Soziale Dienstleistung kann Kosten vermeiden
Sind sozialunternehmen wertschöpfend tätig oder sind sie vor allem ein Kostenfaktor für die öffentliche Hand? Diese Frage so zu stellen mag befremden. Das St. Josefshaus in Herten hat es getan, ohne daran zu zweifeln, dass die Einrichtung in erster Linie einen sozialen Auftrag erfüllt, der aus Sicht der Menschen, die dort wohnen und arbeiten, zunächst einmal unbezahlbar ist. Das waren 2009 im Bereich der Behindertenhilfe des Josefshauses knapp 750 Bewohner(innen), über 400 Beschäftigte in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) und 165 Kinder mit Behinderung in Schule und Kindergarten.
Den Wert einer sozialen Dienstleistung an seiner Rentabilität zu messen hieße, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn es ist das Wesen einer sozialpolitischen Intervention, eine gesellschaftliche Versorgungslücke auszugleichen. Dennoch geht es an der Realität vorbei zu glauben, jeder Euro, der in eine soziale Einrichtung fließt, sei "verbraucht". Bei der Diskussion um Budgets geraten zwei Dinge oft in Vergessenheit:
- Soziale Einrichtungen sind auch Wirtschaftsbetriebe.
- Für die Gesellschaft würden gegebenenfalls höhere Kosten entstehen, wenn es soziale Einrichtungen nicht gäbe.
Es überrascht nicht, dass es beide Perspektiven, soziale Einrichtungen als Unternehmen zu sehen und die Kosten der Alternativen zu betrachten, im sozialpolitischen Alltag schwer haben.
Denn die Geldströme, die in ein Sozialunternehmen fließen, sind über Entgeltzahlungen, Kostenübernahmen und größere Zuschüsse leicht auszumachen. Doch Rückflüsse in Form von Steuern, Abgaben oder induzierten wirtschaftlichen Effekten kommen auf Umwegen und an anderer Stelle der öffentlichen Hand an. Bildlich gesprochen, gibt die eine Hand und die andere Hand nimmt. Mit etwas Akribie lassen sich auch diese Mittelströme abbilden.
Die zweite Perspektive existiert eher als ein diffuses Gefühl für das Ausmaß der gesellschaftlichen Kosten, die entstünden, gäbe es eine soziale Dienstleistung nicht. Zunächst scheint es, als müsste es ein gefühlter Aufwand bleiben, der in der Argumentation leicht für oder gegen eine Maßnahme ausschlagen kann, weil eine genaue Kalkulation an vielen Unbekannten scheitern müsste. Manchmal will man es vielleicht auch gar nicht so genau wissen. Ein Gummiargument lässt sich schließlich vielfältig einsetzen. Doch auch hier sind finanzielle Dimensionen darstellbar, sofern man empirische Daten heranzieht und sorgfältig abgrenzt, was in die Betrachtung tatsächlich einfließt. Wo keine Daten vorliegen, ist diese Grundlage durch begründete und pragmatische Schätzungen zu ergänzen.
Eine Unternehmensberatung aus Nürnberg untersuchte das St. Josefshaus Herten mit dem Instrument des Social Return on Investment (SROI), das die klassischen finanziellen Bewertungsmethoden um einen sozialökonomischen Wert erweitert.
Die erste Perspektive besagt: Soziale Unternehmen sind nicht nur "sozial", sondern auch "Unternehmen". Sie bieten sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse (Behindertenhilfe St. Josefshaus: 1299 Mitarbeitende), zahlen Steuern, Abgaben und sind Endabnehmer für Wirtschaftsgüter aus der Region, schaffen also regional Nachfrage und erzeugen Mehrwert.
Ein Euro kostet nur 60 Cent
In die Behindertenhilfe des St. Josefshauses fließen jährlich1 rund 42,6 Millionen Euro2. Ebenfalls in Form von institutionellen Transfers zahlt die Einrichtung 17,4 Millionen Euro an die öffentliche Hand zurück. Dies sind gut 40 Prozent der eingesetzten öffentlichen Mittel, oder anders: Vier von zehn Fördereuros werden wieder eingenommen. Je nach Arbeitsfeld bewegt sich dieser Wert zwischen 34 Prozent und 57 Prozent.
Das St. Josefshaus erzeugt im Landkreis Lörrach eine Nachfragewirkung von 25,5 Millionen Euro. Das sind 254 Prozent der vom Landkreis für die Eingliederungshilfe eingesetzten Mittel. Die Personen aus dem Landkreis Lörrach, die im Josefshaus beschäftigt sind, erzielen 38,2 Millionen Euro an Einkommen (381 Prozent der Landkreismittel). Außerdem vermeidet der Landkreis Sozialleistungen in Höhe von 4,2 Millionen Euro oder 42 Prozent des Mitteleinsatzes. Dass diese Bilanz für den Landkreis so positiv ausfällt, liegt vor allem daran, dass ein großer Teil der Betreuten aus ganz Deutschland kommt.
Die zweite in Haushaltsdebatten oft wenig beachtete Perspektive ist die Frage nach den Kosten für die Alternativen. Was wäre, wenn es die Einrichtung mit ihrem Leistungsangebot nicht gäbe? Wie hoch wären dann die gesellschaftlichen Kosten?
Die Einrichtung bietet gesetzlich garantierte Leistungen an, die durch andere Angebote ersetzt werden müssten. Diese Alternativen würden insgesamt 32,1 Millionen Euro (Nettoaufwand) kosten. Das Angebot des St. Josefshauses kostet netto nur 20,7 Millionen Euro.3 Insgesamt muss die öffentliche Hand durch die Einrichtung 11,4 Millionen Euro weniger ausgeben; die Alternativen wären rund 55 Prozent teurer.
Den sozialen und wirtschaftlichen Nutzen verdeutlichen
Die Ergebnisse des Social Return on Investment wecken Neugier, lenken den Blick auf die wirtschaftlichen Effekte und stoßen Diskussionen an. Zunächst war überraschend, dass aus 100 Euro letztlich 60 Euro Aufwand werden. Auch die regionalökonomischen Effekte lassen aufhorchen. Immerhin induziert die Einrichtung ein Vielfaches von dem, was der Landkreis an Mitteln dafür aufbringt. An der Mittelvergabe Beteiligte haben verstanden, dass eine Einrichtung mit überregionalem Versorgungsauftrag positiv auf die regionale Wirtschaft wirkt. Das Geld wird vor Ort ausgegeben. An den Steuereinnahmen partizipiert der Landkreis in hohem Maße. Dies zeigt, dass die reine Haushaltssicht zu kurz greift, um die wirtschaftlich relevanten Wirkungen eines Sozialunternehmens zu erkennen. Erfahrungsgemäß sind die vermiedenen gesellschaftlichen Kosten nicht immer im Blick der Mittelverantwortlichen.
Deshalb muss kontinuierlich auf alle Wirkungen hingewiesen werden, die ein soziales Dienstleistungsunternehmen mit öffentlichem Auftrag erzielt, so dass die Öffentlichkeit sowohl den sozialen als auch volkswirtschaftlichen Nutzen wahrnimmt.
Anmerkungen
1. Alle Summenangaben beziehen sich auf das Jahr 2009.
2. Die Summen in Euro sind auf hunderttausend gerundet. Etwaige Abweichungen bei Prozentangaben im gleichen Kontext liegen hier begründet.
3. Hier wurden nicht nur die direkten Zu- und Rückflüsse einbezogen, sondern auch indirekte.