Frischer Wind und eine andere Sichtweise
"An unsere ersten FSJlerinnen, Christina und Andrea, kann ich mich noch gut erinnern", sagt Egon Graf, Einrichtungsleiter des Kinder- und Jugenddorfs St. Heribert in Leichlingen. "Sie hatten die Idee, eine Zeitung herauszubringen." Er blättert in einem prall gefüllten Ordner und wird fündig. Die erste Ausgabe der Zeitung hieß "namenlos". Heute wird sie "Heribert Anzeiger" genannt und mit einer Auflage von 1000 Stück nicht nur im Heim, sondern auch an Interessierte verteilt. Anfangs, in den 1980er Jahren, hätten sich die Freiwilligen ihren Talenten und Interessen entsprechend überall einbringen können. Jetzt - zweiunddreißig Jahre später - könne noch immer jeder seine sportlichen, musischen oder gestalterischen Talente einbringen, doch seien die jungen Erwachsenen nun fest einer Wohngruppe im Kinderdorf zugeteilt, so Graf.
Das "Enkelsyndrom" in der Pflege
Die beiden großen Kirchen haben die Gesetzesinitiative für das Freiwillige Soziale Jahr angestoßen und wurden dabei von den Wohlfahrtsverbänden unterstützt. 1964 verabschiedete die Bundesregierung das entsprechende Gesetz. Andere Ideen, zusätzliche Hilfe, künftige Fachkräfte - all das soll das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) den sozialen Einrichtungen bringen, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen FSJ-Plätze anbieten. "Den 16- bis 27-Jährigen soll das FSJ ermöglichen, ihre Stärken und Schwächen, ihre Persönlichkeit zu entdecken. Sie können das soziale Berufsfeld und den Berufsalltag kennenlernen", so die Einschätzung von Thomas Möltgen, Bereichsleiter "Integration und Gemeindecaritas" beim Diözesan-Caritasverband Köln und zweiter Vorsitzender des Vereins "Freiwillige soziale Dienste im Erzbistum Köln" (FSD). Der Bildungsträger vermittelt junge Menschen in der Erzdiözese Köln in ein FSJ.
Vom "Enkelsyndrom" spricht Lorenz Auweiler, wenn er gefragt wird, wie sich die Unterstützung der Freiwilligen in der Pflege oder im Service des Kölner St. Marien- Hospitals auf die Patient(inn)en auswirkt. Der Pflegedienstdirektor ist unter anderem für die Auswahl, die Einstellung und die Begleitung von FSJlern und neuerdings auch für diejenigen im Bundesfreiwilligendienst (BFDler) zuständig. "Junge Menschen verändern die Atmosphäre auf der Station - bei den Patienten, aber auch im Team", sagt er. "Sie bringen frischen Wind, eine andere Sichtweise und aktuelle Trends mit ein." Vor 27 Jahren sei genau das seine Motivation gewesen, die ersten Freiwilligen einzustellen. Seither helfen bis zu sieben Freiwillige mit - in der Pflege oder im Service - also beim Essenverteilen, Bettenmachen, Wäscheeinräumen. "Als der Zivildienst immer kürzer wurde, erhöhten wir peu à peu die Anzahl der FSJler", sagt der 60-Jährige. Eine Herausforderung sei, den Charakter der Freiwilligen zu erkennen und zu wissen, wie viel man jemandem zutrauen könne. Manchmal müsste man achtgeben, dass sie ihre Grenzen nicht überschreiten.
Engagierte und motivierte Bewerber
Im Altenzentrum Paul-Hanisch-Haus des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen war die Situation 2011 eine andere. "Wir hatten immer viele Zivis und beschäftigen erst seit deren Abschaffung vor drei Jahren FSJler und BFDler", sagt Einrichtungsleiter Harald Schäfer. Trotzdem hat das Wuppertaler Seniorenheim keine Probleme, die Stellen im Technischen Dienst, im hauswirtschaftlichen Bereich oder in der Pflege zu besetzen. Er erlebe die Freiwilligkeit als großen Vorteil. Die Bewerber seien motivierter und engagierter.
Bezahlt mache sich der gute Kontakt zu den Schulen im Umfeld des Altenzentrums. "Wenn sich die Schüler hier melden, bitten wir sie, sich auch beim FSD zu bewerben." Danach folge ein Gespräch und Probearbeiten. Die Hospitation sei wichtig, damit sich die jungen Menschen ein Bild vom Arbeitsalltag machen können und um zu sehen, ob sie ins Team passen.
Die Freiwilligen seien nicht nur motivierter, sie hätten auch einen anderen Anspruch an den Dienst, stellt Birgit Achenbach-Söller fest. Seit zwölf Jahren ist sie als Abteilungsleiterin für den Arbeitsbereich mit besonderer Betreuung beim Gut Frohnhof für die Freiwilligen zuständig. "Sie möchten bei der Betreuung mithelfen und keine Fahrdienste machen, denn sie möchten nah dran sein an den Menschen und sich erproben." Die einstigen Zivijobs wie Fahrdienste oder Hausmeistertätigkeiten sind in der Kölner Werkstatt für Menschen mit Behinderung deshalb nicht mehr gefragt. Die Freiwilligen hingegen unterstützen die Gruppenleiter bei allen Tätigkeiten: sie holen die Beschäftigten vom Bus ab, betreuen sie, teilen Essen aus, gehen mit ihnen einkaufen oder "snoozeln" und helfen bei der Pflege mit. Die Gesamtverantwortung liegt stets bei der Fachkraft, die Durchführungsverantwortung beim Freiwilligen.
