Kinderpsychodrama: stärkend und befreiend
"Ich bin ein Löwe!", "Ich bin die Prinzessin, und du bist mein Vater, der König!", "Ich bin ein Babyhund. Ich werde niemals groß."
Die Fantasie kennt keine Grenzen, wenn Stoffe, Kissen und Matten, Hüte, Seile und Taschen den Turnraum der Kindertagesstätte in Spielwelten verwandeln. Vier Kinder im Vorschulalter treffen sich mit Simone Auer und Tobias Glauch zum Rollenspiel. Der Sozialpädagoge mimt den schwarzen Ritter, der es auf die Krone der Prinzessin abgesehen hat. Schwupps, hat er sie geklaut. Doch der Prinzessin und ihren Freunden gelingt es, den Bösewicht zu überlisten und zur Strecke zu bringen. Großes Kino mit großen Gefühlen - Wut, Angst und Freude, Gemeinschaft und Stärke. Im Spiel ist alles erlaubt. "Das ist für Kinder existenziell", sagt Erzieherin Simone Auer. "Spielen ist ihr Weg, sich mit ihrem Selbst und der Umwelt auseinanderzusetzen. Und darin liegt die Möglichkeit, ihnen zuzuhören."
Deshalb haben Simone Auer und Tobias Glauch gemeinsam mit vier weiteren Mitarbeitenden das Projekt Kinderpsychodrama in den Einrichtungen des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) in Köln etabliert. In der psychodramatischen Gruppenarbeit entsteht beim symbolischen Rollenspiel ein Handlungsfeld, auf dem sich die Selbstorganisation der Kinder entfalten kann. Im kooperativen Prozess des gemeinsam entworfenen und inszenierten Spiels handeln sie ihre Rollen aus. Sie bearbeiten symbolisch Konflikte, sie erleben Handlungssequenzen, erproben spontane Impulse und finden kreative Lösungen.
Natürlich gehören Rollenspiele immer schon zum Alltag einer Kindertagesstätte. Sie finden in der Puppenecke statt oder auf dem Bauteppich, in der Turnhalle oder im Außengelände und manchmal unter dem nächsten Tisch. Ein Spiel aufrechtzuerhalten erfordert Ideen und Kommunikation, Empathie und Ausdauer. Wie verändert sich das Spiel, wenn die Kinder einen Erwachsenen einbeziehen? "Wir übernehmen Rollen, die Sicherheit geben, die versorgen und retten, aber auch die, die gejagt, überwältigt und am Ende bestraft werden", sagt Simone Auer. "Wir können dem Spiel Raum geben und das mit einer intensiven Betreuung abdecken, da wir immer zu zweit sind - ein Mann und eine Frau, was wichtig ist, um die verschiedenen Rollen zu besetzen." Zumal sich hinter Figuren wie dem König, der Königin häufig Familienkonstellationen verbergen. So zeigen die Kinder, was sie bewegt. "Wir werden sensibel für ihre Themen", betont Simone Auer, "wir bekommen ein anderes Verständnis für ihre Probleme und Stärken und können mit ihnen Lösungen erarbeiten - im Spiel wie im Alltag."
Kinder entlasten, Resilienz fördern
Fünf Kinderpsychodrama-Gruppen laufen derzeit in verschiedenen Familienzentren des SKM Köln, wobei der Fokus auf sozialen Brennpunkten im Stadtgebiet liegt. Zielgruppe sind Kinder im Vorschulalter, die Auffälligkeiten im Sozialverhalten zeigen. Die Gruppen sind altershomogen, umfassen aber verschiedene soziale Kompetenzen. Die optimale Gruppengröße liegt abhängig vom Alter bei vier bis sechs Kindern, damit sie die notwendige Zuwendung und Unterstützung in der Strukturierung des Spiels erhalten und das Spielgeschehen überblicken können. Häufig handelt es sich um Kinder, die Einzelgänger sind und nicht spielen können, die schüchtern oder ängstlich sind, aggressiv oder übermäßig angepasst, leicht kränkbar oder verschlossen, Demütigungen ausgesetzt oder ganz in die eigene Welt versponnen.
