„Radio sag’ was!“ kriegt sie alle vors Mikrofon
"Ich mach da mit, weil ich mir mittlerweile zutraue, anderen Menschen Fragen zu stellen." Alexandra Reichel, 28 Jahre alt, ist durch "Radio sag’ was!" über sich selbst hinausgewachsen: Anfangs sehr zurückhaltend, erlebte sie mit ihrem Radio-Kollegen Pierre Ziebarth (19) ihren Durchbruch bei der Nürnberger Fachmesse ConSozial: Die beiden interviewten die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer. Das konkrete Erleben der eigenen Möglichkeiten, dann auch noch vor einem großen Publikum, hat gerade den beiden sehr gutgetan.
Seit Ende Oktober 2011 geht immer am letzten Sonntag im Monat bei ostbayerischen Regional- und Lokalsendern "Radio sag’ was!" auf Sendung - ein inklusives Radioprojekt der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Regensburg (KJF), das aus Mitteln der Aktion Mensch gefördert wird.1 Ziel des Projektes ist es, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben in der Gesellschaft zu fördern und zu ermöglichen. In Radiobeiträgen können sie ihre Lebenswelt aus der eigenen Perspektive darstellen. Die KFJ, ein Fachverband der Jugend- und Behindertenhilfe, beschäftigt in 70 Einrichtungen im Bistum Regensburg 3200 Mitarbeiter(innen), bei ihr finden jährlich 25.000 Menschen Beratung, Begleitung, Hilfe und Unterstützung.
In einigen Einrichtungen der KFJ, wie zum Beispiel den Wohngemeinschaften St. Hildegard in Straubing oder dem Pater-Rupert-Mayer-Zentrum in Regensburg, gab es bereits Hauszeitungen, die von Bewohner(inne)n oder Schüler(inne)n erarbeitet wurden - eine gute Voraussetzung, um auch für ein elektronisches Medium zu begeistern.
Ein Hörfunkjournalist bildet die vier Radioteams aus und unterstützt sie. Die Teams verteilen sich über das gesamte Bistumsgebiet. Mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von etwa 215 Kilometern Luftlinie zählt das Bistum Regensburg mit zu den größten Diözesen in Deutschland.
Im Januar 2010 machte ein siebenköpfiges Radioteam aus den Wohngemeinschaften St. Benedikt in Mitterteich in der nördlichen Oberpfalz mit einer Grundlagenschulung den Anfang. Die Teilnehmer(innen) sind 19 bis 45 Jahre alt, haben eine geistige Behinderung und werden von zwei Pädagoginnen der Einrichtung unterstützt: Sie übernehmen organisatorische Aufgaben, die die Bewohner(innen) nicht erledigen können. Beweggründe, beim Radioprojekt mitzumachen, das sehr bald den Namen "Radio sag’ was!" bekam, gab und gibt es viele.
"Mit anderen Menschen in Kontakt kommen"
Für die 30-jährige Ramona Aschenbrenner ist "Radio sag’ was!" sehr wichtig geworden: "Was mir beim Radioprojekt besonders Spaß macht ist, dass ich mit anderen Menschen in Kontakt komme, viele nette Menschen kennenlernen darf und unseren Zuhörern damit sagen kann, dass es nicht nur Menschen ohne Behinderung gibt, die Radio machen können, sondern auch Menschen mit Behinderung."
Radio-Freak Ulrich Macht (22) ist der Mann für die Technik, der bereits vor dem Radioprojekt mit Aufnahmegeräten und digitalen Schnittprogrammen gearbeitet hat. Die unkomplizierte und gut erlernbare Handhabung des Mikrophons mit integriertem Recorder (iXm von Yellowtec) trägt entscheidend zum relativ selbstständigen Arbeiten des Radioteams bei.
