Social Media geben anonymen Institutionen ein Gesicht
Soziale Medien und Netze verändern unsere Gesellschaft. Mit welcher Geschwindigkeit, zeigen die Ereignisse des Arabischen Frühlings und der Aufstieg der Piratenpartei in Deutschland. Selbst die Kanzlerin nutzt eine Online-Plattform für den Dialog mit Bürger(inne)n. Diese Entwicklungen fordern auch die Caritas heraus und werden dazu führen, dass sich der Verband an einigen Stellen neu erfinden muss. Für die Beraterin von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Brigitte Reiser, steht fest: "Gemeinnützige Organisationen, die sich auf den Gebrauch sozialer Medien nicht verstehen, können in einer digitalen Gesellschaft ihre Funktionen - die Einbindung von Bürgern, die Erbringung von Dienstleistungen, die Interessenvertretung und die Schaffung von Partizipationschancen - auf die Dauer nicht erfolgreich ausüben."1
Um diesem Anspruch besser gerecht werden zu können, hat der Deutsche Caritasverband (DCV) im vergangenen Jahr eigene Social-Media-Leitlinien2 entwickelt. Diese wenden sich zum einen an die Verantwortlichen des Verbandes und beschreiben Voraussetzungen für ein nachhaltiges und erfolgreiches Engagement in sozialen Medien. Zum anderen skizzieren sie, wie Mitarbeiter(innen) der Caritas die sozialen Medien nutzen können.
Menschen sind sensibel dafür, ob sie ernst genommen werden oder nicht. Das gilt im Privaten, in der sozialen Arbeit und auch in der Kommunikation über soziale Medien. Die Glaubwürdigkeit einer Organisation misst sich nicht mehr nur am gedruckten Jahresbericht, sondern auch an ihrer Bereitschaft, jederzeit Fragen zu beantworten. In sozialen Netzen fordern Spender(innen) diese Transparenz ein, Bürger(innen) wollen wissen, wie Verbände öffentliche Gelder verwenden. Wer sich auf diese - bisweilen anstrengende - Form des Dialogs nicht einlassen möchte, sollte von einer Präsenz in sozialen Medien absehen.
Der Deutsche Caritasverband schreibt in seinen Social-Media-Leitlinien, dass er ein Knoten im Netz vieler Menschen werden möchte, die an sozialen Themen interessiert sind. Dieser Ansatz kann dem Verband langfristig eine aktive Rolle im sozialpolitischen Meinungsbildungsprozess sichern, da sich dieser zunehmend in die Netzöffentlichkeit verlagert. Dazu muss die Caritas aus Sicht der Medienwissenschaftlerin Katrin Kiefer "die besonderen Eigenschaften der Social Media wie Partizipation, Koproduktion und Pluralisierung bewusst […] gemeinsam mit seinen Stakeholdern […] leben."3 Um das zu realisieren, muss sich die Caritas stärker als bisher online mit anderen sozialen Organisationen verbinden und offen sein für Impulse von Menschen, die sich mit ihren Ideen und Positionen auseinandersetzen. Entscheidend ist darüber hinaus die gezielte Vernetzung der unterschiedlichen Caritasverbände, um gemeinsam im Netz aktiv werden zu können.
Bereit sein, sich zu verändern
Offene Beteiligungsprozesse in sozialen Medien stellen Verbände vor Herausforderungen, die Marcel Gluschak, Community Manager des WWF, so beschreibt: "Wenn ich meinen Unterstützern mehr Möglichkeiten zur Mitsprache gebe, kann es sein, dass diese ganz andere Inhalte voranbringen wollen, als ich zuvor geplant hatte. Kampagnen, Ressourcen und Budgets sind schon für größere Zeiträume festgezurrt - wie fange ich also Initiativen auf, die aus der Community kommen und quasi ,on top‘ betreut werden müssen?"
Die Chancen und Risiken neuer Beteiligungsformen lassen sich erst bewerten, wenn man diese ausprobiert hat - so geschehen bei der Entwicklung der Social -Media-Leitlinien der Caritas. Diese sind nicht hinter verschlossenen Türen entstanden, sondern wurden als Entwurf online zur Diskussion gestellt.4 Dies ist ein Novum für ein offizielles Papier des DCV. Mehr als 50 qualifizierte Rückmeldungen gab es - auch von Personen, die sonst keine Berührungspunkte mit der Caritas haben, aber Social-Media-Expert(inn)en sind. Ihre Kompetenz sorgte für eine qualitative Verbesserung der Leitlinien, die im Dezember 2011 vom Vorstand des DCV beschlossen wurden.