Oft stellen sich die familiären Hintergründe als sehr belastend dar, etwa wenn Eltern unter einer seelischen oder einer Suchterkrankung leiden. Mit dem Einverständnis der Eltern geben die Erzieher(innen) solche Informationen an das Psychodrama-Team weiter. Ziel ist es, die Kinder im Spiel zu entlasten und ihre Resilienz zu fördern, so dass sie gruppen- und schulfähig werden und ihre sozialen Kompetenzen erweitern können. Jede Gruppe ist auf die Laufzeit von einem Jahr angelegt. Die im Wochenrhythmus stattfindenden Stunden folgen einem gewissen Schema: Zunächst entscheiden die Kinder gemeinsam, welche Geschichten sie spielen möchten. Dabei dürfen sie ihre Ideen erläutern und miteinander verhandeln. Beliebte Spielwelten sind Bauernhof oder Tierpark, Piraten und Schatzsuche, Superhelden im Kampf gegen Monster oder Geschichten um Ritter und Prinzessinnen. Kulissen entstehen: Höhlen, Ställe oder Häuser, die während des Spiels den einzelnen Kindern auch als Schutzraum dienen, dazu gemeinsame Spielflächen wie Wald, Meer, Zoogelände, Piratenschiff… Die Kinder verkleiden sich, um in ihre selbstgewählten Rollen zu schlüpfen. Ein festgelegtes Eingangsritual markiert den Beginn des eigentlichen Spiels. Zwischendurch kann es Pausen geben, um neue Details abzusprechen, die Geschichte weiterzuspinnen oder auch zu verändern. Den Abschluss markiert wiederum ein Ritual als Signal an die Kinder, ihre Rollen abzulegen. Zu dieser Rückverwandlung gehören eine Zusammenfassung der Geschichte und die Würdigung dessen, was die Kinder aus ihren Rollen heraus geleistet haben. Für ältere Kinder folgt noch eine Gesprächsrunde.
Tiefgreifende Änderung des Selbstkonzepts
Zum Rollenspiel gehören klare Regeln und Grenzen. So können die Kinder im Spiel zwar alles machen, etwa die Bösewichte verprügeln, aber sie dürfen eben nur "so tun, als ob". Grenzüberschreitungen sind verboten, die Häuser der anderen dürfen nicht beschädigt werden, gegenseitiges Besuchen geht nur auf Nachfrage und Erlaubnis. Gespielt wird ausschließlich im jeweiligen Raum, eigenes Spielzeug darf nicht mitgebracht werden.
Thematisch geht es den Kindern sehr oft um die Auseinandersetzung zwischen "Gut und Böse". Die Kinder teilen die "bösen" Rollen stets einem der Erwachsenen zu und bestrafen ihn aus ihren Rollen heraus, indem sie ihn einsperren, auffressen oder einfach lächerlich machen. Durch die Erfahrungen im Spiel gewinnen sie an Selbstsicherheit und Kontrollfähigkeit über die Geschehnisse, was einen großen Einfluss auf ihre psychische Gesundheit hat. Sie gewinnen die Perspektive des schöpferisch Tätigen wieder und finden Zugang zur eigenen Kreativität. Daher muss dem Symbolspiel und den Symbolhandlungen als affektiv-kognitiven Freiräumen und Lernfeldern großes Gewicht zukommen. Das Kind bestimmt sein Verhältnis zu den anderen, äußert seine Ansprüche und kündigt seine Absichten an; es verhandelt über Normen und Sanktionen. Diese Erfahrungen können sein Selbstkonzept tiefgreifend verändern.
Psychodrama-Fortbildung
Das in dieser Form angewandte psychodramatherapeutische Arbeiten mit Kindern ist in den 1970er-Jahren entstanden, nachdem Versuche, die Erwachsenenmethoden des Psychodramas mit Kindern umzusetzen, gescheitert waren. Heute wird die Idee durch Anbieter wie das Kölner Psychodrama-Institut "Szenen" weitergetragen, bei dem sich bislang neun Mitarbeitende des SKM jeweils eineinhalb Jahre lang an insgesamt zehn Wochenenden für die Kinderpsychodrama-Methode nach Aichinger und Holl fortgebildet haben. Sie betreuen die derzeit fünf Gruppen in verschiedenen Familienzentren und erhalten Begleitung durch Supervision, um auftretende Themen adäquat bearbeiten zu können. Inzwischen übertragen sie viele Erfahrungen auch in den normalen Kita-Alltag. "Seit der Elementarbereich immer stärker Förderung und Bildung betont, wird das Spielen leider oft vernachlässigt", kritisiert Simone Auer. "In vielen Konzepten und Hilfeplänen wird es kaum mehr erwähnt. Dabei werden im Spiel alle basalen Fähigkeiten gefördert! Ich wünsche mir, dass möglichst viele Kinder, Familien und auch Pädagogen sich auf diese Weise begegnen können."
Weitere Informationen:
www.szenen-institut.de
www.psychodrama-kinder.de
oder direkt bei der Autorin
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