Anfangs fanden die Redaktionssitzungen im vierwöchentlichen Rhythmus in der Einrichtung statt, inzwischen kommuniziert das Radioteam per Mail oder Telefon mit ihrem journalistischen Berater. Das Team wählt die Themen für die Sendung aus, trägt Fragen zusammen und führt dann das Interview. Gesprächspartner waren zum Beispiel schon die eigenen Mitbewohner(innen) in der Wohngemeinschaft oder die Kolleg(inn)en in der Stiftslandwerkstätte St. Elisabeth in Mitterteich. Zum Sendestart wurde auch eine Straßenumfrage gemacht: "Menschen mit Behinderung machen Radio, was halten Sie davon?"
Das erste von vier Radioteams hat bereits einige namhafte Interviewpartner(innen) zu verzeichnen, wie den früheren Regensburger Diözesanbischof Gerhard Ludwig Müller (jetzt Präfekt der Glaubenskongregation), die schon erwähnte Sozialministerin Christine Haderthauer oder deren Staatssekretär Markus Sackmann bei einer Fragestunde im Bayerischen Landtag. Außerdem war das Team beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Gast, um im "Bayern-2-Gesundheitsgespräch" von den Erfahrungen in der Radioarbeit zu berichten. Die Weiterverarbeitung des aufgenommenen Tonmaterials, zum Teil das Texten des Beitrages und dessen sendefertige Produktion ist Aufgabe des journalistischen Beraters. Den digitalen Schnitt können auch die Radioteam-Mitglieder übernehmen, wenn die mental-motorischen Fähigkeiten dies möglich machen.
Ein weiteres Radioteam kommt aus dem Pater-Rupert-Mayer Zentrum in Regensburg aus einer Förderschule. Das Interesse am Medium Radio ist dort sehr groß, auch technische Fragen stellen bei vielen Schüler(inne)n keine Probleme dar. In zwei praktischen Übungen konnten schon erste Erfahrungen im Umgang mit Mikrofon und Interview gesammelt werden. Aufgrund seiner Größe wird das zweite Radioteam - je nach eigener Neigung der Radiomacher - in die vier Redaktionsbereiche Technik, digitaler Schnitt, Redaktion und Interview aufgeteilt. Ein drittes und viertes Radioteam entsteht in der Region Straubing und dem südlichen Niederbayern.
Die Rundfunkredaktion des Bistums kooperiert
Die Verbreitung der Beiträge war ein Punkt, der in der Startphase des Projektes ausführlich diskutiert wurde. So erwog man zum Beispiel die Ausstrahlung über ein bestehendes Internet-Radio oder dachte daran, selbst ein Programm online zu stellen. In der Katholischen Rundfunkredaktion der Bischöflichen Presse- und Medienabteilung der Diözese Regensburg hat die KJF schließlich einen Kooperationspartner gefunden.
"Radio sag’ was!" wird aus Fördermitteln der Aktion Mensch (rund 70 Prozent der Gesamtkosten) und aus Eigenmitteln der KJF (rund 30 Prozent der Gesamtkosten) finanziert. Rund zwei Drittel der Kosten werden für Honorare und Schulung der einzelnen Radioteams aufgebracht, die restlichen Mittel für Sachkosten wie zum Beispiel das Mikrofon mit integriertem Aufnahmegerät, einen Laptop, Schnittsoftware oder Headsets sowie für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Nach Ablauf der zweijährigen Förderzeit durch die Aktion Mensch wird das Projekt fortgeführt.
Das Projekt "Radio sag’ was!" hat gezeigt, dass es auch für Menschen mit Behinderung möglich ist, interessante Beiträge zu erarbeiten, in denen sie die Zuhörer(innen) mit dem eigenen Blick auf die Welt neugierig machen können. Mit den ihnen eigenen Fragen und Themen bringen sie auch manchen Radioprofi zum Staunen und bereichern ihre Zuhörer(innen).
Anmerkung
1. Informationen und Radiobeiträge sind unter www.kjf-regensburg.de/medien zu finden.