Gesund zu leben ist ein Befähigungsziel
"Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: Dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen."1
Die WHO definiert Gesundheit nicht nur als Freisein von Krankheit. Neben den körperlichen umfasst Gesundheit auch psychische und soziale Aspekte, die an das persönliche Wohlbefinden gebunden sind. Neben dem individuellen Gesundheitsbewusstsein und -verhalten spielen also auch die jeweiligen sozialen, ökologischen, politischen und ökonomischen (Lebens-)Verhältnisse des Menschen eine Rolle. Aus diesem Grund sind die Chancen für eine gesunde Lebensgestaltung in unserer Gesellschaft ungleich verteilt. Ergebnis dieser sozialen Ungleichheit sind die negativen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse und den Gesundheitszustand gerade bei benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen:
- Verzehr von ungesunden Nahrungsmitteln,
- schlechtes Essverhalten bis hin zu Essstörungen,
- Übergewicht und Haltungsschäden durch Bewegungsmangel,
- Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum,
- hohe Gewaltbelastung und erhöhte Gewaltbereitschaft,
- psychische Probleme und Auffälligkeiten,
- soziale Isolation durch extremen Medienkonsum,
- extreme Hilflosigkeit im Umgang mit Belastungssituationen.
Folgt man dem Gesundheitsverständnis der WHO und betrachtet gleichzeitig die Problemlagen der benachteiligten jungen Menschen, dann ist offensichtlich, dass für gesundheitsrelevantes Verhalten und den Gesundheitszustand vieler Jugendlichen etwas getan werden muss. Grundsätzlich fehlt es jedoch an aufeinander abgestimmten Strategien. Um die Möglichkeiten der Gesundheitsförderung in der Jugendsozialarbeit ausschöpfen zu können, bedarf es einer stärkeren rechtlichen Verankerung. So enthalten die relevanten Gesetzbücher bislang noch keine Grundlagen, die explizit gesundheitsfördernde oder präventive Maßnahmen vorsehen. Gleichwohl bestehen implizit Potenziale, die jedoch erst in jüngster Zeit genutzt werden.
Prävention - eine Aufgabe für Kasse und Arbeitsagentur
Vor allem bedarf es der finanziellen Absicherung für präventive und gesundheitsförderliche Maßnahmen. Rechtlich gesehen sind die gesetzlichen Krankenkassen dazu verpflichtet, ihren Mitgliedern solche Leistungen anzubieten. Dies gilt ausdrücklich auch für sozial benachteiligte Personen mit ungünstigen Gesundheitsaussichten. Entsprechende Kursangebote werden von diesen Versicherten jedoch kaum wahrgenommen. Die Teilnahme an Präventionsmaßnahmen setzt eine finanzielle Vorleistung voraus, die erst nach Kursende und häufig nur zum Teil durch die Krankenkasse zurückerstattet wird. Dies können und wollen sich Angehörige der jungen Zielgruppe in der Regel nicht leisten. Um direkt vor Ort alltagstaugliche Konzepte anbieten zu können, wäre eine enge Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und der Bundesagentur für Arbeit notwendig.
Pädagogik muss Gesundheit individuell vermitteln
Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt aber nicht nur im Gesundheitssektor, sondern auch bei der Politik. Diese hat grundlegend dafür zu sorgen, dass sich die gesellschaftlichen Bedingungen für benachteiligte junge Menschen positiv verändern. So sind Befähigungs- und Bildungsgerechtigkeit derzeit zwar wichtige politische Ziele - und aus dieser Debatte ist auch das Thema Gesundheit nicht mehr wegzudenken. Doch fokussiert dies nicht unbedingt auf das "gesundheitliche Wohl der Jugendlichen", sondern darauf, sie in die Lage zu versetzen, dem Arbeitsmarkt zuverlässig zur Verfügung zu stehen.
So sind die pädagogischen Fachkräfte in den Einrichtungen der Jugendsozialarbeit immer mehr gefordert, Themen der Gesundheitsförderung und Prävention in ihr Bildungsangebot zu integrieren. Sie konzipieren angemessen niedrigschwellige, pädagogische Angebote und setzen diese im Alltag der jungen Menschen um. Statt isolierter Präventionsprogramme ist eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit Körperlichkeit und Bewegung, mit Ernährung, aber auch mit Sexualität, Partnerschaft und den dazugehörigen psychosozialen Aspekten notwendig. Da Gesundheit in vielen Bereichen nicht normativ festgelegt, sondern immer auch das subjektive Wohlbefinden von Bedeutung ist, sollten die Angebote jeweils individuell auf die Zielgruppe abgestimmt sein. Dabei müssen Gender-Aspekte, aber auch Kultur, Alter und Lebenswelt berücksichtigt werden. Beispielsweise stehen Mitarbeiter(innen) von Jugendwerkstätten in unmittelbarem Kontakt zu den Jugendlichen. Deshalb können sie diese bereits aktiv in die Planung ihrer Angebote einbeziehen. Sie sollen schließlich befähigt werden, selbstständig ihr Gesundheitspotenzial zu optimieren, um so die bestehende gesellschaftliche Ungleichheit in Bezug auf ihren Gesundheitsstatus zu verringern. Die Jugendlichen brauchen keine Vorschriften für ein gesundes Leben. Sie brauchen Unterstützung, um ihre Probleme anzugehen, ihre Risikofaktoren in eine positive Richtung zu verschieben und damit mehr Widerstandskraft gegen ihre Belastungen im Alltag zu entwickeln.
Anhand diverser Programme können sich die Fachkräfte der Jugendsozialarbeit/-berufshilfe Anregungen holen. Zunächst muss jedoch erst einmal das Bewusstsein dafür hergestellt werden, dass Gesundheitsförderung und Prävention grundlegende Ziele des fachlichen Handelns sind und in den Angeboten der Jugendhilfe stärker als bisher Berücksichtigung finden sollten. Um solche Ansätze umzusetzen, benötigen die Fachkräfte langfristig eine umfassende Kenntnis der Grundlagen, Konzepte und Strategien der Gesundheitsförderung. Daneben bedarf es entsprechender institutioneller Ressourcen und Rahmenbedingungen, um ihre Angebote in ihr professionelles Handeln einzubetten. Die guten Beziehungen zu den Jugendlichen verhelfen den Fachkräften dabei, auch solch grundlegende Themen im Rahmen ihrer Arbeit anzugehen und zu vertiefen.
Die Beispiele im Kasten zeigen, wie eine Jugendwerkstatt ein niedrigschwelliges Konzept zur Gesundheitsförderung und Prävention in ihr reguläres Angebot integriert hat. Damit wird deutlich, welchen wertvollen Beitrag die Jugendsozialarbeit zur Gesundheitsförderung leisten kann.
Anmerkung
1. Weltgesundheitsorganisation (WHO): Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. Ottawa, 1986. Download: www.euro.who.int, Suchbegriff: "Ottawa 1986 Deutsch".