Wenn die Revolutionäre zu Rentnern werden
Die Fragen kommen einem vertraut vor: Wenn es künftig mehr Rentner als Kinder gibt, wer zahlt dann für den Lebensabend der alten Menschen? Gibt es adäquaten Wohnraum für die Bedürfnisse der wachsenden Zahl von Senior(inn)en? Was klingt, als gehe es um die Folgen des demografischen Wandels in Deutschland, ist tatsächlich zentraler Teil einer lebhaft geführten Diskussion in Kuba.
Denn die karibische Insel ergraut. Und das in rasantem Tempo. 18 Prozent der Kubaner sind heute 60 Jahre oder älter. Spätestens im Jahr 2020 werden, wenn man den Statistikern glauben darf, auf Kuba mehr Rentner über 60 Jahren als Kinder unter 15 Jahren leben. Dank eines vorbildlichen Gesundheitssystems ist die Lebenserwartung der Kubaner über die Jahrzehnte auf heute 78 Jahre gestiegen. Das entspricht westeuropäischen Werten. Zum Vergleich: In Kubas karibischem Nachbarstaat Haiti sind es kaum 52 Jahre. Auf der anderen Seite sank mit steigendem Bildungsgrad kontinuierlich die Geburtenrate. In einer kubanischen Familie leben durchschnittlich nur noch 1,6 Kinder, in Haiti sind es 4,3.
Als implizite Kritik an staatlicher Sozialpolitik gewertet
Wie die beiden Backen eines Schraubstockes setzen die sinkende Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung die Versorgungs- und Sicherungssysteme von zwei Seiten unter Druck. Die kubanische Caritas hat das Engagement für alte Menschen nach und nach zu einem ihrer wichtigsten Arbeitsfelder ausgebaut. Auch gegen Widerstände, denn gerade in der Entwicklungspolitik wird der Arbeit mit alten Menschen noch immer wenig Beachtung geschenkt. Und auch der kubanische Staat sah die Altenhilfe der Caritas lange Zeit als implizite Kritik an der eigenen Sozialpolitik.
Wichtigste Säule der Altenhilfe der Caritas Kuba sind die 3000 landesweit aktiven Freiwilligen. Regelmäßig bietet die Caritas mit deren Hilfe unter anderem mehrwöchige Seminare an, etwa zur Pflege von Angehörigen, die von freiwilligen Ärzt(inn)en angeleitet werden. Im Schneeballsystem wird so vom nationalen Ausbildungsteam über die Verantwortlichen in den Diözesen Wissen und Erfahrung an die Seniorengruppen der Caritas weitergegeben. 739 dieser Gruppen gibt es von Pinar del Rio im Westen der Insel bis nach Guantánamo-Baracoa im Osten.
Die Arbeit mit alten Menschen wird, das ist der eigene Anspruch, nicht nur als soziale Aufgabe aufgefasst. Wichtigstes Ziel der Anstrengungen ist es vielmehr, die Senior(inn)en als Akteure von sozialer Entwicklung in alle Tätigkeiten mit einzubeziehen. Die Altenhilfe-Koordinatorin der Caritas Kuba, Migdalia Dopico Paz, erklärt: "Früher lebten die alten Menschen in ihren Häusern vereinzelt vor sich hin. Diese Isolation wollen wir aufbrechen. Und wir wollen die Selbstständigkeit der alten Menschen stärken."
Die Lebensmittelmarken decken nur das Nötigste ab
Angesichts der ökonomischen Not vieler kubanischer Rentner(innen) geht es im Alltag jedoch gezwungenermaßen oft weniger um selbstbestimmtes Leben im Alter als um das tägliche Überleben. Vielen Kubanern reicht die Rente kaum für Kleidung, Wohnen und Essen. Kuba geht es ökonomisch so schlecht wie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr. Sich ausgewogen ernähren zu können, ist deshalb keine Selbstverständlichkeit. Rund 80 Prozent seines Einkommens gibt der Kubaner für Lebensmittel aus. Mit den Lebensmittelmarken, der "Libreta", ist zwar das Existenzminimum gesichert. Doch die Mengen sind streng rationiert. Die Mittagstische und Suppenküchen, die die Caritas landesweit täglich für die 28.000 Besucher(innen) ihrer Seniorengruppen anbietet, sind deshalb für viele alte Menschen von existenzieller Bedeutung.
