling eingestellt werden, stellen sich den Unternehmen viele Fragen, wie etwa:
- Hat der Flüchtling bereits eine Beschäftigungserlaubnis?
- Wer ist für die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis zuständig?
- Welche Sicherheit besteht, dass eine begonnene Ausbildung beendet werden
kann? - Kann er/sie auch nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung im Betrieb bleiben?
Diese Fragen werden regelmäßig mit Unterstützung von Expert(inn)en zu beantworten sein. Die Antworten darauf wiederum können höchst unterschiedlich ausfallen, so dass auch die Flüchtlinge auf eine gute Beratung angewiesen sind. Im Unterschied zu einem Unternehmen in der freien Wirtschaft verfügt die Caritas selbst über diese Expert(inn)en, ist also in diesen Bereichen nicht auf externe Hilfe angewiesen. Diesen Vorteil gilt es zu nutzen.
Der Diözesanverband Osnabrück ist im Übrigen gleich einen Schritt weiter gegangen und hat mit finanzieller Unterstützung des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums eine zentrale Beratungsstelle (ZBS AuF)12 eingerichtet, die Unternehmen in Niedersachsen, die Flüchtlinge beschäftigen möchten, rechtliche, unternehmensstrategische und zielgruppenspezifische Beratung und Information anbietet.
Schließlich werden gegenwärtig in durchaus umfangreichem Maß neue Förderinstrumente zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen eingesetzt und bisherige finanziell besser ausgestattet. Dass das nicht ausreicht, wurde (teilweise) erkannt, so dass davon auszugehen ist, dass zukünftig mehr Mittel und gegebenenfalls auch zusätzliche Unterstützungsinstrumente insbesondere auch für Arbeitgeber eingesetzt werden. Das wird aber nicht gelingen, wenn - so wie nun unter anderem im Integrationsgesetz vorgesehen und leider immer wieder auch in der Praxis caritativer Arbeit eingesetzt - schwerpunktmäßig auf das Instrument der Arbeitsgelegenheiten gesetzt wird.13 Strategisch müssen alle Möglichkeiten in die Überlegungen einbezogen, also alle verfügbaren (finanziellen) Ressourcen genutzt werden. Arbeitsmarktpolitische Schritte für Flüchtlinge müssen im Zusammenhang mit den Bedarfen der Unternehmen stehen.
Eine Strategie zur Beschäftigung von Flüchtlingen
Angesichts der nicht gerade überbordenden Aktivitäten innerhalb der Caritas, Flüchtlinge zu beschäftigen, ist jede einzelne Aktivität wünschens- und lobenswert. Für ein großes Unternehmen, wie es die Caritas ist, macht es angesichts der zukünftigen personalstrategischen Herausforderungen aber Sinn, die Beschäftigung von Flüchtlingen zu einem regelmäßigen Bestandteil der Personalstrategien vor Ort werden zu lassen.
Innerhalb einer solchen Gesamtüberlegung lassen sich zunächst die strategischen Fragen in der Einrichtung klären:
- Wer hat die Federführung?
- Welche (gegebenenfalls externe) Fachexpertise oder welche Fachbereiche sollen einbezogen werden?
- In welchen Arbeits- oder Fachbereichen sollen/können Flüchtlinge beschäftigt werden?
- Was sind die exakten Profile?
- Welche Erwartungen müssen sofort, welche können zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden?
Wichtig ist auch, die Dienstgemeinschaft einzubeziehen. Es muss sowohl eine transparente Vorgehensweise und Information über die Vorhaben sichergestellt als auch abgeklärt werden, ob es Vorbehalte gegen die Einstellung von Flüchtlingen gibt. Das berührt auch das Selbstverständnis der Caritas als katholischem Wohlfahrtsverband.
- Besteht eine Bereitschaft, Dienstnehmer(innen) mit nichtchristlichem Glauben einzustellen?
- Wenn ja, gibt es Grenzen, und was bedeutet das für die Auswahl der Personen?
Auch im Einzelfall, auf jeden Fall aber im Rahmen einer Gesamtstrategie ist zu klären, in welchem Umfang der Caritasverband bereit ist, zusätzliche finanzielle Mittel bereitzustellen. Unter anderem sind Personalressourcen nötig, um bei der Einstellung von Flüchtlingen zu assistieren, um vorbereitende oder begleitende Qualifizierungen einzuleiten, um gegebenenfalls ein Krisenmanagement zu etablieren oder die Gesamtstrategie zu evaluieren.
Ein letzter großer Block der gesamtstrategischen Planungsarbeiten betrifft das Matching, also die Frage: Wie findet die Caritas für die vorgesehenen Stellen die "richtigen" Flüchtlinge? Wie wird die Zielgruppe erreicht? Welche regionalen Arbeitsmarktakteure müssen einbezogen werden? Wie wird ein erfolgreiches Matching sichergestellt?
Wir schaffen das!
Auch wenn dieser umfangreiche Aufgabenkatalog auf den ersten Blick so erscheint, als sei die Beschäftigung von Flüchtlingen eine immens arbeitsreiche und aufwendige Sache, so sollten wir uns innerhalb der Caritas vergegenwärtigen, dass die Fachexpertise in unseren Reihen eine erfolgreiche Umsetzung eines solchen Vorhabens sichern können sollte. Wer, wenn nicht wir, sollte deshalb bei der Integration von Flüchtlingen in der ersten Reihe stehen?
Anmerkungen
1. www.suedkurier.de, Suchwort "Flüchtlinge" Ausgabe vom 30.3.2016: De Maiziere will integrationsunwillige Flüchtlinge bestrafen.
2. Siehe www.proasyl.de/news/geplantes-integrationsgesetz-ist-autoritaere-integrationspaedagogik-fuer-fluechtlinge/
3. S. Leitbild DCV: www.caritas.de/glossare/leitbild-des-deutschen-caritasverbandes
4. Nach Recherche des Verfassers ergeben sich für 2015 nachfolgende Zahlen: 364.664 offene Verfahren plus 650.000 nicht registrierte Verfahren abzüglich circa 140.000 "Verschwundene": Rückstau nicht bearbeiteter Anträge circa 870.000.
5. Schutzberechtigte Flüchtlinge in den Jahren 2014 und 2015: circa 180.000 Personen, siehe auch BAMF Asylgeschäftsstatistik 12/2015, S. 10.
6. www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zuwanderung-elf-zahlen-die-zeigen-was-fluechtlinge-bringen-1.2623549-2
7. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/ 078/1807800.pdf, S. 45 ff.
8. Beispielhaft sei hingewiesen auf Rieger, K.: Die Folgen des demografischen Wandels auf das Personalmanagement - Herausforderungen und Handlungsempfehlungen am Beispiel des Caritasverbandes für die Diözese Osnabrück e.V. Masterarbeit erstellt am 13. Mai 2015 an der Hochschule Osnabrück.
9. Aus: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Gemeldete erwerbsfähige Personen aus nichteuropäischen Asylzugangsländern, Februar 2016.
10. Auswertung des BAMF zur Abfrage sozialer Komponenten bei Asylantragstellung. In: Pfeffer-Hoffmann, C. (Hrsg.): Profile der Neueinwanderung. 2015, S. 141 ff., www.iab.de/389/section.aspx/Publikation/k160205303
11. www.iab.de/389/section.aspx/Publikation/k160314v02
12. Die Website des Projekts und eine Materialsammlung ist zu finden unter: www.zbs-auf.info
13. Siehe dazu auch: www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/oekonomen-kritisieren-ein-euro-jobs-fuer-fluechtlinge-a-1077035.html
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