Die Allgemeine Sozialberatung – jeder kann kommen
Stellen Sie sich vor: Sie sind alleinerziehend, haben drei Kinder (drei, sechs und zehn). Ihr Mann ist arbeitslos geworden, und nun müssen Sie Arbeitslosengeld II beantragen und kommen mit den Papieren nicht zurecht. Zur Krönung kommt noch die Abschlussrechnung für Strom und Gas für das Jahr. Auf Ihrem Konto ist nichts mehr. Was nun?
Wenn Sie Glück haben, kennt jemand die Allgemeine Sozialberatung (ASB) der Caritas, den Katholischen Verein für soziale Dienste (SKM), den Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) oder Sozialdienste eines anderen Trägers. Oder Sie finden im Internet eine Onlineberatung und Adressen vor Ort. Die Wege, die zur Allgemeinen Sozialberatung führen, sind unterschiedlich, aber eines haben alle die genannten Dienste gemeinsam:
1. Jede(r) kann kommen.
2. Jedes Problem, jede Frage kann gestellt werden.
3. Keine(r) wird weggeschickt ohne Klärung der Situation, einer Anschlusslösung oder einer Absprache.
4. Jede(r) ist willkommen.
5. Jede(r) kann die Beratungsstelle finden, weil sie gut erreichbar und barrierefrei ist.
In der Fachsprache heißt dies: Das Hilfeangebot ist niedrigschwellig, für Menschen mit ihren unspezifischen und mehrdimensionalen Problemen offen und vor allen Dingen kostenlos. Die Beratung ist auf die individuelle Lebenssituation zugeschnitten: Der eine braucht nur eine Information, eine Bestätigung des eigenen Wissens oder einen Hinweis, wer für ihn zuständig ist. Die andere braucht Unterstützung beim Ausfüllen von komplizierten Anträgen und beim Sortieren notwendiger Unterlagen, beim Verstehen von Bescheiden oder Hilfe bei der Formulierung von Widersprüchen. Jemand anderes benötigt Begleitung in schwierigen Zeiten oder die zielgenaue Vermittlung an die richtige Stelle, Behörde oder spezifische Beratungsstelle.
Auf die individuelle Lebenslage zugeschnitten
Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit, die Sicherung der materiellen Existenz ist Grundlage und Aufgabe der ASB. Egal, mit welchem Problem Menschen die ASB aufsuchen, Existenzsicherung steht immer im Mittelpunkt. Gesetzliche Ansprüche werden geprüft, geltend gemacht und zur Not auch eingeklagt. Wenn es notwendig und sinnvoll ist, werden Klient(inn)en in spezialisierte Beratungsstellen weitervermittelt.
Die Offenheit der ASB bezieht sich auf alle Anfragen der Menschen, auf materielle und immaterielle Hilfen, zu persönlichen, pädagogischen, psychologischen oder rechtlichen Fragen oder zu Fragen in Gesetzeskontexten (SGB II, SGB VIII, SGB IX, SGB XII). Immer geht es um eine ganzheitliche Beratung in allen Lebensbereichen: Arbeit, (Aus-)Bildung, Gesundheit, Wohnen, gesellschaftliche Teilhabe, Einkommen. Klient(inn)en der ASB sind junge und alte Menschen, Familien und Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund und viele andere.
Die ASB gibt es innerhalb der Caritas schon sehr lange, früher sogar getrennt für Mädchen und Frauen beim SkF oder für Jungen und Männer beim SKM, immer verbunden mit dem Ziel, offen zu sein für alle Fragen und Nöte der Menschen. Allgemeine Sozialberatung bieten auch andere freie Träger oder die Kommune mit dem kommunalen Sozialdienst oder als Außendienst des Jugend- und/oder Sozialamts mit zusätzlichen und anderen Aufgabenstellungen.
ASB-Stellen kooperieren mit anderen Diensten
ASB-Arbeit zeichnet sich besonders dadurch aus, dass dieser Fachdienst mit allen anderen Diensten und Einrichtungen der Caritas eng zusammenarbeitet. Auf diese Weise soll den Menschen ein schneller, angstfreier und unmittelbarer Zugang zu einem anderen Dienst oder einer Einrichtung - auch außerhalb der Caritas bei anderen Wohlfahrtsverbänden oder öffentlichen Stellen - ermöglicht werden. Netzwerk- und Teamarbeit, transparente Kommunikation und Kooperation sind hierfür die Markenzeichen.
Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen ist die Allgemeine Sozialberatung gerade in den letzten zehn Jahren dringender denn je geworden. In der Fachdiskussion der sozialen Arbeit wurde die ASB mit ihrer Offenheit vielfach als altmodisch und eigentlich nicht mehr notwendig auf den Prüfstand gestellt. Der Begriff "allgemeine soziale Beratung" sei zu breit angelegt und damit fachlich zu wenig griffig. Wenn die ASB mit anderen (hoch-)spezialisierten Fachdiensten konkurrieren wolle, müsse sie sich inhaltlich und fachlich professioneller positionieren. Dazu hat der Fachdienst in den vergangenen Jahren mit eigenen Fachkonzepten, einer eigenen Software (Sobeca1) und spezifischen Arbeitsmethoden beigetragen.
Andererseits haben die finanziellen Ressourcen für diesen Fachdienst vielerorts dazu geführt, dieses Angebot deutlich herunterzufahren. ASB erfährt keine gesetzlich verankerte Bezuschussung; der Zuschuss versteht sich von den Behörden und Politiker(inne)n als "freiwillige" Leistung an den freien Träger, die angesichts der Haushaltslage der Kommunen und öffentlichen Stellen reduziert werden müsse. Verwiesen wird zum Beispiel auf die Angebote des Jobcenters für SGB-II-Kund(inn)en. Nach wie vor fehlt dem Fachdienst ASB auch die politische Anerkennung, wie notwendig eine subsidiäre Beratung und wie bedeutsam Prävention im Vorfeld von gesellschaftlichem Abrutschen sind. Dabei wird dieser Dienst in vielen Diözesen zu einem großen Teil aus Eigenmitteln oder durch Kirchensteuermittel finanziert.
Ehrenamtliche in der ASB
Ehrenamtliche werden inzwischen als Behördenbegleiter(innen) oder Formularhelfer(innen) ausgebildet, bieten in Sozialbüros Sprechstunden an und tragen damit zur Entlastung der ASB-Mitarbeiter(innen) bei. Ehrenamtliche in dieser Form einzubeziehen, ist innerhalb der ASB umstritten. Im Rahmen der konzeptionellen Weiterentwicklung muss besonders Augenmerk auf die Qualifizierung und Auswahl ehrenamtlich Tätiger in der ASB gelegt werden. Dies ist notwendig, um diese nicht zu überfordern, auszunutzen oder falsch einzusetzen.
ASB im Sozialraum und im Netz
Gerade im Sozialraum und in der Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden ergeben sich Möglichkeiten, Menschen vor Ort Beratung anzubieten und damit Fahrtkosten und Wartezeiten zu vermeiden. Auch können direkte Wege zu Selbsthilfegruppen, wie zum Beispiel zum Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Sozialhilfegruppen, Arbeitsloseninitiativen oder Migrantenselbsthilfegruppen aufgezeigt werden.
Die Hilfen müssen erreichbar sein. Menschen im Leistungsbezug, mit einer geringen Rente oder Aufstocker können die hohen Fahrtkosten oft nicht tragen. Im ländlichen Bereich ist der öffentliche Nahverkehr schlecht ausgebaut - ein Hindernis für gesellschaftliche Teilhabe.
Die ASB versucht, diesem Problem durch die Online-Beratung im Internet oder telefonische Gespräche zu begegnen.
Gesellschaftliche Trends zeichnen sich ab
In der ASB spiegeln sich gesellschaftliche Entwicklungen überdeutlich und meist schon sehr frühzeitig wider: die zunehmende Verarmung von Menschen, der Ausbau des Niedriglohnsektors, die Einführung von Arbeitslosengeld II, gesellschaftliche Ausgrenzungsprozesse oder fehlende Teilhabemöglichkeiten für immer mehr Menschen, Kinderarmut oder neuerdings auch die wachsende Altersarmut.
Durch die Sozialgesetzgebung ab 2005 gab es einen Totalumbau der Arbeitslosenfürsorge. Grundphilosophie der neuen Sozialgesetzgebung ist, dass man erst weitgehend verarmen muss, bevor man staatliche Transferleistungen erhält. Dabei müssen die "angemessenen" Wohnungskosten unter gewissen Standards liegen, Einkommen von Partnern in "Bedarfsgemeinschaften" werden einbezogen und Ähnliches. Betroffene Menschen werden eher in atypische Beschäftigungsverhältnisse (wie Leih- oder Zeitarbeit oder Mini- und Teilzeitjobs) vermittelt, die langfristig wenig Perspektiven einer regulären Integration in Arbeit bieten.
Insbesondere durch gesetzliche Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die Grundsicherung für Arbeitsuchende und die Grundsicherung im Alter, wurden bewusst oder unbewusst Verhältnisse geschaffen, die einkommensarme Menschen unter starken Druck setzen, ihnen ihre soziale Ausgrenzung aufzeigen und sie existenziell gefährden. Grundlage für materielle Hilfen der Menschen sind Regelsätze, die zum Lebensunterhalt gezahlt werden und die die individuelle Situation der Familie, jedes einzelnen Mitglieds der "Bedarfsgemeinschaft" (SGB II) oder der einzelnen Person berücksichtigen sollen. Dies ist ein Rechtsanspruch und keine "milde Gabe" der Gesellschaft, wie es häufig in politischen und öffentlichen Diskussionen dargestellt wird. Der zurzeit gültige Regelsatz beläuft sich auf 382 Euro für eine Einzelperson, 224 Euro für Kinder bis sechs Jahre, 255 Euro für Kinder bis 15 Jahre und 289 Euro für Jugendliche bis 18 Jahre. Hinzu kommen die angemessenen Kosten der Unterkunft.
