Anpassung an den Klimawandel – geht das?
38 Grad zeigt das Thermometer, aber im Caritas-Haus im Zentrum der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh ist es an diesem Morgen noch angenehm kühl. Gut 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas Kambodscha haben sich hier versammelt, nur einen Steinwurf vom berühmten Königspalast entfernt. Sie kommen aus neun verschiedenen Provinzen, zum Teil von weit her – und das, obwohl es in vielen Gegenden Kambodschas schon sehr viel Zeit braucht, auch nur kleine Distanzen zu überwinden. Gemeinsam mit Christine Wegner-Schneider und Gernot Ritthaler von Caritas international, dem Hilfswerk der deutschen Caritas, wollen sie den Grundstein für eine neue Projektzusammenarbeit legen, die auf mindestens sechs Jahre angelegt ist.
Wer Treibhausgase erzeugt, muss zahlen
Anpassung an den Klimawandel: So lautet der Titel des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium aufgelegten neuen Förderprogramms. Damit sollen arme ländliche Bevölkerungsgruppen auf Naturkatastrophen vorbereitet werden. Das Geld stammt aus dem Emissionshandel. Dahinter steckt die Idee, dass diejenigen, die durch Kohlendioxid-Ausstoß die Erderwärmung beschleunigen, sich auch an den Kosten beteiligen müssen, die dadurch anderswo entstehen.
Kambodscha gehört zu den Ländern, die die Folgen des Klimawandels schon heute drastisch zu spüren bekommen. Kim Rattana, der Generalsekretär der Caritas Kambodscha, hält die zunehmenden Naturkatastrophen für die größte Herausforderung für sein Land überhaupt. „Was wir in vielen Jahren Entwicklungsarbeit erreicht haben, wird von Stürmen zerstört und von Überschwemmungen weggewaschen“, beklagt er. Ein Lautsprecher sorgt dafür, dass auch in den hinteren Reihen alles gut verstanden wird. Dolmetscher übersetzen aus der Lokalsprache Khmer ins Englische und wieder zurück. Die Atmosphäre ist freundlich, alle sind interessiert am Austausch, sowohl mit den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Provinzen als auch mit denen aus Deutschland. Die Caritas Kambodscha sei dankbar für die Förderung aus Deutschland, sagt Asien-Referentin Christine Wegner-Schneider. Damit wolle die dortige Caritas ihr Ziel, den Aufbau einer flächendeckenden Katastrophenvorsorge, besser und schneller verwirklichen.
„Keinen Schaden anrichten“
Für Caritas international bietet das Projekt neue Möglichkeiten der Wirkungsbeobachtung. Die vergleichsweise lange Projektphase ermöglicht es, dass die Partner zunächst die Ausgangssituation gründlich analysieren – das heißt eine sogenannte „Baseline“ erarbeiten. Sie dient einerseits dazu, den Verlauf des Projektes gut zu steuern. Andererseits kann damit die Wirksamkeit der Hilfe während und nach Abschluss des Projekts gemessen werden. „In der akuten Nothilfe ist das so ausführlich nicht möglich“, sagt Volker Gerdesmeier, der bei Caritas international für das Qualitätsmanagement zuständig ist. Hier müsse oft auf Grundlage begrenzter Informationen schnell entschieden werden. Eine fundierte Basisdatenerhebung mache dagegen einen direkten Vorher-nachher-Vergleich möglich: Sind die Ziele erreicht worden? Können die Menschen durch unsere Hilfe mit künftigen Naturkatastrophen wirklich besser zurechtkommen? Auch ob die Selbstverpflichtung vieler Hilfsorganisationen auf das Prinzip „Do no harm“ (keinen Schaden anrichten) umgesetzt wird, ist nicht immer leicht zu erkennen. Wie werden sich künftige Wasserbewirtschaftungsmaßnahmen auf das Ökosystem auswirken und werden sie auch sozial verträglich sein? Oder hat die Unterstützung einer Hilfsorganisation indirekt eine bereits geplante staatliche Investition verhindert? Eine gründliche Wirkungsbeobachtung, sagt Volker Gerdesmeier, lässt erkennen, ob die Hilfe auf lange Sicht wirklich gut ist – und nicht nur gut gemeint.
