Insolvenzen in der Sozialwirtschaft
In den vergangenen zwei Jahren war die Sozialwirtschaft von einer erhöhten Anzahl an Insolvenzen betroffen. Allein 2023 zählte das Statistische Bundesamt 29 Insolvenzverfahren von Krankenhäusern - genau so viele wie in den vier Jahren zuvor zusammengenommen.
Die Ursachen für diese besorgniserregende Entwicklung sind komplex und vielschichtig. Wie das regelmäßig von der SozialGestaltung im Auftrag der Sozialbank durchgeführte "Trendbarometer Sozial- und Gesundheitswirtschaft" verdeutlicht, kämpfen viele Einrichtungen mit einem gravierenden Fachkräftemangel, der zu drastischen Belegungsrückgängen geführt hat. Dies zwingt zahlreiche Organisationen, ihre Aufnahmekapazitäten zu reduzieren, was wiederum erhebliche Einbußen bei den Einnahmen zur Folge hat.
Hinzu kommt, dass die Vergütungsverhandlungen mit den Kostenträgern häufig unbefriedigend verlaufen. Obwohl die Personalkosten kontinuierlich zunehmen und Ausgaben inflationsbedingt steigen, bleiben die Vergütungserhöhungen gering. Rund die Hälfte der im Rahmen des Trendbarometers befragten Einrichtungen rechnet damit, in der nächsten Verhandlungsrunde nur maximal sechs Prozent Erhöhung durchsetzen zu können. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der bereits entstandenen Defizite.
Ein weiteres erhebliches Risiko für eine Insolvenz stellt die oft veraltete Infrastruktur dar. Besonders in Krankenhäusern führen lange Wege, unflexible räumliche Strukturen und ein hoher Investitionsstau zu wirtschaftlichen Engpässen. Während Kliniken durch optimale Auslastung einigermaßen gegensteuern können, trifft es Pflegeheime besonders hart. Für Pflegeeinrichtungen ist die Immobilie nicht nur ein Aushängeschild, sondern ein zentraler Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit.
Die Auswirkungen dieser Missstände sind jetzt und in Zukunft spürbar. Die Insolvenzzahlen aus den Vorjahren und die aktuelle politische sowie gesamtgesellschaftliche Entwicklung lassen folgende Prognose zu: Die Insolvenzquote der Krankenhäuser wird voraussichtlich auf 0,4 bis 0,6 Prozent sinken, die Insolvenzquote von Pflegeeinrichtungen wird jedoch auch in den kommenden Jahren zwischen 1,0 und 1,5 Prozent liegen.
Der stationäre Pflegemarkt ist im Umbruch
Generell scheiden eher kleinere Pflegeheime aus dem Markt aus, während größere Einrichtungen hinzukommen: Im Jahr 2023 wurden 62 Pflegeheime mit durchschnittlich 49 Plätzen geschlossen, wodurch insgesamt 3026 Plätze vom Markt verschwanden. Zugleich wurden 91 neue Pflegeheime mit durchschnittlich 74 Plätzen eröffnet, was für 6752 neue Plätze sorgt. Am Ende des Jahres standen insgesamt also 3690 Plätze mehr zur Verfügung.
Daten der Plattform "Insolvenzbekanntmachungen" zeigen bei genauerer Analyse, dass die Mehrheit der aus dem Markt ausgeschiedenen Pflege-Einrichtungen von privaten Trägern betrieben wurde. Nur etwa acht Prozent der betroffenen Einrichtungen waren in gemeinnütziger Trägerschaft (siehe Abbildung 1). Mittel- bis langfristig werden die wirtschaftlichen Herausforderungen allerdings auch für gemeinnützige Träger in der stationären Pflege zunehmen. Denn gemeinnützige Träger sind oft zurückhaltend bei der Weiterentwicklung ihrer Angebote. Beispielsweise investieren sie seltener in Angebote, die weniger Personal erfordern, wie das betreute Wohnen.
Steigende Anzahl an Insolvenzen im Krankenhausmarkt
Unter den Krankenhäusern sind freigemeinnützige Träger hingegen wesentlich häufiger von Insolvenzen betroffen. Seit 2018 schwankt die Zahl der Insolvenzen im Krankenhausmarkt erheblich und erreichte 2023 mit 29 Insolvenzen ihren Höhepunkt (siehe Abbildung 2, S. 23). Ein Grund für den Anstieg im Jahr 2023 sind die nachwirkenden Effekte der Coronapandemie. In den Jahren 2020 und 2021 war die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt, weshalb drohende Insolvenzen nicht statistisch erfasst und erst in den nachfolgenden Jahren gemeldet wurden. Darüber hinaus führte das Auslaufen der Corona-Rettungsschirme bei einigen Krankenhäusern zu erheblichen wirtschaftlichen Defiziten.
Rund 80 Prozent dieser Insolvenzen entfielen auf Krankenhäuser in freigemeinnütziger Trägerschaft, während etwa 19 Prozent öffentlich-rechtliche und nur knapp drei Prozent Einrichtungen in privater Trägerschaft betrafen. Freigemeinnützige Krankenhäuser stehen vor besonders großen Herausforderungen, da ihnen wesentliche risikominimierende Rahmenbedingungen fehlen, von denen viele Kliniken in privater und öffentlicher Trägerschaft profitieren. Private Kliniken sind oft in größere Verbünde eingebettet, die Kapital am Markt aufnehmen und Verluste einzelner Häuser innerhalb des Konzerns ausgleichen können. Öffentliche Krankenhäuser erhalten häufig finanzielle Unterstützung von ihren kommunalen Trägern.