Für die meisten der Start ins Berufsleben
Acht Freiwillige arbeiten bei der Caritas Wertarbeit in Gut Frohnhof. Sie alle haben einen Praxisanleiter, der regelmäßig Gespräche mit ihnen führt. Darüber hinaus gibt es einmal pro Woche eine "Helfersitzung", bei der alle Freiwilligen gemeinsam mit zwei Anleitern besprechen, was gerade anliegt. "Wir sind für die meisten der Start ins Berufsleben. Dinge, die für uns selbstverständlich sind, sind es für die Freiwilligen oft noch nicht", sagt Birgit Achenbach-Söller. Nicht nur das Arbeitsleben an sich, vor allem auch der Aufgabenbereich sei für die 16- bis 27-Jährigen Neuland, denn in der Regel hätten sie keinerlei Vorkenntnisse.
Im Katholischen Familienzentrum St. Severinus in Mechernich-Kommern arbeitet nur ein Freiwilliger mit - erst seit zwei Jahren. "Eine Abiturientin kam 2012 auf mich zu und fragte, ob sie ein Jahr lang ein Praktikum in unserer Kita machen dürfte", berichtet die Leiterin Claudia Korth-Kreimendahl. Weil die Erzieherin wollte, dass die junge Frau in einem geschützten Rahmen und mit Entlohnung mitarbeitet, machte sie sich für die Einrichtung eines FSJ-Platzes stark. Ihre Erfahrung ist: "Die Jugendlichen handeln zunächst aus dem Bauch heraus, sie haben ein Richtig-und-falsch-Gefühl." Deshalb müsse immer eine Fachkraft in der Nähe sein.
Heute würden sich gegenüber früher mehr Schüler direkt bei der Einrichtung und dann erst beim Bildungsträger bewerben, stellt Egon Graf, Einrichtungsleiter des Kinder- und Jugenddorfs St. Heribert in Leichlingen, fest. Die jungen Leute informierten sich heutzutage im Internet. Deshalb sei das sicherlich ein bedeutendes Mittel, Freiwillige zu gewinnen.
Vernünftig einarbeiten
Man dürfe nicht erwarten, dass FSJler als fertige Persönlichkeiten ankämen und nur auf deren Leistung fixiert sein. Deshalb sind - und da sind sich alle Vertreter einig, die FSJler beschäftigen, - eine vernünftige Einarbeitung sowie regelmäßige Gespräche wichtig. Die jungen Leute sollten anfangs einfache Aufgaben erhalten. Nach und nach könnten sie dann mehr Aufgaben und auch Verantwortung übernehmen. Bei manchen haben die Mitarbeitenden der sozialen Einrichtungen bereits nach wenigen Tagen den Eindruck, als ob die Freiwilligen schon lange im Kranken- oder Altenheim oder in der Kita mitarbeiten. Andere benötigen mehr Zeit, um mit den neuen Aufgaben zurechtzukommen.
FSJler und BFDler müssen - so wollen es die Gesetze - arbeitsplatzneutral eingesetzt werden. Das bedeutet, dass Freiwillige unterstützende, zusätzliche Tätigkeiten verrichten und keine Hauptamtlichen ersetzen. Trotzdem kommt immer wieder der Vorwurf auf, FSJler und BFDler seien vor allem billige Arbeitskräfte.
"Natürlich spielt das Geld auch eine Rolle. Ich könnte mir nicht jedes Jahr acht Helfer leisten", gibt Birgit Achenbach-Söller vom Gut Frohnhof zu. "Doch gerade deshalb finde ich es wichtig, dass die Freiwilligen nur unterstützend eingesetzt werden." "Die Freiwilligen werden bei uns eingeplant und sind wichtig", sagt Harald Schäfer, Leiter des Wuppertaler Altenzentrums. "Dennoch bricht unser Pflegesystem nicht zusammen, wenn jemand abspringt. Die Freiwilligen unterstützen uns, aber eben zusätzlich." Auch Lorenz Auweiler vom Kölner St. Marien-Hospital bestätigt: "Für unser Haus sind sie wertvolle Hilfen, wenn wir sie nicht hätten, müssten wir uns an der einen oder anderen Stelle sicherlich etwas überlegen."
Doch es gibt auch soziale Einrichtungen, bei denen die Abbruch- und Beschwerdequote der Freiwilligen hoch ist. "Unser Anliegen ist, dass die Einrichtungen die Arbeit der Freiwilligen wertschätzen, sie gut ins Team einbinden und sie fordern, aber nicht überfordern", sagt Thomas Möltgen vom FSD. Nur so könnten die beiden Freiwilligendienste gewinnbringend für die jungen Menschen und die sozialen Einrichtungen sein. Schließlich seien FSJler und BFDler von heute häufig die Fachkräfte von morgen.
Nach dem Freiwilligendienst entscheiden sich viele Frauen und Männer für eine Ausbildung im sozialen Bereich. "Wir haben einige, die hier als Aushilfskräfte, als Jahrespraktikanten oder als Fachkräfte weiter beschäftigt werden", sagt Egon Graf. Durch das FSJ und den BFD schaffe sich das Kinderdorf seinen Nachwuchspool und müsse meist keine Stellen mehr ausschreiben.
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