Die Erkenntnisse, die Caritas international in den kommenden Jahren in Kambodscha gewinnt, will Gernot Ritthaler auch für andere Regionen nutzen. Das Referat Katastrophenhilfe, für das er arbeitet, kümmert sich nicht nur um die Soforthilfe, sondern auch um die Vorsorge. Und die wird im Zuge des Klimawandels für immer mehr Länder immer wichtiger.
Der Experte für Klimawandel und ländliche Entwicklung Dieter Rachbauer wird die Caritas Kambodscha im Auftrag von Caritas international in den kommenden Jahren beraten. Gleich im Anschluss an den offiziellen Auftakt in Phnom Penh fährt er mit Vertretern aus allen beteiligten Provinzen weiter nach Barong, wo sie exemplarisch gemeinsam die erste Baseline erstellen. Barong ist auf den ersten Blick ein typisches Dorf im kambodschanischen Hinterland. Obwohl nur 20 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, hat es wie viele Dörfer keinen direkten Verkehrsanschluss, weshalb die Caritas-Delegation mit dem Boot anreist. Rund 350 Holzhäuser stehen auf Stelzen, es gibt weder Strom noch fließend Wasser. Die meisten Bewohner leben vom Reisanbau oder der Fischzucht. Das Gebiet rund um Barong unterliegt dem alljährlichen Überflutungsrhythmus des Mekong.
Das Wasser steigt jedes Jahr etwas höher
Längst haben sich die Menschen in der Art, wie sie ihre Häuser bauen oder Landwirtschaft betreiben, so gut es geht, an diesen Rhythmus angepasst. Seit einigen Jahren aber beobachten die Dorfbewohner, dass der Wasserpegel immer weiter ansteigt und immer mehr Flächen überflutet werden. In manchen Jahren finden die Bewohner nicht mehr genug freie Ackerflächen, um für ihre Familien ausreichend Nahrungsmittel anbauen zu können. Zudem dauert die anschließende Trockenzeit immer länger.
In Barong angekommen, ergänzt die Delegation die in Phnom Penh entwickelten Fragebögen um einige lokale Besonderheiten. Am nächsten Morgen gehen die Caritas-Mitarbeiter(innen) in Kleingruppen von Haus zu Haus. 56 der insgesamt 180 Haushalte werden sie in den kommenden Tagen befragen: Wovon leben die Menschen hier? Was machen sie mit ihrem Müll? Wie, und vor allem wann, bauen sie ihren Reis an: vor oder nach der Regenzeit? Wohin flüchten sie, wenn das Wasser kommt?
„Damit die erhobenen Daten auch wirklich aussagekräftig sind, ist es wichtig, dass man mit der lokalen Kultur vertraut ist“, sagt Dieter Rachbauer. „Ich muss wissen, wer in der Familie was zu sagen hat. Und in einer Gesellschaft, in der es als unhöflich gilt, mit Nein zu antworten, sollte man sich genau überlegen, wie man die Fragen formuliert.“
Das A und O ist die geeignete Methode
Über die persönliche Befragung hinaus werden die Dorfbewohner von den Caritas-Mitarbeiter(inne)n zu mehreren Treffen eingeladen. Mal geht es darum, sich über die letzten Hochwasserkatastrophen auszutauschen, mal werden Karten und Kalender angefertigt, auf denen deutlich wird, wann welche Gebiete am meisten gefährdet sind.
