In der Wohngruppe pflegt es sich deutlich besser
Von April 2009 bis Februar 2010 haben Studenten der Katholischen Hochschule Freiburg1 unter Leitung von Professor Burkhard Werner eine Studie zu Belastungen in der Pflege von Demenzkranken durchgeführt. Mit einem selbst ergänzten Fragebogen der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) wurden in neun stationären Pflegeeinrichtungen 86 Mitarbeitetende und in sieben Wohngruppen 55 Mitarbeiter(innen) befragt. Das Auswahlverfahren der einbezogenen Einrichtungen in Baden-Württemberg und Bayern war nicht repräsentativ. Die Befragung beruhte ausschließlich auf freiwilliger Teilnahme. Mit einer Rücklaufquote von 61 Prozent ist sie zumindest aussagekräftig für die Situation der teilnehmenden Einrichtungen und deren Mitarbeiter.
Eindeutige Ergebnisse
Psychisch Belastete sind unter Mitarbeitenden der Wohnbereiche in Heimen mit einem Anteil von 57 Prozent anzutreffen, unter den Mitarbeiter(inne)n in den WGs nur mit einem Anteil von 26 Prozent. Der durchschnittliche Anteil psychisch Beanspruchter liegt in den Wohnbereichen der Heime bei 55 Prozent, in den Wohngemeinschaften bei 33 Prozent. Offensichtlich gelingt es der "Organisation" Wohngemeinschaft und ambulanter Pflegedienst, den Anteil psychisch Belasteter und Beanspruchter deutlich niedriger zu halten im Vergleich zur "Organisation" Altenpflegeheim, wenngleich auch in Einzelfällen Wohnbereiche in Heimen mit einem niedrigen Anteil belasteter Mitarbeiter zu finden waren. Grundlegende Merkmale der Organisationen dürften für diese letztlich systematischen Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Mitarbeitergruppen verantwortlich sein, insbesondere die jeweilige Größe der Bewohnergruppen. Im Heim war die Durchschnittsgröße 20,2 (zwischen zehn und 44) Plätze. In den Demenz-WGs lag die Durchschnittsgröße bei 8,1 (zwischen sieben und elf) Plätzen. Entsprechend unterschiedlich antworteten die Befragten je nach Einrichtungstyp auf die Frage, ob "die Zuständigkeit der Pflegenden für (zu) viele Bewohner" belastend wirkt. Pflegende, die im Heim arbeiten, stimmen dieser Frage mit 50 Prozent deutlich häufiger zu als Pflegende in den WGs mit acht Prozent.
Auch die komplexe und unübersichtliche Rechtslage scheint ein Belastungsfaktor zu sein. Jedenfalls liegt der Anteil der Belasteten unter denen, die sich um rechtliche Aspekte und Gesetze in der täglichen Arbeit Sorgen machen, mit 68 Prozent um 15 Prozentpunkte über dem der Mitarbeiter(innen), denen diese keine großen Sorgen bereiten (53 Prozent psychisch Belastete). Auch die Sorge um rechtliche Aspekte unterscheidet die Mitarbeitenden der Heime (71 Prozent) von denen der WGs (46 Prozent). Der Rechtsbereich ist also für beide Mitarbeitergruppen eine relevante Quelle von Arbeitsbelastungen. Dies gilt aber besonders für die Pflegefachkräfte (dreijährig Ausgebildete), die deutlich häufiger Sorgen darüber äußern als Mitarbeitende mit einer geringeren oder ohne pflegerische(n) Berufsqualifikation.
Auch beim subjektiven Gesundheitszustand unterscheiden sich die beiden Gruppen. Es muss aber bedenklich stimmen, dass 42 Prozent aller Befragten ihn als eher schlecht oder schlecht einstufen (Heime 49 Prozent, WGs 32 Prozent).
Hohe Identifikation verringert die Belastung
Bei der Frage nach zurückliegenden Krankmeldungen - ein aussagefähiger Indikator für den Gesundheitszustand von Beschäftigten - sind die Differenzen noch deutlicher. "Nur" 15 Prozent der befragten WG-Mitarbeiter hatten in den letzten drei Monaten mindestens einen Fehltag wegen Erkrankung gegenüber 33 Prozent der Mitarbeiter in Heim-Wohnbereichen.
Am stärksten unterscheidet aber die Identifikation mit der eigenen Einrichtung und dem eigenen Arbeitsplatz zwischen Heim- und WG-Mitarbeitenden. Bei Fragen zur Qualität von Pflege und Arbeitsplatz und zum öffentlichen Image der eigenen Einrichtung konnten vier Gruppen identifiziert werden: jeweils eine Gruppe mit gar keiner, mit geringer, mittlerer oder hoher positiver Einstellung zur eigenen Einrichtung. Die Mitarbeiter der Heime verteilten sich zu elf und 22 Prozent und je einem Drittel auf die vier genannten Gruppen. Die Mitarbeiter(innen) der WGs gehören nur zu den Gruppen mit geringer Identifikation (17 Prozent), mit mittlerer (35 Prozent) und hoher positiver Identifikation (48 Prozent). Keine(r) der Befragten aus den WGs hatte eine völlig negative Einstellung. Der Indikator für die Identifikation mit der eigenen Einrichtung korrespondiert am stärksten von allen untersuchten Mitarbeiter-Merkmalen mit der psychischen Belastung: Je geringer die Identifikation der Befragten mit der Einrichtung, desto höher die psychische Belastung. Vermutet werden muss ein zirkulärer Zusammenhang: Belastungen aus der alltäglichen Arbeit und die Identifikation mit der eigener Einrichtung stehen zueinander in einem sich gegenseitig verstärkenden Wechselwirkungsverhältnis.
Weitere Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass präventive Maßnahmen wie Supervision die psychische Beanspruchung, Maßnahmen zur Bewältigung der Sorgen um rechtliche Aspekte die psychische Belastung reduzieren können. Diese Ergebnisse müssen bei zukünftigen Interventionen und Reformen in der Weiterentwicklung des Versorgungsangebotes berücksichtigt werden. Möglicherweise bedeutet aber eine Umstellung der Versorgung pflegebedürftiger Demenzkranker, also ein Wechsel von der stationären Heimversorgung zur stärker dezentralen, kommunal integrierten ambulant betreuten Pflege-Wohngemeinschaft, nicht nur für die Bewohner eine Verbesserung ihrer Lebensqualität, sondern auch für die Pflegekräfte und sonstigen Mitarbeiter eine Verbesserung ihrer Arbeitsplätze.
Der Bericht kann angefordert werden unter: werner@kh-freiburg.de
Anmerkung
1. Im Zeitraum der Studie firmierte die KH Freiburg noch als Katholische Fachhochschule.