Mit weniger Fachkräften das Qualitätsniveau halten
Im Hinblick auf den Fachkräftemangel ist die Gestaltung von Pflegeprozessen in Pflegeeinrichtungen gleichermaßen unter wirtschaftlichen wie qualitätsorientierten Kriterien eine der größten Herausforderungen. Wirtschaftliche Begründungen und konzeptionelle Angebote wie Gesundheitsförderung oder Personalentwicklung allein genügen nicht, um gegenüber betroffenen Mitarbeiter(inne)n Personalabbau und Reorganisationsprozesse zu legitimieren. Die prozessnahe Begleitung der Teams in neue Strukturen kann Einsicht und damit nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen gewährleisten. Diese wiederum ermöglicht es, Ressourcen bei Mitarbeitenden und in der Prozessgestaltung zu ermitteln. Damit wird insbesondere Bereichsleitungen eine veränderte Rolle zugeschrieben, in die sie hineinbegleitet werden müssen.
Der Pflegealltag verändert sich ständig
Der Erfolgsfaktor Personal erfordert eine erweiterte Mitarbeiterorientierung im Rahmen eines strategischen Personalmanagements. Dieses beinhaltet die Planung und Gestaltung aller mitarbeiterbezogenen Maßnahmen mit dem Ziel, die Humanressourcen voll zu entfalten. Ein Teil dieser Maßnahmen ist üblicherweise durch Personalplanung, -gewinnung und -verwaltung sowie durch das Personalcontrolling im Unternehmen abgebildet und dient der notwendigen quantitativen Ressourcensteuerung. Auch die Personalentwicklung ist in der Regel über qualitative Angebote im Rahmen von Fort- und Weiterbildung, Gesundheitsförderung oder von individuellen Maßnahmen wie Mitarbeitergesprächen etabliert. Durch demografische, politische wie auch gesellschaftliche Einflüsse nimmt die Dynamik zu, den Pflegealltag kontinuierlich an veränderte Anforderungen anzupassen. Dieser Dynamik wird unter anderem mit gesetzlich vorgegebenen oder innovativ vorgedachten Modellen zur Pflegeorganisation begegnet. Mühevoll sind oftmals die Prozesse, die neuen Rahmenbedingungen nachhaltig umzusetzen, fraglich die Ergebnisse und der tatsächliche Nutzen und, gemessen daran, oft schmerzlich die dafür eingesetzten Ressourcen. Aufgrund dieser Erfahrungen und im Sinne der Mitarbeitenden, die täglich die Herausforderungen des Pflegealltags annehmen und mit dauernden Veränderungen konfrontiert werden, sollte Personalpolitik zukünftig praxisnaher und weniger konzeptionell auf die Personalführung und -entwicklung der Mitarbeiter(innen) eingehen. Dies ist bedeutend, um neue Organisationsformen erfolgreich umzusetzen und basiert auf der Begleitung der Teams und der Bereichsleitungen durch die Projektverantwortlichen.
Überforderung zeigt sich in hohen Ausfallzeiten
Am Beispiel einer zu verändernden Bereichsorganisation mit einem differenzierten Qualifikationsmix wird ein konzeptioneller Ansatz skizziert. Leitungskräften in stationären Pflegeeinrichtungen kommt darin eine "Übersetzer-Rolle" hinsichtlich neuer Konzepte aus der Unternehmensleitung zu. Hintergrund solcher Projekte ist meist die Notwendigkeit, aus betriebswirtschaftlichen Gründen oder schon bestehendem Personalmangel mit weniger Fachkräften auskommen zu müssen. Dies erfordert eine veränderte verlässliche wie wirtschaftliche Dienstplanung einzuführen. Erkenntnisse aus vielen Prozessbegleitungen machen deutlich, dass in der täglichen "bestmöglichen" Organisation in stationären Pflegebereichen die Verantwortlichen und die Mitarbeitenden oft mit der Parallelität von Routine und Veränderungsprozessen überfordert sind. Aus Sicht der Mitarbeiter(innen) sind gefühlt immer zu wenige Hände da. Überforderung zeigt sich erfahrungsgemäß in hohen Ausfallzeiten, Unzufriedenheit und rein funktionaler Ausübung der Aufgaben. Um die Arbeit zu bewältigen, unterliegen tägliche Leitungs- und Organisationsaufgaben oftmals einer subjektiven Auslegung und Ambition. Wenn auch gut gemeint, können nicht nur trägerspezifische Werte und Vorgaben verloren gehen, sondern auch Qualität und Arbeitsbedingungen aufgrund fehlender Reflexion und Korrektive negativ beeinflusst werden.