Auf dem Platz der Pagoda, umgeben von Buddhastatuen, erstellt eine Gruppe von Dorfbewohnern einen Jahreszeitenkalender. Wann wird der Reis, wann der Lotos und wann das Gemüse geerntet? In welcher Zeit hat der See besonders viele Fische? Sogar die beste Zeit fürs Heiraten wird auf dem Kalender vermerkt. „Auch dabei gilt: Das A und O ist die geeignete Methode“, sagt Dieter Rachbauer. „Ich kann hier nicht mit einem Flipchart ankommen und sagen: Tragt mal eure Erfahrungen ein. Das funktioniert nicht in einem Land, wo nur jeder Zweite lesen und schreiben kann.“ Aber gerade das Wissen, das mündlich von Generation zu Generation weitergegeben werde, sei ein unschätzbarer Schatz, den es durch diese offenen Gesprächsrunden zu heben gelte.
In den kommenden Monaten werden die Caritas-Mitarbeiter(innen) in allen beteiligten 22 Gemeinden solche Erhebungen durchführen. Sie werden mit Dorfbewohnern, Bürgermeistern und Dorf-Komitees sprechen und gemeinsam Karten und Kalender erstellen, um so ein klares Bild davon zu bekommen, wo in den jeweiligen Gemeinden der Bedarf am dringendsten ist. „Schließlich geht es hier nicht um groß angelegte Strukturmaßnahmen oder Landwirtschaftsprojekte“, sagt Gernot Ritthaler. „Sondern um den Aufbau einer gemeinwesenorientierten Katastrophenvorsorge.“ Die Bedürfnisse und Probleme, die vorrangig angegangen werden müssen, können von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich sein. Dieser sozialräumliche Ansatz ist von jeher eine Kernkompetenz der Caritas. „Die vergleichsweise lange Förderung von sechs Jahren“, sagt Christine Wegner-Schneider, „gibt uns auch in der Art der Umsetzung den dafür notwendigen langen Atem.“
Wohin können Dorfbewohner flüchten?
Nachdem die Caritas-Delegation ein paar Tage in Barong verbracht hat, wirkt das Dorf schon nicht mehr nur „typisch“, sondern weist eine ganze Reihe Besonderheiten auf. Zum Beispiel sind da neuerdings diese faustgroßen Schnecken im See. Ob sie tatsächlich eine Folge des Klimawandels sind, will Dieter Rachbauer noch herausfinden. Klar ist dagegen, dass das Haus des Bürgermeisters in einer Toplage steht. Es wurde noch nie überschwemmt. Ließe sich dort oder in ähnlich sicherer Lage nicht ein Platz einrichten, wohin sich die weniger gutgestellten Dorfbewohner im Notfall flüchten können? Barong verfügt durchaus noch über höher gelegene freie Flächen. Wäre es sinnvoll, einen Teil der Bewohner dorthin umzusiedeln? Hätte eine solche Umsiedlung soziale Auswirkungen auf die Dorfgemeinschaft? Wie können gerade alte und kranke Menschen im Fall einer Katastrophe früher gewarnt werden? Wäre es sinnvoll, sichere Lebensmittelspeicher anzulegen? Mit derlei Fragen werden sich die kambodschanischen Kolleg(inn)en in den kommenden Monaten gemeinsam mit Dieter Rachbauer beschäftigen. Anpassung an den Klimawandel: Ist das nicht ein ziemlich ambitioniertes Ziel? „Ja, das ist es“, findet auch er. „Zumal unsere Prognosen ja alles andere als genau sind.“ Wie passt man sich also einem Wandel an, von dem man nicht einmal genau weiß, wie er aussehen wird? Andererseits, sagt Gernot Ritthaler, sei es den Menschen, die zweimal im Jahr kniehoch im Wasser stehen, „ziemlich egal, ob die Ursache dafür nun zwei oder drei Grad Erderwärmung sind“. Wichtig sei, den Menschen jetzt zu helfen, ihren eigenen Weg zu finden, wie sie sich auf die Veränderungen ihres Lebensumfeldes einstellen können. Ambitioniert findet Gernot Ritthaler nicht nur den Titel der neuen Förderung, sondern auch die Methode. „Man sagt immer, man muss die Menschen mitnehmen. Genau das machen wir.“