Suchthilfe für Menschen mit Migrationshintergrund
Menschen mit Migrationshintergrund stellen mit 20 Prozent einen bedeutsamen Teil der Bevölkerung in Deutschland dar.1 Mit 16,8 Prozent im ambulanten und 13 Prozent im stationären Bereich sind sie auch kein unbedeutender Teil der Klientel von Suchthilfeeinrichtungen.2 Der Deutsche Caritasverband führte daher 2012 eine Befragung in seinen Suchthilfeeinrichtungen durch als Ergänzung zur bundesweiten Erhebung zum Stand der interkulturellen Öffnung der verbandlichen Caritas. Ziel war es, daraus Ansatzpunkte zur Optimierung der Hilfen für Menschen mit Migrationshintergrund abzuleiten. Mehr als die Hälfte der Einrichtungen haben sich an der Erhebung beteiligt. Der Thematik wird eine hohe Relevanz beigemessen - gut 80 Prozent der Antwortenden halten die Verbesserung der Hilfemöglichkeiten für Menschen mit Migrationshintergrund für "wichtig" beziehungsweise "sehr wichtig".
Sprachkenntnisse sind das A und O der Beratung
Als häufigste Herkunftsländer der Klient(inn)en in den Einrichtungen werden Russland und die Türkei benannt, gefolgt von Kasachstan und Polen. 44,8 Prozent der ambulanten und 26,3 Prozent der stationären Einrichtungen geben an, spezielle Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zu Menschen mit Migrationshintergrund durchzuführen - darunter am häufigsten der Kontakt zu Keypersons. Das sind integrierte und akzeptierte Personen aus der jeweiligen Zielgruppe, welche die Kultur und Herkunftssprache kennen. 44,1 Prozent der ambulanten und 57,9 Prozent der stationären Einrichtungen halten spezifische Beratungs- und Behandlungsangebote vor - hier liegen die häufigsten Nennungen bei muttersprachlicher Beratung und der Arbeit mit Dolmetscher(inne)n. Ein hoher Anteil von circa 94 Prozent gibt an, dass eine Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die Regelangebote gelingt - allerdings beschränkt auf Menschen mit ausreichenden Sprachkenntnissen. Ein ebenfalls hoher Anteil von circa 91 Prozent erlebt spezifische Probleme in der Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund. An erster Stelle werden Sprachprobleme benannt, an zweiter Stelle kulturelle Unterschiede, gefolgt von einem anderen Sucht-, Krankheits- und Behandlungsverständnis. Gefragt nach wünschenswerten Unterstützungsmaßnahmen dominiert ebenfalls das Thema Sprache. So wird vor allem ein Bedarf an muttersprachlichem Personal, muttersprachlichen Angeboten, muttersprachlichen Materialien und kostenlosen Dolmetscher(inne)n gesehen. An zweiter Stelle steht der Wunsch nach mehr Fortbildungsmöglichkeiten zu der Thematik, gefolgt von dem Wunsch nach mehr Kooperation und mehr Ressourcen.
Herausforderung: bedarfsgerechte Versorgung
Auf den ersten Blick überraschen die Ergebnisse nicht, dennoch sind sie keineswegs banal und unerheblich. Zum einen verdeutlichen sie, dass die schon seit den 90er Jahren beschriebenen Barrieren im Gesundheitswesen für Menschen mit Migrationshintergrund nach wie vor vorhanden sind. Zum anderen zeigen sie, dass in den Einrichtungen auch schon sehr viel getan wird. Für Menschen mit Migrationshintergrund, die über hinreichende Sprachkenntnisse verfügen, scheint die Integration in die Regelangebote zu gelingen. Problematisch wird es, wenn nur unzureichende Sprachkenntnisse vorliegen. Die Ergebnisse zur Bedeutung der Muttersprache korrespondieren mit den Ergebnissen aus der Sinus-Migranten-Milieu-Studie: Die in den Einrichtungen der Caritas überrepräsentierten Nutzer(innen) aus dem religiös-verwurzelten und dem entwurzelten Milieu geben an, dass muttersprachliche Beratung für sie besonders wichtig sei.3 Die bedarfsgerechte Versorgung dieser Zielgruppe wird daher eine Herausforderung für Einrichtungen der Caritas bleiben.
