Das wertvolle Gut Fachkräfte erhalten
Die Bewerbungen auf offene Stellen in der Erziehungshilfe dünnen aus und die Bewerber(innen) weisen zunehmend nicht mehr die erforderlichen Qualifikationen auf. Die Mitgliedseinrichtungen des Bundesverbandes katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfe (BVkE) berichten von größer werdenden Schwierigkeiten, Stellen neu zu besetzen. Dabei werden auch erhebliche regionale Disparitäten deutlich: Einrichtungen in eher ländlichen Regionen sprechen von längeren Bewerbungsverfahren aufgrund fehlender Bewerber(innen). Wohingegen in städtischen Gebieten (noch) von einem lediglich reduzierten Eingang an Bewerbungen gesprochen wird. Erste Einrichtungen lassen bereits Angebote auslaufen, da sie kein passendes Personal finden, obwohl bundesweit eine Steigerung von 8 Prozent bei Fremdunterbringungen zu verzeichnen ist1.
Um dem Fachkräftemangel adäquat begegnen zu können, sollten Kenntnisse zum Status quo des Personals vorliegen. Der BVkE kann hierzu auf seine Statistik 2010 zurückgreifen.2 Danach zeigt sich, dass die sozialpädagogisch-therapeutischen Fachkräfte in den BVkE-Einrichtungen und -Diensten zu 27,1 Prozent bereits 50 Jahre alt und älter sind. Dies bedeutet, dass diese Fachkräfte in den nächsten 15 Jahren aus dem Dienst ausscheiden werden. Mit ihrem vielfältigen Erfahrungs-, Fach- und Einrichtungswissen stellen aber gerade Mitarbeiter(innen) dieser Altersgruppe ein wertvolles Gut für die Einrichtungen und Dienste dar. Gleichzeitig bedingen der demografische Wandel und das gestiegene Renteneintrittsalter, dass zukünftig weniger Junge auf den Arbeitsmarkt kommen und die Fachkräfte länger (bis 67 Jahre) in ihrem Beruf bleiben werden.
Fast jeder dritte Mitarbeiter ist über 50
Hier setzt das Projekt "Erfahrung zählt!"3 des BVkE an. Es zielt darauf ab, die Anpassungs- und Beschäftigungsfähigkeit insbesondere älterer pädagogischer Fachkräfte zu verbessern und sicherzustellen sowie Personalverantwortliche und Führungskräfte in altersgerechter Personalentwicklung zu qualifizieren. "Erfahrung zählt!" beinhaltet drei Programme, ein Führungskräfte-, ein Qualifizierungs- und ein Traineeprogramm (s. Tabelle):
Deutschlandweit gibt es vier regionale Projektstandorte:
1. Standort Nord (Niedersachsen)
2. Standort Mitte (Nordrhein-Westfalen)
3. Standort Süd-West (Hessen, Rheinland-Pfalz und Teile von Baden-Württemberg)
4. Standort Süd (Bayern und Teile von Baden-Württemberg)
Im bereits begonnenen Führungskräfteprogramm waren Gesundheit und Gesundheitsmanagement wichtige Themen. Durch die begleitende Evaluation wurden die Führungskräfte4 dazu befragt, welche Maßnahmen und Strategien es hierzu bereits in den Einrichtungen gäbe. Die Aussage "Ich halte meine Mitarbeiter regelmäßig dazu an, selbstfürsorglich mit ihrer Gesundheit und Arbeitsbelastung umzugehen" hielten 32 Prozent für völlig zutreffend, 53 Prozent für eher zutreffend. Wir können also annehmen, dass drei Viertel der Führungskräfte der Einrichtungen, die am Projekt beteiligt sind, ihre Mitarbeiter(innen) regelmäßig auf die Selbstfürsorge bezüglich Gesundheit und Arbeitsbelastung hinweisen. "Ich bin mit dem Umfang der gesundheitsfördernden Maßnahmen, die wir unseren Mitarbeitern anbieten, zufrieden" war eine weitere Aussage, die die Führungskräfte bewerten sollten. Lediglich sieben Prozent hielten sie für völlig zutreffend, über die Hälfte sogar für eher unzutreffend (44 Prozent) beziehungsweise unzutreffend (12 Prozent). In der Befragung baten wir die Reifegrade verschiedener Personalmanagementkonzepte5 einzuschätzen. Dabei schnitten die Konzepte zum "Gesundheitsmanagement" und die "Vorbereitung der Institution auf die Folgen des demografischen Wandels" am schlechtesten ab.
