Der Datenschatz in der sozialen Arbeit muss gehoben werden
Jeden Tag werden in den verschiedenen Angeboten der sozialen Arbeit Daten erhoben. Es werden Diagnostiken durchgeführt, Dokumentationen ausgefüllt oder auch im Rahmen von Befragungen und Evaluationen Fragebögen beantwortet. Zugleich zeigt sich aber, dass die erfassten Daten nur selten systematisch im Sinne eines dateninformierten Handelns für die fachliche Arbeit genutzt werden - und das enorme Potenzial der vorhandenen Daten dadurch verloren geht. Es ist jedoch äußerst lohnenswert, die ohnehin erfassten Daten systematischer aufzubereiten und zu analysieren, um diese schließlich in einem dateninformierten Handeln berücksichtigen zu können.
Unter einem dateninformierten Handeln versteht man, dass "Daten und Ergebnisse aus Datenanalysen in Entscheidungen einbezogen werden, diese aber auch mit dem Erfahrungswissen der Fachkräfte kritisch reflektiert"1 werden. Dieses Vorgehen stellt das fachliche Handeln und Entscheiden auf eine breitere Basis, da sie nicht mehr nur vom Erfahrungswissen und dem "Bauchgefühl" abhängen. Zudem lässt sich durch den Einbezug von Daten genauer darstellen, aufgrund welcher Aspekte eine Entscheidung getroffen wurde, so dass der gesamte Prozess der Entscheidungsfindung transparenter wird. Beim dateninformierten Handeln werden verschiedene Schritte durchlaufen:
Zunächst muss eine bestimmte Herausforderung oder Fragestellung formuliert werden, die mit Hilfe der Daten beantwortet werden soll. Danach muss geprüft werden, ob für deren Beantwortung beziehungsweise für das Treffen der Entscheidung bereits Daten vorliegen oder ob diese erst erhoben werden müssen. Die vorliegenden oder neu erhobenen Daten können mit gängigen statistischen Methoden analysiert werden.2 Zuletzt müssen die Ergebnisse der Datenanalyse hinsichtlich der ursprünglichen Fragestellung beziehungsweise Herausforderung interpretiert werden, wobei stets das Erfahrungs- und Fachwissen der Mitarbeitenden einfließt. Auf dieser Basis kommt man dann zur eigentlichen Entscheidung.
Daten liefern Informationen zur Qualität der Arbeit
Indem Daten im Handeln und bei Entscheidungen berücksichtigt werden, ergeben sich mehrere Vorteile. So kann die regelmäßige Datenanalyse Anhaltspunkte für fachliche Weiterentwicklungen in der sozialen Arbeit bieten. Daten können zudem in die sozialpolitische Debatte eingebracht werden. Werden beispielsweise Daten aus Beratungsstellen kontinuierlich eingepflegt, kann dargestellt werden, zu welchen Bereichen eine Beratung stattfindet und ob es über die Zeit Veränderungen gibt.
Um Daten in (Entscheidungs-)Prozessen berücksichtigen zu können und damit einen Mehrwert zu erzielen, müssen diese systematisch aufbereitet und zugänglich vorliegen. Für die soziale Arbeit liegt hierin eine besondere Herausforderung.
Damit in der Praxis Entscheidungen stärker auf Daten basieren können, muss in einem ersten Schritt identifiziert werden, welche Daten bereits erhoben werden. Dies kann beispielsweise in einem Workshop erfolgen, an dem Mitarbeitende aus den verschiedenen Angeboten und Arbeitsbereichen teilnehmen. Durch eine solche Sammlung von Datenquellen werden zudem sogenannte Datensilos aufgebrochen. Darunter versteht man, dass Daten nur in bestimmten Abteilungen oder Angeboten erhoben und vorgehalten werden, diese aber auch für andere Abteilungen von Interesse sind. Im schlimmsten Fall werden sie durch dieses Silodenken doppelt erhoben.
Es braucht ein für alle zugängliches System
Nachdem Daten und ihre Herkunft in einer Organisation identifiziert wurden, muss in einem nächsten Schritt überlegt werden, wie man sie systematisch zugänglich machen kann. Letztendlich geht es darum, die verschiedenen Datenquellen an einem Ort zu bündeln (s. Abb. 1, oben).
Dies kann entweder in einem Datenkatalog oder in einer zentralen Datenbank beziehungsweise einem Data Warehouse erfolgen. Dabei ist der Aufbau eines Datenkatalogs eine sehr niederschwellige Möglichkeit, Datenquellen transparent zu machen.3 In diesem werden Datenbestände aufgeführt und näher beschrieben; somit ist nicht nur ersichtlich, welche Daten in einer Organisation vorliegen, sondern auch, welche Variablen in einem Datensatz gespeichert werden, wie oft und wann dieser aktualisiert wird und wer für ihre Pflege zuständig ist.
Nur wenn allen Mitarbeitenden alle Datenquellen bekannt, transparent und verfügbar sind, können diese auch bei Fragestellungen und Problemen zur Beantwortung beziehungsweise Lösung herangezogen werden. Für den Aufbau eines Datenkatalogs wird in der Praxis nicht sofort eine spezielle Software benötigt. Zu Beginn kann schon eine Excel-Datei mit einer entsprechenden Übersicht ausreichen. Wird jedoch im Verlauf vermehrt mit Daten gearbeitet, ist es empfehlenswert, spezielle Software zur Bereitstellung eines Datenkataloges zu verwenden.
