Vielfalt auf der Agenda
Ist es Zufall, dass zwei kirchliche Ereignisse mit geschlechterpolitischer Relevanz im Oktober 2015 keine acht Tage auseinanderliegen? Einerseits gab es den Beschluss der Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes zu Geschlechtergerechtigkeit und den damit verbundenen Auftrag an den Vorstand, für 2016 einen Satzungsänderungsantrag auszuarbeiten. Andererseits fand das Symposion der Deutschen Bischofskonferenz zu geschlechtersensibler Pastoral statt, unterstrichen durch einen Flyer: "Geschlechtersensibel: Gender katholisch gelesen".
Zufall oder nicht: Es ist auf jeden Fall ein Beleg dafür, dass die Würdigung von Vielfalt in der katholischen Kirche auf der Agenda steht. "Vielfalt muss nicht begründet werden - sie ,ist‘", heißt es auch in einem Leitfaden der Diakonie Württemberg1. Die Leiterin der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, Theologieprofessorin Hildegund Keul, betonte beim Symposion, dass die aktuelle Auseinandersetzung um Genderfragen ein Zeichen unserer Zeit sei. Dass die Geschlechterrollen und das Verhältnis der Geschlechter zueinander im Umbruch sind, führe unausweichlich zu neuen Fragen und Konflikten. In diesen Debatten gälte es die Theologie so zu positionieren, dass sie zu gesellschaftlich relevanten Fragen Weiterführendes beitragen könne.
Mit dem Beschluss zu Geschlechtergerechtigkeit 2008 ist die Relevanz der Thematik auch verbandspolitisch in der deutschen Caritas angekommen. In einer sachlich und engagiert geführten Debatte auf der diesjährigen Delegiertenversammlung hat sich der Verband mit bemerkenswerter Eindeutigkeit positioniert. Sind wir also schon am Ziel? Bestimmt nicht. Wie sagt der Volksmund so treffend: "Man (das gilt in diesem Fall auch für Frau) soll den Tag nicht vor dem Abend loben!" Denn so spannend wie der Weg zum Antrag für die Antragsteller war - zwei Frauen und sechs Männer -, so spannend könnte es weitergehen. Das Glas ist also halbvoll.
Zwar war es nie plausibel, warum Verbände wie die deutsche Caritas mit einem durchschnittlichen Frauenanteil von 81 Prozent unter den Mitarbeiter(inne)n bis heute von extrem männlich dominierten Gremien geführt werden. Doch inzwischen ist dieses kulturelle Strickmuster "aus der Zeit gefallen". Für Christ(inn)en ist die Erkenntnis nicht neu, "dass jede Form der Diskriminierung in den gesellschaftlichen und kulturellen Grundrechten der Person…überwunden und beseitigt werden muss, da sie ja dem Plan Gottes widerspricht."2
Neu ist die breite gesellschaftspolitische Sensibilität für das Thema. Dazu kommt die zweckrationale Einsicht, dass Caritas 2020 als attraktive Arbeitgeberin die stärksten Führungskräfte unter den Frauen für sich gewinnen sollte. Viel mehr Zeit ist jetzt nicht zu verlieren. 2020 ist übermorgen!
Anmerkungen
1. Mit diesem Zitat nehme ich absichtlich Bezug auf die ökumenische Perspektive und die Solidarität zwischen Caritas und Diakonie.
2. Gaudium et spes, 29 - Die pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute, Zweites Vatikanisches Konzil.