Dabei ist unbestritten, dass der Defizitausgleich durch Krankenhausträger keine nachhaltige Lösung darstellt. Klagen auf nationaler Ebene sowie ein Beschwerdeverfahren bei der EU-Kommission könnten dazu beitragen, der Wettbewerbsverzerrung durch die einseitige finanzielle Unterstützung öffentlicher Kliniken entgegenzuwirken. Darüber hinaus stehen die öffentlichen Haushalte vor der Herausforderung, dass die für Krankenhäuser bereitgestellten Mittel andernorts - bei Kitas, Schulen und der Infrastruktur - fehlen. Diese Zielkonflikte werden durch die wirtschaftliche Entwicklung und die zunehmend knapper werdenden Ressourcen in öffentlichen Haushalten und sozialen Sicherungssystemen noch verstärkt.
Eine Pflegereform könnte die wirtschaftliche Lage stabilisieren
Im Pflegemarkt sind derzeit nur wenige Maßnahmen zur Vermeidung von Insolvenzen angekündigt. Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sollte im Herbst der lang erwartete Entwurf zur Pflegereform veröffentlicht werden. Je länger der Entwurf auf sich warten lässt, desto fraglicher wird, ob die Reform noch umgesetzt werden kann. Schließlich endet die Legislatur bereits im September 2025. Sollte die Insolvenzquote unter Pflegeeinrichtungen dauerhaft die 1,5 Prozent überschreiten (siehe Abbildung 3, S. 24), ist jedoch zu erwarten, dass politische Entscheidungsträger:innen reagieren und Maßnahmen ergreifen, um die Versorgung der steigenden Zahl pflegebedürftiger Personen sicherzustellen.
Die aktuelle Krankenhausreform ist hingegen weiter fortgeschritten. Sie zielt darauf ab, die wirtschaftliche Stabilität der Kliniken durch Zentralisierung, Spezialisierung und eine umfassende Reform der Krankenhausfinanzierung zu verbessern. Zudem soll die Integration der Kliniken in die ambulante Versorgung intensiviert werden.
Um die aktuellen Liquiditätsengpässe bis zur Umsetzung der Reform zu überbrücken, planen politische Entscheidungsträger eine Reihe von Maßnahmen zur Reduzierung von Insolvenzen. Dazu gehören schrittweise initiierte Notprogramme der Bundesländer, die zum Teil trägerschaftsübergreifend, zum Teil aber auch trägerschaftsspezifisch ausgerichtet sind. Diese sollen insbesondere kleinere Kliniken sowie die Versorgung im ländlichen Raum unterstützen. Ob diese Schutzschirme Insolvenzen tatsächlich verhindern können, bleibt abzuwarten. Derzeit mangelt es an Transparenz bezüglich der Zugangsbedingungen, um deren Effektivität zuverlässig beurteilen zu können.
Langfristig ist absehbar, dass insbesondere kleinere Häuser mit weniger als 200 Betten in überversorgten Ballungszentren, die keine Fachkliniken sind, sowie Maximalversorger und Spezialkliniken einem erhöhten Transformationsdruck ausgesetzt sein werden.
Kompetenzen bündeln und Ressourcen optimal nutzen
Wer in der Sozialwirtschaft auch in Zukunft erfolgreich sein will, muss jetzt die richtigen Weichen stellen. Der Schlüssel liegt in der Fähigkeit des Managements, Kompetenzen zu bündeln und Ressourcen optimal zu nutzen. Ein präzises Transformationskonzept, das personelle, strukturelle und finanzielle Aspekte gleichermaßen berücksichtigt, ist dabei unerlässlich. Als Voraussetzung für ein erfolgreiches Zukunftskonzept sollten verschiedene Punkte berücksichtigt werden:
◆ Positionierung als attraktiver Arbeitgeber, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten;
◆ Bilden von zentralen Kompetenzeinheiten und Unternehmensverbünden zur Sicherstellung einer effizienten Ressourcennutzung;
◆ ein hohes Maß an Leistungsfähigkeit und Erfahrung des Managements;
◆ aktuelle und gut aufbereitete Daten (zum Beispiel ESG-Daten);
◆ Antizipation von Marktveränderungen sowie Berücksichtigung von Nachhaltigkeit im Geschäftsmodell und in der Unternehmensstrategie;
◆ Optimierung des Liquiditätsmanagements;
◆ offene und zeitnahe Kommunikation mit den Banken als strategische Partner und
◆ Hinzuziehen eines Beratungsunternehmens für Business-, Investitions- und Finanzplanung.
Dabei sollte das Thema Nachhaltigkeit keinesfalls vernachlässigt werden. Denn: Mangelnde Nachhaltigkeit birgt zahlreiche Risiken: Sie kann die Investitionsfähigkeit einschränken, regulatorische Anforderungen gefährden und die Betriebskosten durch unnötige Ressourcenverschwendung erhöhen. Langfristig schadet sie auch der Reputation und verringert die Attraktivität als Arbeitgeber. Um hier auf der sicheren Seite zu sein, sind transparente und aktuelle Daten für fundierte Entscheidungen notwendig. Um die Zukunft der Sozialwirtschaft vor diesem Hintergrund aktiv zu gestalten, braucht es klare Ziele, strategischen Weitblick und den Mut, neue Wege zu gehen.