Die Sammlung von Datenquellen und deren transparente Darstellung ist ein erster Schritt, um sich einem stärkeren dateninformierten Handeln anzunähern. Um dies auch nachhaltig in der Organisation verankern zu können, sind weitere technische, organisatorische und personelle Maßnahmen nötig. Die verschiedenen Ebenen sind im Datenframework für die soziale Arbeit und Sozialwirtschaft aufbereitet und zusammengefasst.4 Im technischen Bereich wird in den nächsten Jahren innerhalb der sozialen Arbeit und Sozialwirtschaft verstärkt der Bereich des Data Engineerings eine wichtige Rolle spielen.5 Hierbei geht es darum, den Prozess der Datenzusammenführung und -bereitstellung technisch abzubilden und zu automatisieren. In der Umsetzung zeigt sich, dass der größte Aufwand häufig nicht in der Bereitstellung und Entwicklung von technischen Ressourcen liegt, sondern im Bereich der personellen Ebene bei der Vermittlung von Datenkompetenz und dem Aufbau einer Datenkultur.
Datenkultur setzt Organisationsentwicklung voraus
Bei einer etablierten Datenkultur ist es in einer Organisation selbstverständlich, mit Daten zu arbeiten und diese ins tägliche Handeln sowie in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Eine solche Kultur kann langfristig nur im Rahmen eines Prozesses der Organisationsentwicklung aufgebaut und muss vom Management der Organisation vorgelebt werden. Auch ist die Vermittlung von Datenkompetenz zentral. Unter Datenkompetenz versteht man den kritischen Umgang mit Daten in den verschiedenen Anwendungsbereichen Verwaltung, Bewertung, Auswertung und Interpretation.6 Daher wird es für Organisationen in der sozialen Arbeit und Sozialwirtschaft zukünftig nötig sein, Datenkompetenz bei den eigenen Mitarbeitenden zu stärken. Zielführend sind passgenaue Fort- und Weiterbildungsangebote mit hohem Praxisbezug zum eigenen Arbeitsfeld. Idealerweise wird mit einer Bedarfsanalyse unter den Mitarbeitenden geklärt, welchen Kontakt diese mit Daten haben und für welche Aufgaben sie zukünftig mehr Datenkompetenz benötigen: Mitarbeitenden, die Daten erfassen, sollten Kompetenzen für diese Tätigkeit vermittelt werden, während andere Mitarbeiter:innen beispielsweise stärker im Bereich der Ableitung von konkreten Handlungen geschult werden.
Daten bilden Grundlage für Diskussionen und Verhandlungen
Organisationen der sozialen Arbeit haben einen großen Datenschatz. Es lohnt sich, diesen zu heben und systematisch zu nutzen. Gerade in Zeiten, in den über Kürzungen im Haushalt der öffentlichen Hand diskutiert wird, wird es immer wichtiger, mit (konkreten) Zahlen, Daten und Fakten argumentieren zu können. Durch eine systematische Datennutzung können hilfreiche Argumente für die Diskussion gewonnen werden, gerade auch, wenn man Daten im Hinblick auf die Wirkung und Wirksamkeit der eigenen Arbeit erfasst.7 Um die systematische Datennutzung in der Praxis umzusetzen, ist es sinnvoll, dies zunächst anhand eines Pilotprojekts oder einer konkreten Herausforderung durchzuführen und zu testen. Die Erfahrungen daraus können auf andere Arbeitsbereiche übertragen und durch ein solches Vorgehen langfristig eine positive Datenkultur in der Organisation etabliert werden.
1. Ottmann, S.; Helten, A.-K.: Datenkompetenz und dateninformiertes Handeln in der Sozialen Arbeit. In: Blätter der Wohlfahrtspflege, 170(3)/2023, S. 109-112, hier S. 110. Kurzlink. https://tinyurl.com/nc24-datenkompetenz
2. Einen guten Überblick über mögliche Verfahren bietet das Buch von Gutman, A. J.; Goldmeier, J.: Werde ein Data Head. Data Science, Machine Learning und Statistik verstehen und datenintensive Jobs meistern. Heidelberg: O’Reilly, 1. Aufl., 2022.
3. Olesen-Bagneux, O.: The enterprise data catalog: improve data discovery, ensure data governance, and enable innovation.Sebastopol: O’Reilly, 1. Aufl., 2023.
4. Ottmann, S.; Helten, A.-K.: Daten-Framework für die Soziale Arbeit und Sozialwirtschaft. Forschung, Entwicklung, Transfer. Nürnberger Hochschulschriften, 71, 2023. https://doi.org/10.17883/FET-SCHRIFTEN071
5. Reis, J.; Housley, M.: Handbuch Data Engineering: robuste Datensysteme planen und erstellen. Heidelberg: O’Reilly, 1. Aufl., deutsche Ausgabe, 2023.
6. Ridsdale, C.; Rothwell, J.; Smit, M.; Bliemel, M.; Irvine, D.; Kelley, D. et al.: Strategies and Best Practices for Data Literacy Education Knowledge Synthesis Report. Dalhousie University, 2015, S. 8. Zugriff am 13.1.2024. Verfügbar unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc24-data
7. Ottmann, S.; König, J.: Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung für Studium und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2023.