„China wird reicher, aber nicht alle Chinesen“
Seit 1989 unterstützt der Deutsche Caritasverband (DCV) Hilfsprojekte in China - immer begleitet von der Frage: Warum eigentlich? Warum muss ausgerechnet den Chinesen geholfen werden? "Zu groß, zu reich, zu kompliziert", fasst Reinhard Würkner, Referatsleiter Asien bei Caritas international, die Bedenken derjenigen zusammen, die humanitäre Hilfe in China mit Skepsis betrachten. Ein Symposium mit chinesischen sowie deutschen Wissenschaftler(inne)n und Praktiker(inne)n hat in Freiburg Möglichkeiten und Grenzen des humanitären Engagements im Reich der Mitte diskutiert.
Zu groß: 4200 Kilometer muss zurücklegen, wer China von Ost nach West durchschreiten will: vergleichbar in Europa dem Weg von Portugals Küsten bis zum Ural. Gerade mal zwölf Millionen Katholik(inn)en verlieren sich in diesem Riesenreich von 1,3 Milliarden Chines(inn)en. Das entspricht 0,92 Prozent der Bevölkerung.
Die katholische Kirche steht unter Generalverdacht
Zu kompliziert: Die Bedingungen, unter denen eine katholische Hilfsorganisation in China arbeitet, sind mit dem Begriff "kompliziert" eher freundlich umschrieben. Drei Umstände sind dafür zentral. Erstens: Die katholische Kirche steht in China unter Generalverdacht. Der Staat sieht die Oberhoheit des Papstes als ausländische Einmischung in chinesische Angelegenheiten an. Zweitens: Die katholische Kirche ist in eine Untergrundkirche und eine "offizielle Kirche" gespalten. Da die katholische Kirche offiziell verboten ist, dürfen Gottesdienste nur in staatlich zugelassenen Kirchen gefeiert werden. Dem Papst anhängende Katholiken feiern ihre Gottesdienste aus Angst vor Verhaftung im Untergrund. Drittens: Chinesische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unterliegen restriktiven Arbeitsbedingungen und sind in ihren Aktivitäten durch den Staat noch immer stark beschränkt.
Zu reich: China ist in den vergangenen Jahrzehnten zur zweitgrößten Wirtschaftsnation der Welt aufgestiegen und hat es dank großer Anstrengungen in den vergangenen 20 Jahren geschafft, die Armutsrate deutlich zu senken. Die Zahl der Menschen, die von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag leben müssen, also als "extrem arm" gelten, hat sich um 510 Millionen Menschen verringert.
Wer angesichts dieser Rahmenbedingungen als Hilfsorganisation in China tätig ist, braucht gute Gründe. Wohl der wichtigste davon ist, dass noch immer 100 Millionen Chines(inn)en unterhalb der Armutsgrenze leben. Und: Die soziale Ungleichheit wächst rasant. Vorstandsvorsitzende und Fußballspieler verdienen bis zum 3000-fachen des Durchschnitts-Chinesen. Gleichzeitig leben über 60 Prozent der Chines(inn)en in verarmten Verhältnissen auf dem Land. In anderen Worten: Fast jede(r) dritte Dorfbewohner(in) auf der Welt ist Chinese/Chinesin. Doch von der Landwirtschaft können die Menschen kaum noch leben. 150 Millionen von ihnen gelten laut Regierung als "überschüssige Arbeitskräfte". Father John Ren von "Jinde Charities", einem Partner von Caritas international, sagte es so: "China wird reicher, aber nicht alle Chinesen."
Das Verhältnis der Helfer zum Staat ist zwiespältig
"Jinde Charities" nahm 1998 die Arbeit auf und engagiert sich seitdem unter anderem in der Katastrophenhilfe, Altenfürsorge, HIV-Prävention, der Pflege von Aidsinfizierten und in landwirtschaftlichen Projekten. Im Jahr 2006 konnte sich "Jinde" offiziell als Stiftung mit NGO-Status registrieren. Das Verhältnis zum Staat ist dennoch zwiespältig: Während die Regierung grundsätzlich allen Vereinigungen von Bürger(inne)n misstrauisch gegenübersteht, die nicht von Staat oder Partei kontrolliert werden, ist sie aufgrund der sozialen Probleme, die als Nebeneffekt des wirtschaftlichen Wachstums entstehen, auf die NGOs als sozialen Puffer angewiesen. Diesen Widerspruch bekommt auch "Jinde" zu spüren. Ermunterung durch den Staat wechselt sich ab mit repressiven Phasen. Die richtige Mischung zwischen Nähe und Distanz muss tagtäglich aufs Neue ausgehandelt werden.
Klarer ist das Verhältnis von "Jinde Charities" im Hinblick auf die Spaltung der katholischen Kirche. Statt sich auf eine Seite zu schlagen, versteht man sich als Mittler. Um nicht gegen chinesisches Recht zu verstoßen, ist "Jinde" zwar in der offiziellen Kirche registriert, pflegt aber bewusst Kontakt zu beiden Seiten, indem zum Beispiel gemeinsame Tagungen und Konferenzen abgehalten werden.
In diesem Kurs bestätigt fühlen durften sich die Caritas-Partner im Februar 2012 durch den Besuch von Bundeskanzlerin Merkel. Sie ermunterte die katholische Kirche ausdrücklich, ihre caritative Arbeit auszubauen - ein Weg, den der Deutsche Caritasverband und die katholische Kirche in Deutschland weiter begleiten werden. Dass es dabei künftig immer weniger um finanzielle Unterstützung und dafür stärker um Transfer von Know-how und Expertise geht, darin waren sich die Teilnehmer(innen) des Freiburger Symposiums einig.