Der Staat reagierte bereits vor fünf Jahren auf den demografischen Wandel und die ökonomischen Zwänge, indem das Rentenalter für Männer von 60 auf 65 Jahre und für Frauen von 55 auf 60 Jahre angehoben wurde. Trotzdem reichen die Renten, die durchschnittlich 20 US-Dollar betragen, für kaum einen Kubaner zum Leben. Die allermeisten Rentner(innen) sind darauf angewiesen, neue Erwerbsquellen zu erschließen. Sie müssen sich beispielsweise als Kleinhändler etwas dazuverdienen oder auf Geldtransfers von Verwandten aus dem Ausland hoffen. Das Geld aus dem Ausland ist für viele überlebenswichtig. Zugleich verschärft die Auswanderung der jungen Kubaner(innen), die in ihrem Land keine Perspektive mehr sehen, die Vergreisung der Insel beträchtlich.
Je weniger der Staat in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen, desto mehr wird dem Einzelnen, den Familien und der Gesellschaft aufgebürdet. Eine Entwicklung, die die Caritas Kuba versucht, positiv zu wenden. Migdalia Dopico Paz, die Altenhilfe-Koordinatorin, interpretiert die Rolle der Caritas vielmehr selbstbewusst: "Es reicht nicht aus, die Regierungen auf ihre Verantwortung hinzuweisen, sondern die Zivilgesellschaft und Organisationen wie die Caritas sind ebenfalls zum Engagement aufgefordert." Angst zum Lückenbüßer für den versagenden Staat zu werden hat die Caritas nicht.
Suppenküchen und Pflegekurse
Zu diesem Engagement gehören die Suppenküchen und Pflegekurse. Letztere tragen dazu bei, den Mangel an Plätzen in staatlichen Pflegeeinrichtungen aufzufangen. In den kirchlichen Altenheimen, die einen exzellenten Ruf haben, sieht es kaum besser aus (wer darf da rein?). In immer mehr Bereichen stoßen die bisherigen Instrumente an ihre Grenzen. Deshalb geht die Caritas Kuba seit zwei Jahren vorsichtig tastend erste Schritte auf neuen Wegen, hin zu einem stärkeren Miteinander der Generationen.
Versucht wird unter anderem, die wachsende Vereinsamung zu überwinden. In ersten Pilotprojekten organisieren regionale Caritasverbände beispielsweise gemeinsame Freizeit-Aktivitäten von Kindern mit Behinderung und alten Menschen aus den Caritas-Seniorengruppen. Auf diese Weise wird beispielsweise in der Diözese Pinar del Rio durch das Engagement der Senior(inn)en Eltern von mehrfach behinderten Kindern Freiraum verschafft, um sich über die Erfahrungen mit ihren Kindern auszutauschen.
Die Skepsis bei Jung und Alt überwinden
Für die Koordinatorin der Altenhilfe, Migdalia Dopico Paz, ist es ein Anfang, einen gelebten Austausch zwischen den Generationen zu etablieren. Was nicht leicht ist: "Es ist keineswegs selbstverständlich, dass der Wert der gegenseitigen Unterstützung über die Grenzen der Generationen hinweg erkannt und anerkannt wird. Es gibt Skepsis bei Jung und Alt zu überwinden". Migdalia Dopico Paz kann sich aber vorstellen, dass in einem nächsten Schritt, die Unterstützung auf umgekehrtem Weg, der Jungen für die Alten, in den Projekten mehr Bedeutung gewinnt: So wären Besuchs- und Einkaufsdienste und gemeinsame Wohnmodelle denkbar.
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