„Es ist komplexer geworden“
Die ersten Jahrgänge sind durch. Wie ist es gelaufen?
Ich bin sehr zufrieden mit den ersten Jahrgängen. Jetzt haben wir den zweiten abgeschlossen. Im ersten Jahrgang sind wir mit 30 Schüler:innen gestartet, abgeschlossen haben 24. Wir haben hier in Hessen eine Besonderheit: Schüler:innen können während der Ausbildung die Schule wechseln. Also haben wir Schüler:innen, die weggegangen sind, dafür sind andere aus anderen Schulen zu uns gekommen. Es sind also nicht dieselben Personen, die anfangen und abschließen. Der Pflegeberuf wandelt sich grundlegend. Da war es nötig, die Ausbildung auf diese komplexen Veränderungen hin auszurichten. Wir sind ständig daran, die Curricula zu verbessern, praktisch und schulisch. Auch gibt es immer wieder Neuerungen durch die Landesebene, hier bei uns vom Hessischen Landesamt für Pflege und Gesundheit: Da wird mal ein Formblatt ausgetauscht oder die Zeugnisse werden überarbeitet.
Wie hoch ist die Abbrecherquote bei Ihnen? Warum brechen Auszubildende ab?
Wir haben hier eine Abbruchquote von etwa 20 Prozent. Es sind weniger die schulischen Anforderungen, warum Schüler:innen gehen. Es ist der enorme Druck in der Praxis. Es sind die Arbeitsbedingungen, weil es generell an Arbeitskräften mangelt. Die Schüler:innen werden in ihrer Freizeit angerufen und müssen einspringen. Ihre Freizeit ist nicht planbar. Andere Berufe geben da mehr Verlässlichkeit. Auch lebt man da nicht ständig mit einem schlechten Gewissen, weil man einen hilflosen Menschen zurücklässt, wenn man der Freizeit Vorrang einräumt. Wir haben auch einige junge Mütter, die gehen, weil die Kinderbetreuung für sie unter diesen Umständen nicht sicherzustellen ist. Und natürlich brechen Schüler:innen auch ab, weil sie schwanger oder krank werden. Am Geld liegt es eher nicht.
Gibt es bei Ihnen für alle vorgeschriebenen Ausbildungsmodule genügend Ausbildungsplätze?
Die Pädiatrie ist ein Nadelöhr. Die Schüler:innen müssen hier 120 Stunden ableisten, um überhaupt zum Examen zugelassen zu werden. Da es aber nicht genügend Ausbildungsplätze in Kinderkliniken gibt, haben die Länder das Feld sehr weit geöffnet. Schüler:innen können ihre Stunden auch im Kindergarten oder in einer integrativen Schule ableisten. Geprüft wird aber ein Wissen, das sie eigentlich nur in der Klinik erwerben können. Wir als Schule müssen den fehlenden Input geben. Aber ich bin der
Meinung, die Ausbildungseinsätze müssen in einem Kinderkrankenhaus geleistet werden. Ein Beispiel ist die Elternarbeit. Es ist ja etwas ganz anderes, ob ein Kind im Kindergarten einen Schnupfen hat und die Eltern informiert werden müssen - oder ob Schüler:innen auf Eltern in der Notaufnahme im Krankenhaus treffen, deren Kind gerade einen schweren Unfall hatte. Wählt ein:e Schüler:in an unserer Schule die Vertiefung in der Pädiatrie, empfehle ich ihm:ihr, einen Träger mit angeschlossener Kinderklinik zu wählen. Diese Träger sind rar. Ich verweise sie dann an die städtische Klinik und empfehle die entsprechende Schule, welche den Spezialabschluss anbietet. Es geht ja nicht nur darum, formal die 120 Stunden abzusitzen und eine EU-Norm umzusetzen. Es geht um Qualität. Hier brauchen wir, wie in den anderen Feldern, mehr Evaluation. Auch müssen wir die jeweiligen Anforderungsprofile für die einzelnen Ausbildungsbereiche konkretisieren. Immer mit der Frage im Hintergrund: Was wird in der Praxis wirklich gebraucht, und wie stellen wir das in der Ausbildung sicher? Um ein Beispiel zu nennen: Ein:e Auszubildende:r im Krankenhaus wird im Rahmen seiner Ausbildung viel Routine im Medikamentenmanagement erlangen.
In der Altenpflege sieht es deutlich anders aus. Hier werden Medikamente meist bereits in der Apotheke verblistert. Ich frage mich: Entwickelt ein:e Auszubildende:r in der Altenpflege ausreichend Wissen, um anschließend auch im Krankenhaus zu arbeiten?
Krankenhaus oder Pflegeheim: Wohin gehen die Absolvent:innen? Gibt es Verlierer, zum Beispiel die Altenhilfe?
Bei uns ist das Bild gar nicht so eindeutig. Das hält sich fast die Waage. Da kann ich aber nur für uns sprechen. Es gibt Schüler:innen, die in der Altenpflege angefangen und dann in die Krankenpflege gewechselt haben, aber das gibt es genauso auch andersherum. Die Schüler:innen suchen sich ja die Stelle ihrer praktischen Ausbildung zunächst selbst aus. Ich habe die Vermutung, dass sich manche vor Ausbildungsbeginn nicht so genau darüber informiert haben, was auf sie zukommt, und dann sehen: Das ist nichts für mich, ich wechsle lieber in einen anderen Bereich. Oft kennen wir die Gründe aber nicht.