Führungskräfte werden zu konkretem Handeln angeregt
Die Zahlen spiegeln das wider, was in den Seminaren erlebt wurde. Die Führungskräfte wissen um den Gesundheitszustand und die Arbeitsbelastung ihrer Mitarbeiter(innen), sehen selber Bedarf im Bereich des Gesundheitsmanagements und werden durch das Projekt "Erfahrung zählt!" zum konkreten und systematischen Handeln angeregt. Gleichzeitig werden erste Ideen entwickelt, wie den Folgen des demografischen Wandels begegnet werden kann. Die Teilnehmer(innen) setzen sich mit Arbeitgeberattraktivität, dem (Finden und) Binden von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, Zusammenarbeit/Kooperation zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, alternsgerechtem Führen, Lebensarbeitszeitkonten, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Wertschätzung und vielem mehr auseinander.
Hinsichtlich des Fachkräftemangels muss auch bedacht werden, dass motivationalen Aspekten altersübergreifend eine hohe Bedeutung zukommt. Daher lohnt ein Blick auf die wissenschaftlich erwiesenen motivationsfördernden Faktoren wie
1. das Erleben von Autonomie, zum Beispiel durch die Möglichkeit, eigene Entscheidungen treffen zu können;
2. positives Feedback, intern und gesellschaftlich;
3. eine Betriebskultur mit positivem Menschenbild, beispielsweise durch Vertrauen und Respekt;
4. Transparenz, partizipativen Informationsfluss, Vorschlagswesen;
5. Work-Life-Balance;
6. die Möglichkeit, Leistung zu bringen, sich weiterzuentwickeln und zu wachsen;
7. Geld: Zumeist wird ein hohes Gehalt als zentraler motivationsfördernder Faktor erwartet. Dies trifft aber nur eingeschränkt zu, da in der Regel nach einer Gehaltserhöhung schon nach wenigen Monaten eine Gewöhnung eintritt. Geld gilt daher als sogenannter "Hygienefaktor", der zwar hilft, Unzufriedenheit zu vermeiden, aber nicht im engen Sinn die Motivation fördert.
Motivierende Faktoren sind individuell sehr verschieden
Bei der Übertragung in die Praxis ist zu berücksichtigen, dass der Einfluss der genannten Faktoren auf die Mitarbeitermotivation ausgeprägten interindividuellen Unterschieden unterworfen ist. So kann beispielsweise bei einem Mitarbeiter das Erleben von Autonomie im Vordergrund stehen, bei einer anderen Mitarbeiterin hingegen die Work-Life-Balance und ein partizipativer Informationsfluss. Wie die Evaluationsergebnisse aus "Erfahrung zählt!" zeigen, gelingt es den katholischen Einrichtungen und Diensten der Erziehungshilfe bei den genannten motivationsfördernden Faktoren zu punkten: Zwar wird das Gehaltsniveau nur als zufriedenstellend empfunden, aber es besteht eine hohe Zufriedenheit mit dem Erleben von Autonomie, den Arbeitsinhalten, der Arbeitszeitgestaltung, der Betriebskultur und dem Arbeits-/Teamklima. Über 80 Prozent ziehen Befriedigung aus ihrer Arbeit, und 97 Prozent stehen hinter ihrer Arbeit.
Die bisherigen, überaus bestärkenden Rückmeldungen der Teilnehmer(innen) aus dem Führungskräfteprogramm belegen die Sinnhaftigkeit eines solchen Projektes gegen den Fachkräftemangel und lassen ähnliche Effekte für das Qualifizierungs- und Traineeprogramm erwarten. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden nach Projektende publiziert und dienen als Grundlage für nachhaltige Strategien, um geeignete Fachkräfte für die Arbeit in der katholischen Erziehungshilfe zu gewinnen, zu motivieren und zu qualifizieren.
Anmerkungen
1. Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik - AKJ, KomDAt, Heft 3/2012, Dezember 2012, S.11
2. Klein, Joachim; Macsenaere, Michael; Brünner, Almud; Hiller, Stephan: BVkE in Zahlen. Freiburg : Lambertus, 2012.
3. Das Projekt "Erfahrung zählt!" von Juli 2011 bis Juni 2014 wird im Rahmen des Programms "Rückenwind - Für die Beschäftigten in der Sozialwirtschaft" durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert. Weitere Informationen: www.bvke.de/85028.html
4. 90 Führungskräfte aus den Einrichtungen, die am Projekt teilnehmen, wurden befragt.
5. Eingeschätzt wurden: Gesundheitsmanagement, Wissenstransfer, Wertschöpfung der individuellen Stärken von Mitarbeitenden (Diversity Management), Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit älterer Mitarbeitender, Mitarbeiterbindung, Familienfreundlichkeit, Einarbeitungsphase neuer/wiedereinsteigender Mitarbeiter(innen), Gewinnung neuer Fachkräfte, Vorbereitung der Institution auf die Folgen des demografischen Wandels.