Es kann vorkommen, dass innerhalb eines Hauses Elemente der Bezugspflege, also die Kontinuität einer Pflegebeziehung, und die Berücksichtigung individueller Gewohnheiten der Bewohner(innen) in unterschiedlicher Weise im Tagesablauf zum Tragen kommen. Ein Beispiel ist auch der Umgang mit verstorbenen Bewohner(inne)n, der sich trotz eines in der Trägerphilosophie verankerten würdevollen Abschieds pragmatischen Erklärungsmustern beugen musste. Derartige Handlungen waren meist Ausdruck von Überlastung und kompensierter Hilflosigkeit, wie vorsichtige Fragen und Gespräche in den Teams deutlich machten. Meist wird über die Umsetzung der Regeln und Standards konflikt- und selten lösungsorientiert kommuniziert. Qualität und Mitarbeiterstärken lassen sich aber nur konstruktiv im gemeinsamen Dialog entwickeln.
Erstaunlich, dass trotz großer Arbeitsbelastung der Pflegeteams und nicht selten beklagter mangelnder Wertschätzung ein großes Motivationspotenzial, hohe Einsatzbereitschaft sowie eine starke Bindung an den Träger offenbar werden. Darüber hinaus ist bei vielen Mitarbeiter(inne)n ein großes Interesse an persönlicher Weiterentwicklung vorhanden, aber auch Angst, den vertrauten Bereich verlassen zu müssen. Es sind die Potenziale und Stärken der vorhandenen Mitarbeiter(innen), die für eine hohe Identifikation mit dem Berufsbild sprechen und auf die Führungskräfte in einem strategischen Personalmanagement aufbauen können.
Die Mitarbeitenden im Pflegealltag begleiten
Um anspruchsvolle Pflegeprozesse zukünftig auf hohem Qualitätsniveau mit weniger Fachkräften zu meistern, werden Teams mit differenzierten Qualifikationsstufen und unterschiedlichen Einsatzzeiten gebildet. Folglich sind zwar mehr unterstützende Hände, aber auch verschiedene Kenntnisse und Erfahrungen der Mitarbeiter(innen) an der Begleitung und Pflege der Bewohner(innen) beteiligt. Die Mitarbeiter(innen) sollen als Team den Pflegebedürftigen ein Klima einer kontinuierlichen und verlässlichen Gemeinschaft vermitteln. Dies erfordert Integrationsprozesse. In unserem Beispiel stellte sich heraus, dass der Einsatz von Servicepersonal in den Wohnbereichen nicht an fehlenden Bewerber(inne)n scheiterte. Entgegen der Befürchtungen waren diese schnell gefunden. Die stundenweisen Einsätze am Vor- und Nachmittag stellten sich sogar als familienfreundlich heraus. Zu scheitern drohte der Einsatz dieser Mitarbeiter(innen) an Verständigungs- und Verständnisproblemen. Die "Neuen" werden oft nach vorhandenen Aufgabenprofilen eingesetzt, eingewiesen und nach kurzer Zeit nach ihrem Nutzen beurteilt. Sie fühlen sich oft nicht genug begleitet und nehmen aus Unsicherheit kaum die Chance wahr, ihre Fragen einzubringen. Integration bleibt somit aus, folglich auch der Nutzen.
Qualität hängt nicht nur von der Fachkraftquote ab
Für Bereichsleitungen ist es wichtig, die Teams in Routine- und Veränderungsprozessen zu begleiten, kollegial zu beraten, Probleme und offene Fragen zu erkennen, anzusprechen und gemeinsam Lösungen zu suchen. Eine so verstandene Leitung führt das ganz alltägliche Handeln und Kommunizieren in den Teams in einen kontinuierlichen Reflexions- und Lernprozess. Gleichzeitig werden Stärken, Entwicklungsbedarfe, aber auch Grenzen und "blinde Flecken" der Teams und einzelner Mitarbeiter(innen) erkannt. Sie können gezielt in Personalentwicklungs- und Fortbildungsprogramme aufgenommen werden. Eine der Fachkraftquote zugeschriebene Qualitätsgarantie lässt sich über derartige Teamführungsprozesse relativieren.
Durch die begleitende Beobachtung der Tagesabläufe erleben die Teams Wertschätzung durch die Führungskraft. Zudem hat sich herausgestellt, dass eine Vertrauenskultur gefördert und eine kritisch-konstruktive Bewertung alter und neuer Prozesse vor Ort möglich wird. Damit können viele Einwände, die in Arbeitsgruppen einvernehmliche Lösungen blockieren, direkt ausgeräumt werden. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Begleitung und die damit verbundenen Gespräche den Mitarbeiter(inne)n Sicherheit vermitteln, eine neue Rolle und neue Aufgaben zu übernehmen. Das gilt auch für Bereichsleitungen, die so in neue Kompetenzprofile hineinbegleitet werden können.
Die stationäre Pflege von der Stigmatisierung des Verlusts von Lebensqualität der zu Pflegenden zu befreien, ist primär an das Selbstverständnis, die Kompetenz und die Bereitschaft der Mitarbeitenden gebunden. Den Bereichsleitungen obliegt eine Schlüsselposition, damit trägerspezifische Leitziele, Werte und konzeptionelle Grundlagen dort ankommen, wo sie gelebt werden - bei Pflegebedürftigen und Angehörigen. Lebensweltgestaltung im Heim ist damit gleichermaßen kunden- wie mitarbeiterorientiert.