Die Ergebnisse zeigen auch, dass zwischen einem kurz- und einem mittelfristigen Handlungsbedarf zu unterscheiden ist. Zunächst geht es darum, zeitnah auf aktuelle Probleme zu reagieren, das heißt vor allem Sprachprobleme zu überwinden. Dafür könnten Fremdsprachenkenntnisse von Mitarbeiter(inne)n, der kostenlose/ -günstige Zugriff auf Dolmetscher(innen) und die Unterstützung durch Keypersons genutzt werden - im Idealfall ausgebildete Sprach- und Integrationsmittler(innen). Mittelfristig sind auch die Einstellung von mehr muttersprachlichen Mitarbeiter(inne)n und Forbildungen zur interkulturellen Kompetenz wichtig. Die Verfügbarkeit von mehr muttersprachlichen Informationen im Internet könnte sowohl von Berater(inne)n genutzt werden als auch für Menschen, die noch keinen Kontakt zum Hilfesystem haben, eine wichtige Hilfe sein. Hier stellt sich auch die Frage, welche Möglichkeiten es im Rahmen der Online-Beratung für muttersprachliche Angebote gäbe.
Allen Menschen, die Hilfe suchen, sollte ein bedarfsgerechtes Angebot gemacht werden. Dafür ist nicht nur eine punktuelle Lösung von Sprachproblemen erforderlich, sondern eine systematische und professionelle Lösung, interkulturelle Öffnung der Einrichtungen und die Erweiterung der interkulturellen Kompetenz aller Mitarbeiter(innen). Es handelt sich dabei nicht um Sonderzuständigkeiten, sondern um die Vertiefung der Fachkompetenzen und die Qualitätsverbesserung des gesamten Leistungsangebots.4 Eine Erweiterung der interkulturellen Kompetenz kommt allen Klient(inn)en zugute, handelt es sich doch um eine grundlegende Haltung von Offenheit, sich auf sein Gegenüber einzulassen, sowie um eine Erweiterung menschlicher und professioneller Kompetenz.
Ziel ist eine ganzheitliche Suchtarbeit
Es geht nicht darum, nur Sonder-Angebote zu schaffen und interkulturelle Öffnung mit muttersprachlichen Angeboten gleichzusetzen. Trotzdem ist zu berücksichtigen, dass es in der Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund auch Menschen gibt, die spezifische Angebote benötigen. Bei Bedarf sollte daher einer Zielgruppen- und Milieuorientierung Vorrang gegeben werden. Ziel ist es, eine ganzheitlich Suchtarbeit zu erreichen, die die verschiedenen Merkmale der Klient(inn)en immer wieder neu und situationsbezogen miteinander in Beziehung setzt und immer die ganze, komplexe Lebenswirklichkeit eines Menschen im Blick hat.5 Dafür braucht es das Engagement aller: Die Politik muss gesetzliche Grundlagen schaffen. Träger und Einrichtungen sind gefordert, eine größere Vernetzung, höhere Mitarbeiter(innen)diversität, bessere Öffentlichkeitsarbeit und spezifische Hilfsangebote umzusetzen. Mitarbeiter(innen) müssen um die Erweiterung ihrer interkulturellen Kompetenz, um eine Willkommenskultur und die Umsetzung niedrigschwelliger Hilfen bemüht sein.
Anmerkungen
1. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2012. Fachserie 1 Reihe 2.2. Wiesbaden, 2013.
2. Künzel, Jutta; Steppan, Martin; Pfeiffer-Gerschel, Tim: Klient(inn)en mit Migrationshintergrund in ambulanter und stationärer Suchtbehandlung. Kurzbericht Nr. 1/2013 - Deutsche Suchthilfestatistik 2011. München: IFT Institut für Therapieforschung, 2013.
3. Vorhoff, Karin: Migranten suchen Kompetenz und Zugang. In: neue caritas Heft 8/2009, S. 26-29.
4. Czycholl, Dietmar: Arbeitsschritte zur interkulturellen Öffnung. In: Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V., Fachverband Drogen und Rauschmittel e.V. (Hrsg.): Sucht Migration Hilfe - Vorschläge zur interkulturellen Öffnung der Suchthilfe und zur Kooperation von Migrationsdiensten und Suchthilfe - ein Manual. Buchholz/Hamburg: Neuland-Verlagsgesellschaft mbH, 2005, S. 110-139.
5. Tielking, Knut; Fietz, Henning; Kittel, Meike: Zugang zum Suchthilfesystem von Menschen mit Migrationshintergrund. Projektabschlussbericht zum Projektstandort Cloppenburg. Schriftenreihe der Hochschule Emden/Leer, Band 6/2012, S. 167/168.
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