Islamische Wohlfahrtsverbände offen begleiten
Wenn der neue Innenminister Thomas de Maizière, der als ehemaliger Innenminister mit dem Begriff der „Integrationsverweigerer“ nicht nur Freude auslöste, nunmehr der Islamkonferenz neues Leben einhaucht und die Idee eines islamischen Wohlfahrtsverbandes auf die politische Bühne holt, wenn zudem ein kirchlicher Wohlfahrtsverband Aufbauhilfe anbietet und dann noch der Vorsitzende eines nichtkirchlichen Wohlfahrtsverbandes dieses Geschehen in einer bedeutenden Zeitschrift der Caritas kommentiert, fragt man zu Recht: verkehrte Welt oder Normalität?
Wie also ist diese Debatte einzuordnen? Vom Standpunkt der Gleichbehandlung der Religionen durch den Staat ist ein islamischer Wohlfahrtsverband konsequent. Denn der deutsche Staat folgt dem Prinzip der offenen Neutralität, so dass er keine Religionsgemeinschaft bevorzugen darf. Da es zwei christliche und einen jüdischen Wohlfahrtsverband gibt, liegt es aus staatlicher Perspektive also nahe, sich einen islamischen Wohlfahrtsverband vorzustellen, als ein sichtbares Zeichen an die islamische Gemeinde in Deutschland.
Und dennoch gibt es offene Fragen. Seit den Sechzigerjahren hat sich die Religionslandschaft in Deutschland diversifiziert. Aus Sicht der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist daher das Miteinander in Vielfalt uneingeschränkt zu fördern. Deshalb müssen die Fragen heute lauten: Wie kann man Vielfalt und das religiöse Miteinander nach vorne bringen? Ist es jedoch eine adäquate Antwort auf eine vielfältige Gesellschaft, Menschen vom Kindergarten bis zum Altersheim nach Religionen zu trennen? Und wie viele Wohlfahrtsverbände wird es noch geben müssen, wenn man dieser Logik folgt?
Die AWO steht für ein Miteinander verschiedener Religionen und Weltanschauungen und lebt das durch die interkulturelle Öffnung ihrer Angebote. Wir sind auch für Menschen islamischen Glaubens ein Ort der Fürsorge. Es bestehen Kooperationen mit islamischen Vereinen oder Initiativen. Ich habe lange für eine verstärkte interkulturelle Öffnung in unserem Verband gekämpft. Die vielen Mitarbeitenden, die zahlreichen Kinder oder Pflegebedürftigen mit Einwanderungsgeschichte in den Einrichtungen unterstreichen den Erfolg dieser Bemühungen. Ähnliches gilt auch für die anderen Verbände.
Ein islamischer Wohlfahrtsverband würde unbestritten die Wunsch- und Wahlfreiheit erhöhen. Aber auch seine sozialen Dienstleistungen müssten in einer Einwanderungsgesellschaft interkulturell und für alle offen sein, wenn sie professionell sein wollen. Die AWO wird den Fortgang der aktuellen Debatte offen begleiten. Entscheidend ist: Wie ist eine solidarische, gerechte und tolerante Gesellschaft bestmöglich zu erreichen? Das gilt auch mit Blick auf die verschiedenen Religionen in unserem vielfältigen Land. Es fällt auf, dass derzeit viele Menschen aus politischen Gründen das Thema forcieren. Nicht zuletzt deshalb werde ich kritisch beobachten, inwieweit sich Staat und Politik in diesen zivilgesellschaftlichen Prozess unzulässig steuernd einmischen. Denn nur so bleibt die freie Wohlfahrtspflege, was sie ist: frei.