Zu wenig für die Armen
Der Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen ist ambitioniert, wagt neue Wege und geht die großen Themen an, die lange liegen geblieben waren. Beim Bürgergeld werden überfällige Änderungen vorgenommen: Der Vermittlungsvorrang fällt, die Förderung der Weiterbildung und Qualifizierung wird gestärkt, der soziale Arbeitsmarkt wird entfristet und weiterentwickelt, die Eingliederungsvereinbarung wird durch eine Teilhabevereinbarung ersetzt, die gemeinsam mit den Bürgergeldbeziehenden erarbeitet wird. Für all dies hat sich die Caritas lange eingesetzt.
Die Umgestaltung des Bürgergeldes geht aber nicht weit genug: Restriktionen und Sanktionen bleiben, abgeschafft werden nur die Sondersanktionen für Jugendliche und die Sanktionierung der Kosten der Unterkunft. Die Regelsätze bleiben viel zu niedrig und ermöglichen keine Teilhabe. Der Staat übt weiter Druck auf diejenigen aus, die eigentlich Stärkung und sinnvolle, wirksame Wege in die Selbstbestimmung brauchen
Und die aktuellen Folgen der Pandemie, die steigenden Preise, die Arme deutlich stärker treffen und aus Armut Elend machen? Fehlanzeige! Im Koalitionsvertrag findet sich nichts, das die aktuellen Nöte - deren Berücksichtigung auf die Höhe der Regelsätze selbst das Verfassungsgericht eingefordert hat - anerkennt und konkrete Hilfen und Anpassungen vorsieht, wie es in einigen EU-Ländern längst umgesetzt wurde.
Offenbar haben an den Verhandlungstischen der Koalitionäre wenige bis keine Stimmen Gehör gefunden, die von der überdurchschnittlichen Belastung durch die Pandemie von Alleinerziehenden, von Kindern, Jugendlichen und von Hartz-IV-Empfängern erzählen. Wir wissen längst aus unserer Beratungsarbeit - erste Studien belegen dies -, dass die derzeitige Lage diejenigen umso härter trifft, die schon an der Schwelle zur Armut standen.
Spannend wird es bei den Leistungen für Kinder und Jugendliche. Von vielen seit langem gefordert, soll es nun eine Kindergrundsicherung geben, die vor den Folgen von Armut schützt und Chancengleichheit herstellen will. "Wir wollen mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen", heißt es vielversprechend im Koalitionsvertrag. Durch Zusammenführung verschiedener bestehender Leistungen sollen mit diesem Instrument eine einkommensunabhängige Garantieleistung und ein einkommensabhängiger Zusatzbeitrag entstehen. Das sind hehre Ziele, die Applaus verdienen. Die Koalition wird sich besonders daran messen lassen müssen, ob sie das relativ hohe Armutsrisiko von Kindern und Jugendlichen in Deutschland spürbar senken und die soziokulturelle Teilhabe, die Bildungschancen und die Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben von Kindern und Jugendlichen deutlich verbessern kann.