Fach- und Führungskräftemangel: Was steckt wirklich dahinter?
Ist der Fach- und Führungskräftemangel tatsächlich eine der zentralen Herausforderungen für die Verbände und Unternehmen der Sozialwirtschaft oder nur ein populäres Trendthema? Eine umfangreiche Datenerhebung mit dem Titel "Shaper" (Entwicklung strategisch orientierter Handlungsempfehlungen gezielter Personalentwicklung), die der Diözesan-Caritasverband (DiCV) für das Erzbistum Köln 2010 startete, gibt Antwort. Ziel war es, gesicherte Daten zu Ausmaß, Entwicklung und Konsequenzen des Personalmangels in den Einrichtungen der stationären und ambulanten Pflege, der Kinder- und Jugendhilfe und den katholischen Krankenhäusern im Erzbistum Köln zu erhalten. Mit einer Marktanalyse, Befragungen von aktuellen, ehemaligen und potenziellen Mitarbeitenden, einer Erhebung personalwirtschaftlicher Daten in 65 Einrichtungen und Modellrechnungen konnten regionale Problemlagen identifiziert und Handlungserfordernisse und -möglichkeiten definiert werden.
In 60 Prozent der Fälle keine Bewerber auf offene Stellen
Ein flächendeckender Fach- und Führungskräftemangel, der sich in vielen dauerhaft unbesetzten Stellen niederschlägt, ist auf der Basis der ermittelten Daten (noch) nicht zu konstatieren. Die Interpretation, es gäbe ihn somit nicht, ist jedoch unzulässig. Vielmehr wird deutlich, dass dieser Mangel an Brisanz gewinnt und die Organisationen vor neue Herausforderungen stellt. Ein Indiz ist, dass der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Besetzung freier Stellen deutlich gestiegen ist. Die Zahl der Bewerbungen, insbesondere für Führungspositionen, ist in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Tatsächlich gehen auf entsprechende Stellenausschreibungen in der Kinder- und Jugendhilfe in 45 Prozent, in der ambulanten Pflege sogar in 60 Prozent der Fälle gar keine Bewerbungen ein.
Als häufigster Grund für die Nicht-Besetzung von Stellen wird die fehlende fachliche oder persönliche Qualifikation der Bewerber(innen) angeführt. Der Markt für die "Right-Potentials", also für diejenigen, die die richtige Qualifikation mitbringen und die Anforderungen tatsächlich erfüllen, ist eng. Folglich wächst die Konkurrenz sozialer Organisationen um geeignete Fach- und Führungskräfte. Umso mehr rückt die Attraktivität des Arbeitgebers - zum Beispiel gute Angebote zur Fort- und Weiterbildung, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Gesundheitsförderung - in den Fokus (s. auch S. 9ff. in neue caritas Heft 20/2012).
Dies gilt nicht nur für die Personalsuche, sondern auch für das Bemühen, Mitarbeitende zu binden. Wenn rund die Hälfte der Befragten in allen Arbeitsfeldern angeben, wahrscheinlich aus Gesundheitsgründen nicht bis zum Rentenalter arbeiten zu können, ist das ein Alarmsignal. Neben dem Mangel an Nachwuchskräften verschärft der vorzeitige Austritt den Fachkräftemangel.
In der Diskussion wird häufig gesagt, es fänden sich nicht genug Mitarbeitende, die Interesse an der Übernahme von Führung zeigen. Umso erstaunlicher ist, dass 47 Prozent der angehenden Altenpfleger(innen) und Sozialarbeiter(innen) während ihrer Ausbildung angeben, dass sie in jedem Fall später Führungsverantwortung übernehmen wollen. Offenbar wird die festgestellte mangelnde Bereitschaft, Führung zu übernehmen, nicht von den Berufseinsteigern "mitgebracht", sondern erst im Arbeitsalltag, vor dem Hintergrund konkreter Organisations- und schlechter Rahmenbedingungen "erworben".
Dies sind nur einige Erkenntnisse aus der Studie, die aber zu einer eindeutigen Kernbotschaft führen: Der Personalgewinnung, -bindung und -entwicklung muss zukünftig eine zentrale Rolle zukommen, um in einem von Fach- und Führungskräftemangel bestimmten Wettbewerb dauerhaft bestehen zu können. Der Kölner DiCV hat auf Grundlage der Daten eine umfangreiche Maßnahmenliste erarbeitet. Priorität hat dabei neben einer Stärkung der mitarbeiterorientierten Unternehmenskultur die engere Kooperation mit Ausbildungsstätten und die Schaffung attraktiver Angebote für Auszubildende, Studierende und Praktikanten.