Dass damit keine gesellschaftliche Teilhabe möglich ist, erfahren die Mitarbeitenden in den Beratungsstellen jeden Tag. Denn von Armut und Ausgrenzung betroffene Menschen geraten bei zusätzlich notwendigen Sonderausgaben wie einer neuen Waschmaschine oder Reparaturen schnell in existenzielle Nöte. Auch wenn das Jobcenter eine Sanktion ausspricht, weil zum Beispiel eine Meldepflicht nicht eingehalten wurde oder Unterlagen nicht rechtzeitig beigebracht worden sind, kommen die Betroffenen unter Druck. In diesen Situationen benötigen Menschen Unterstützung, die mit dafür Sorge trägt, das eigene Leben wieder eigenständig führen zu können, und Perspektiven zu entwickeln.
ASB ist ein Seismograph für den sozialen Wandel
Ausgehend von den sich immer mehr verfestigenden Armutszahlen - 15,8 Prozent der Bevölkerung sind arm, wovon in hohem Maße Kinder und Jugendliche betroffen sind -, ist die Allgemeine Sozialberatung nicht nur eine Anlaufstelle für Menschen, sondern auch ein Seismograph für die sozialen Veränderungen. Mehr als sieben Millionen Menschen sind in Deutschland auf Sozialleistungen angewiesen, mit steigender Tendenz. Der große Zulauf betroffener Menschen zu existenzunterstützenden Angeboten ist ein deutliches Zeichen verfehlter Sozialpolitik, die immer größere Teile unserer Gesellschaft von einer gleichberechtigten Teilhabe ausschließt, sie materiell kurz hält. Existenzunterstützende Angebote auch von Caritas und Kirchengemeinden sind zwar ein glaubwürdiges und vorübergehendes, aber kein dauerhaft probates Mittel der Armutsbekämpfung.
In diesem Kontext wird auch kritisch hinterfragt, inwiefern ASB-Mitarbeiter(innen) Tafeln, Suppenküchen oder anderweitige Angebote beispielsweise hinsichtlich der Arbeitsweisen, der Ausgabekriterien oder Zugangsberechtigungen beraten und begleiten sollen. Würde dies nicht bedeuten, ein Angebot der Armutsfürsorge zu etablieren und gesellschaftsfähig zu machen und damit den rechtlichen Anspruch der Menschen auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu unterhöhlen?
Die vielfältigen Erfahrungen der ASB-Arbeit werden in Monitoringprozessen mit Politik und Ministerien über die Spitzenverbände eingespeist, um auf Defizite in der Sozialgesetzgebung einzuwirken, um Veränderungen analog der Erfahrungen Betroffener einzufordern, um sie im direkten Kontakt mit den Jobcentern oder zuständigen Ämtern auf der regionalen Ebene zu diskutieren oder in Fachtagungen überregional zu erörtern, Lösungen zu entwickeln und in den politischen Prozess einzubringen.
Personal und Ressourcen sind notwendig
All diese Aufgaben auszuführen und den Ansprüchen der Niedrigschwelligkeit, des offenen Prozesses, der Sozialraumorientierung, der Begleitung, der Vermittlung in andere Dienste, der Schulung von Ehrenamtlichen und als Seismograph gerecht zu werden, erfordert Personal und Ressourcen. Und es bedarf einer ständigen Veränderung, sprich Anpassung, der inhaltlichen und strukturellen Arbeit an die sich verändernde Situation der Menschen und der Gesellschaft.
Dies kann nur ein Fachdienst leisten, der über professionell ausgebildetes Personal in ausreichender Anzahl verfügt. Wie dies angesichts der schlechten Finanzsituation der Kommunen umzusetzen ist, ist derzeit weder abzusehen noch zu prognostizieren. Die ASB als niedrigschwellige, für alle Menschen und alle Not- und Wechselfälle menschlichen Lebens offenstehende Anlauf- und Beratungsstelle hat sich über Jahre hinweg bewährt. Gut, dass es diesen unspezifischen Fachdienst gibt!
Anmerkung
1. Sobeca ist ein praxisorientiertes, einfach zu handhabendes Softwareprogramm auf der Basis von MS-Access für die Fallbearbeitung und -dokumentation in der Allgemeinen Sozialberatung.