Wie haben sich die Examina verändert? Ist der Anspruch so gestiegen, dass Auszubildende, die früher eine Altenhilfeausbildung geschafft hätten, die Generalistik nicht mehr bewältigen?
Ja, das Lernen läuft jetzt anders ab. Der theoretische Teil ist anspruchsvoller geworden. Früher musste der Lernstoff häufig nur reproduziert werden. Heute lehren und arbeiten wir stärker handlungsorientiert. Die Schüler:innen müssen mehr Transferleistung selbst erbringen. Die Prüfungen sind komplexer. So mussten Schüler:innen in der Altenpflege früher in der Prüfung nur eine Patientin oder einen Patienten 90 Minuten lang versorgen. Heute sind es zwei bis drei Patient:innen in 240 Minuten. Bei uns ist die Durchfallquote schon gestiegen. Früher ist fast jede:r durchgekommen. Bei Schüler:innen mit Migrationsgeschichte sind meist mangelnde Sprachkenntnisse der Grund, dass sie die Ausbildung nicht schaffen.
Was hat sich für Sie aus Sicht der Schule verändert?
Die verschiedenen Module und Pflichteinsätze zu koordinieren und zu organisieren, da liegt schon ein großer Druck auf den Schulen. Wir haben ungefähr 50 verschiedene Kooperationspartner, mit denen wir uns abstimmen müssen. Da sind sehr viele Gespräche nötig, und es wird jede zur Verfügung stehende Ressource genutzt. In Fulda gibt es fünf Pflegeschulen unterschiedlicher Träger. Das sind sehr viele Schüler:innen. Sie alle brauchen ihre Einsätze, zum Beispiel in der ambulanten Pflege. Alle Schulen greifen aber auf den gleichen Pool an Praktikumsplätzen bei den hiesigen ambulanten Pflegeanbietern zu. Und nicht jede:r, der:die zu Hause gepflegt wird, will eine:n Schüler:in bei sich in der Wohnung haben. Da müssen wir für uns werben und einfach mit unserer Qualität überzeugen.
Wie geht Ihre Schule mit den Ansprüchen der Gen Z um?
Die "Generation Z" steht ja permanent in der Kritik. Damit müssen wir aufhören. Das sind keine Mängelwesen. Wir Älteren werden doch langsam zu Mängelwesen. Die Generation Z, das sind diejenigen, die sich auf die Zukunft vorbereiten, die die nächsten Jahre gestalten. Wir müssen ihnen mit Interesse zuhören und fragen: Was muss sich im System ändern? Zum Beispiel, damit Fehlzeiten verringert werden - ein großes Thema - und damit die Jungen auch im Beruf bleiben. Wir haben im Team regelmäßig Supervision auch zum Generationenthema, und wir sind im ständigen Austausch mit den Schüler:innen. Wir fragen: Wie siehst du das? Und wir nehmen die Anstöße ernst. Die jungen Menschen treffen in den Stationen auf Mitarbeitende der älteren Generation. Diese haben andere Werte und Vorstellungen von der Arbeitswelt. So ist die Realität. Die Jungen sagen: "Was kann ich dafür, dass du dein Leben so verbracht hast, wie du es verbracht hast? Das ist dein Problem. Ich will und mache das anders." Hier eine Brücke zu bauen, daran müssen wir arbeiten.
Wird die generalistische dreijährige Ausbildung Bestand haben, oder wird die Akademisierung in diesem Bereich, wie in Europa üblich, fortschreiten und die Generalistik ablösen? Wer macht dann die Pflegearbeit am Krankenbett?
Die Praxis ist noch nicht einmal auf die Generalisten vorbereitet. Auf den Stationen arbeiten meist jene mit klassischer Ausbildung. Diese Pflegekräfte kommen aus einem komplett anderen System, und die Generalisten finden keine auf sie zugeschnittenen Arbeitsplätze vor. Wenn es heißt, künftig sollen ausgebildete Pflegekräfte komplexe Fälle bearbeiten und Pflegekräfte mit Bachelorabschluss hochkomplexe, dann ist ja noch gar nicht klar, was damit gemeint ist. Da muss in den nächsten Jahren deutlich nachgeschärft werden. Denn auch die Jobs für die Pflegekräfte mit Studium gibt es ja noch nicht wirklich. Ich bin da vorsichtig, Systeme aufzugeben, die gut funktionieren. Die komplette Pflege ist in Bewegung. Die gesamte Pflegebranche hat daran gearbeitet und arbeitet weiterhin daran, ein möglichst durchlässiges System zu schaffen, das für jede:n, der:die in diesem Bereich tätig sein möchte, Möglichkeiten eröffnet. Zukünftig werden wir einige gut ausgebildete Fachkräfte haben und viel mehr mit Hilfskräften arbeiten. Das System muss auch bezahlbar bleiben.