Die Zeit ist reif!
Es treibt mich die Frage um, wann die Zeit für etwas reif ist. Wer definiert eigentlich, wann es Zeit ist? Und was sind "Zeichen der Zeit", die die Kirche im Licht des Evangeliums zu deuten hat? Wer hat die Definitionsmacht? Wer entscheidet über die Reife der Zeit in der katholischen Kirche? Und wie geht das in der deutschen Caritas?
Aber halt! Bevor wir hier in eine theoretische Debatte abschweifen, muss auf den Tisch, worum es geht. Denn das entscheidet auch mit, ob dafür Zeit ist oder nicht. Deshalb jetzt zur Sache: Die vermeintliche Reife der Zeit ist wichtig bei einer ganz bestimmten Reformfrage in der katholischen Kirche, nämlich dem Thema Kirche und Frau. Also hier: Caritas und Genderpolitik. Im Dialogprozess der Kirche wurde wiederholt gefragt, ob es Zeit für Öffnungen bei den Weiheämtern, für mehr Frauen in Führung und für eine stärkere Würdigung der Leistungen der Frauen sei.
Auch der DCV kann beim Thema Geschlechtergerechtigkeit seine Hände nicht länger in den Schoß legen. Zu deutlich ist auch im Verband und bei seinen Mitgliedern die Gerechtigkeitslücke. Wenn bei einem Frauenanteil von 80 Prozent in der Mitarbeiterschaft der Caritas der Anteil der Frauen in den untersten Vergütungsgruppen bis auf 93 Prozent ansteigt und im obersten Segment der Vergütung bei den außertariflich Bezahlten auf 17 Prozent absinkt, ist der Handlungsdruck ganz offensichtlich. Ein Ruhmesblatt ist die Positionsverteilung zwischen Männern und Frauen in der deutschen Caritas nicht!
Die Genderbeauftragte hat im August dem Caritaspräsidenten ihren ersten Genderbericht überreicht. Das Projekt "Gleichgestellt in Führung gehen" wird im Herbst die Ergebnisse einer Studie über Erfolgsfaktoren und Herausforderungen vorlegen. Im Dezember werden interessierte Führungsfrauen ein "Netzwerk für Frauen in Führung" ins Leben rufen. Diese Veranstaltung ist bereits jetzt komplett ausgebucht! Auch eine Mitgliedschaft im Forum Genderdax - einer Informationsplattform für hochqualifizierte Frauen - kann die Suche nach High Potentials erfolgreicher werden lassen.
Die Delegiertenversammung als Souverän des Verbandes und der Vorstand sind gefragt. Für alle in der Caritas, die den Mangel an sehr gut qualifizierten Führungskräften sehen, ist jetzt eine personal- und genderpolitische Strategie angesagt, am besten verbandsweit. Dies gilt auch für alle, die etwas von Diversity-Strategien halten. Die Glaubwürdigkeit unserer Kirche hängt zentral von ihrer Nähe zu den Menschen und deren heutigen Fragen ab. Die deutsche Caritas beansprucht für sich zu Recht, ein glaubwürdiges Gesicht von Kirche zu sein. Die Baustelle ist eröffnet, denn die Zeit ist reif für eine genderpolitische Positionierung!