Solche Öffnungen verbandlicher Prozesse machen die Caritas auch anschlussfähig für Menschen, die punktuell ihr Know-how einbringen wollen - ohne die Hürde einer Mitgliedschaft nehmen zu müssen. Social-Media-Berater Jona Hölderle empfiehlt gemeinnützigen Organisationen deshalb, "die eigenen Strukturen zu öffnen und zwischen Interesse und Mitgliedschaft viele kleine Schritte der Beteiligung zu schaffen"5.
Die Caritas versteht sich vor Ort als Teil der sozialen Bewegungen.6 Brigitte Reiser erwartet von NGOs, dass sie die Vernetzung mit ihren Stakeholdern um eine digitale Dimension erweitern und dabei auch den Menschen neue Beteiligungsmöglichkeiten bieten, die bislang davon ausgeschlossen sind.
Über den Weblog kommen Menschen in Kontakt
Wie so etwas gelingen kann, zeigte der Deutsche Caritasverband im Jahr 2009 mit seinem Weblog "Mitten am Rand"7. Ein Jahr lang bot der Verband Menschen, die sonst nicht gehört werden, online eine Plattform. Alkoholabhängige, Menschen mit psychischen Problemen und Hartz-IV-Empfänger(innen) berichteten aus ihrem Leben. Über das Medium kamen Menschen miteinander in Kontakt, die sich im Alltag selten begegnen. Die Authentizität, Offenheit und Ehrlichkeit der Texte bewegte die Leser(innen) - was sich in mehr als 350 Kommentaren widerspiegelte und die Autor(inn)en stärkte. Ein ehemaliger Junkie fasste es so zusammen: "Teilnahme ist eine Sache, die man auch alleine machen kann. Teilhabe aber setzt ein Gegenüber voraus. Also vielen Dank dafür, dass Sie mir hier eine Teilhabe ermöglicht haben."
Social Media einbetten in die Kommunikationsstrategie
In einer aktuellen Studie untersucht Medienwissenschaftlerin Katrin Kiefer, wie NGOs soziale Netzwerke nutzen. War es anfangs oft nur "alte Kommunikation in neuen Kanälen", wird Social Media heute "intensiver für Stakeholderdialog, Online-Fundraising, Kampagnenarbeit und die Suche nach Ehrenamtlichen und Freiwilligen eingesetzt"8. Diese Ausdifferenzierung führt sie auf eine steigende Professionalisierung zurück: "So leisten sich insbesondere die großen Nonprofit-Organisationen für ihr Onlineengagement teils sogar mehrere Social Media und Community Manager."9
Das korrespondiert mit den hohen Erwartungen an den Output sozialer Medien. Einige Verantwortliche wollen damit dem Fachkräftemangel begegnen, weil sie hoffen, besser mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen. Um dieses und weitere Ziele10 zu erreichen, genügt es allerdings nicht, auf die Schnelle eine Facebook-Seite einzurichten oder einen Twitter-Kanal aufzusetzen. Die Nutzung sozialer Medien und Netze muss in die vorhandene Kommunikationsstrategie eingebunden werden. Sie ist ein neuer Baustein im Medienmix mit eigenen Aufgaben, Zielen, Ressourcen und Inhalten - ohne dabei andere Werkzeuge zu ersetzen. Dies gilt auch für kleinere Verbände und Einrichtungen.
