Tarif Altenpflege: Nachhaltiger Flurschaden
Inhaltlich lässt sich der Beschluss der Arbeitsrechtlichen Kommission, der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags Altenpflege nicht zuzustimmen, unterschiedlich bewerten. Kommunikativ war er ein Desaster, das der gesamten Caritas lange nachhängen wird.
"Ausgerechnet die Caritas" titelt die Taz, "Ideologie schlägt Humanität" findet N-TV und Zeit Online schreibt: "Die von der Kirche machen nicht mit."
Der Kommentator der Süddeutschen Zeitung braucht für seine Überschrift nur ein Wort: "Egoistisch". Einzig das Handelsblatt lobt, dass sich die Caritas nicht vor den Karren der Politik spannen ließ, um "einen bundesweiten Pflegetarifvertrag herbeizutricksen".
In den sozialen Medien werden dazu mehrere Tausend Kommentare veröffentlicht. Ignoriert man die übliche Empörungsrhetorik, wird deutlich: Die Leute sind entsetzt über die vertane "historische Chance", die Bedingungen für viele Mitarbeitende in der Pflege zu verbessern und renditeorientierten Betreibern von Pflegeeinrichtungen das Wasser abzugraben.
Mitglieder von Verdi und der AWO prügeln verbal auf die Caritas ein, SPDler(innen) unterstützen sie. Bodo Ramelow twittert, der Beschluss sei "tarifpolitisch falsch und gesamtgesellschaftlich eine Katastrophe". Hinzu kommen Kritiker(innen), die die "Sonderrechte der Kirchen" abschaffen wollen. Doch es mischen sich auch Pfleger(innen) ein. Sie sind enttäuscht und wütend. Das Bild, das sie zeichnen, ist das einer selbstgefälligen Caritas, die in ihrer Jahreskampagne für mehr Wertschätzung in der Pflege wirbt und sich nun unsolidarisch aus der Verantwortung stiehlt. "Es hätte euch nichts weggenommen, uns aber so viel gegeben!", schreibt eine Userin im Netz.
Die Entscheidung fiel in geheimer Abstimmung in der unabhängigen Arbeitsrechtlichen Kommission. Formal richtig, denn die kümmert sich um Tariffragen. Doch hier ging es nicht um die Anpassung von Gehaltsstufen in den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR). Die Außenwirkung dieses Beschlusses reicht weit ins sozialpolitische Feld. Mit einem offen diskutierten Alternativkonzept, das die Situation von Beschäftigten in der Altenpflege verbessert, wäre die Entscheidung anders wahrgenommen worden.
So bleibt ein Flurschaden, der das Image der Caritas massiv beschädigt. Spender(innen) wenden sich ab, Mitarbeitende der Caritas sind irritiert, potenzielle Bewerber(innen) werden abgeschreckt. Selten wurde so deutlich, dass alle Akteure der Caritas mit ihrem Handeln dazu beitragen, wie wir wahrgenommen werden, und dass die moralische Fallhöhe der Caritas größer ist als bei anderen Organisationen.