Der auf Dauer angelegte Austausch mit Fans, Freunden oder Followern - also Leser(inne)n, die die Beiträge eines Autors abonniert haben (engl. to follow = folgen) - braucht ständig neue Impulse. Was macht zum Beispiel die Facebook-Seite einer Altenpflegeschule für junge Leute attraktiv? Welche Inhalte könnten längerfristig interessant sein? Ein Redaktionsplan sowie das Wechselspiel mit Offline-Aktivitäten und den Inhalten der eigenen Website helfen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Social-Media-Blogger Hannes Jähnert analysiert: "Ohne eine gewisse Ausdauer kein Erfolg in der Welt der sozialen Medien. Ohne klares Profil keine Aufmerksamkeit und ohne Engagement, Geld und Geduld auch keine Community. ..."11
Auf die Menschen kommt es an
Im Kern geht es in sozialen Medien um den Austausch von Menschen. Diese können direkt angefragt werden, anders als "anonyme" Organisationen. Darauf reagieren viele Unternehmen, indem sie Mitarbeiter(innen) aus der Entwicklung oder dem Kundendienst in ihre Kommunikation in sozialen Medien einbinden. So werden klassische Public Relations (PR) zu Personal Relations. Davon sind die meisten NGOs in Deutschland noch weit entfernt, stellt die Erziehungswissenschaftlerin Julia Russau in ihrem Weblog www.anerkennung-sozial.de fest: "Die Übertragung des Social-Media-Ressorts an den (eh schon vorhandenen) Pressebeauftragten (oder eine vergleichbare Person) ist leichter, als viele Mitarbeiter(innen) ins Boot zu holen und mit der neuen Aufgabe vertraut zu machen."12
Zur Betreuung der Kanäle braucht es ein extra Team
Die Social-Media-Leitlinien der Caritas sollen deshalb nicht nur Orientierung und Sicherheit im Umgang mit sozialen Medien geben. Sie beschreiben auch die Chancen, die sich für den Verband ergeben, wenn sich die beruflichen Mitarbeiter(innen) als Expert(inn)en in online geführte Diskussionen einbringen. Vorreiterin ist hier die Berliner Caritas, die gute Erfahrung mit einem interdisziplinären Team macht, das gemeinsam die Facebook-Seiten des Verbandes betreut.
Manche Verantwortliche befürchten, die Kommunikation nicht mehr steuern zu können, wenn sich verschiedene Personen des Verbandes daran beteiligen. Diese Sorge ist berechtigt. Allerdings sind im dynamischen Prozess der Meinungsbildung übers Netz die Stimmen einer authentischen und glaubwürdigen Community im Zweifelsfall mehr Wert als das offizielle Statement eines Unternehmenssprechers. Deshalb kann der Caritas nichts Besseres passieren, als dass Mitarbeiter(innen), Ehrenamtliche, Spender- und Stifter(innen) in ihren sozialen Netzen positiv über das berichten, was sie vor Ort erleben. Mit ihrem Fachwissen und ihren Erfahrungen bringen sie "das Soziale ins Netz" und werden ganz nebenbei zu wichtigen Markenbotschafter(inne)n - auch ohne offiziellen Auftrag.
Anmerkungen
1. www.tinyurl.com/reiser-npo
2. www.caritas.de/socialmediaguidelines Siehe auch: neue caritas Heft 1/12, S. 35-38. Das Dokument besteht aus nicht öffentlichen Strategieempfehlungen für Verantwortliche des Verbandes und den Leitlinien, die sich an Mitarbeiter(innen) und Freiwillige der Caritas richten. Es soll Sicherheit und Klarheit über die Nutzung sozialer Medien im beruflichen Kontext geben. Die im Dezember 2011 vom Vorstand des DCV beschlossene Empfehlung muss vor Ort an die Bedingungen der Organisation oder des Trägers angepasst und mit der dortigen Mitarbeitervertretung (MAV) abgestimmt werden. Dabei ist auch zu entscheiden, ob die Leitlinien durch eine Dienstvereinbarung ergänzt werden müssen.
3. www.tinyurl.com/Social-Media-Einsatz
4. www.tinyurl.com/Entwurf-Leitlinien
5. www.sozialmarketing.de/3-gruende-fuer-social-media
6. Vgl. Leitbild des Deutschen Caritasverbandes, III. Organisationsprofil, Nr. 21, www.caritas.de/leitbild
7. http://blog.soziale-manieren.de
8. www.tinyurl.com/Social-Media-Einsatz
9. Ebd.
10. Vgl. Social-Media-Leitlinien der Caritas, I. 2. Motivation: Warum sich die Caritas in sozialen Medien engagiert.
11. www.tinyurl.com/Kulturschock-Social-Media
12. www.tinyurl.com/russau