Kirche findet Stadt: Empfehlungen – Strategien – Perspektiven
Kirchen(gemeinde) als Teil der Bürgergemeinde
1. Kirche als Teil des lokalen Gemeinwesens verstehen
Die beiden großen christlichen Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden sind in Städten und Gemeinden mit ihren Kirchengemeinden und verbandlichen Diensten und Einrichtungen vor Ort präsent und haben hierüber vielfältige Zugänge zu den Menschen vor Ort. Mit diesen leisten sie in den Stadt- und Ortsteilen einen nachhaltigen Beitrag zur Sicherung einer verlässlichen kulturellen und sozialen Infrastruktur in allen Regionen Deutschlands. Es gilt, sich dieser Rolle zunehmend bewusst zu werden und sie offen einzunehmen und sich in die Gestaltung des Gemeinwesens aktiv einzubringen.
2. Vielfalt kirchlicher „Kraftfelder“ erkennen und kirchlich-verbandliche Zusammenarbeit stärken
Die Kirchen, ihre Wohlfahrtsverbände und Sozialunternehmen sind in sozialräumliche Kommunikations- und Netzwerkstrukturen eingebunden und prägen vielerorts den sozial- und kulturpolitischen Diskurs in den lokalen Gemeinwesen maßgeblich mit. Sie bieten ein breites Spektrum an Kompetenzen und Fachwissen sowie baulich-räumlichen Kapazitäten, das für Aufgaben im Gemeinwesen und im sozialen Nahraum genutzt werden kann. Durch querschnittsorientiertes, fachbereichs- und zielgruppenübergreifendes Handeln vor Ort bestehen vielfältige Möglichkeiten, diese unterschiedlichen Ressourcen synergetisch zu bündeln. Die Bedingungen für mehr Anschlussfähigkeit zwischen Kirchengemeinden, kirchlichen Wohlfahrtsverbänden und anderen kirchlichen Partnern gilt es auf lokaler Ebene weiterzuentwickeln.
Kirche und ihre Diakonie und Caritas sind nicht nur Institutionen und Dienstleister vor Ort; vielmehr sind sie durch ihre zivilgesellschaftliche Bindung in sozialräumlichen Strukturen (Kirchen-/ Pfarrgemeinden, ehrenamtlich Engagierte, lokale Initiativen, Selbsthilfegruppen etc.) ein wesentlicher Basisakteur. Sie setzen sich ein für soziale Belange insbesondere von Menschen mit Hilfebedarf und übernehmen in deren lokalen Kontexten eine anwaltliche und auch intermediäre Rolle. Sie agieren damit in konkreten Sozialräumen mit dem Ziel, individuelle und strukturelle Bedingungen so zu verändern, dass sozial ausgewogene Lebensbedingungen insbesondere für benachteiligte Gruppen entstehen.
4. Subsidiarität leben und Strukturen für zivilgesellschaftliches Handeln sichern
Die Verfolgung dieses Anspruchs setzt die Verankerung kirchlicher in lokalen Politikstrukturen voraus; dabei stützt sich das sozialpolitische Mandat kirchlicher Institutionen auch auf ihre sozialräumliche Kompetenz. Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände sind entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip konstitutiver Teil des Sozialstaates; dies gilt auch für die lokale Ebene. Als „Träger öffentlicher Belange“ sind sie gefragt, insbesondere soziale Belange in Planungs- und Abwägungsprozesse einzubringen. Ihr anwaltliches Mandat insbesondere für Menschen in besonderen und schwierigen Lebenslagen prädestiniert sie zu Beteiligten an einer sozialen Stadt(teil)entwicklung.
Strategische Verantwortungsgemeinschaften für das Gemeinwesen
5. Das Gemeinwesen partnerschaftlich mit anderen gestalten
Im Gemeinwesen/Sozialraum und in den pastoralen Räumen und Parochien wird eine Öffnung für eine Mitwirkung von Bewohner(inne)n und auch zur Weiterentwicklung von bedarfsgerechten Aktivitäten für die Daseinsvorsorge sowie zur Schaffung niederschwelliger Zugänge ermöglicht. Aus dem „Kirche findet Stadt“-Kontext zeichnen sich erweiterte Handlungsbedarfe und -möglichkeiten auf lokaler und übergeordneter Ebene ab: einen regelmäßigen Austausch mit den relevanten Gruppen und Schlüsselpersonen zu organisieren, neue Impulse und auch Bestätigung für die eigene Arbeit zu erhalten, Kooperationen (weiter) zu entwickeln. Durch Beteiligungs- und Empowermentprozesse können Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände lebendige Nachbarschaft aktiv mitgestalten. Dadurch lässt sich zusätzliches lokales Potenzial entwickeln: zur Eröffnung von Teilhabechancen, zur Organisation von Gemeinschaftsleben, zu nachbarschaftlicher Unterstützung und Bereitstellung bedarfsgerechter Infrastruktur. Auch bieten sich Chancen zur Inklusion vor Ort durch die Einbindung der lokalen Gesellschaft.
6. Kooperationen mit (lokalen) Partnern suchen und zur Koproduktion von Gemeinwohl ausbauen
Gebietsbezogene Koordinations- und Planungsaufgaben sind von kommunalen Stellen zu übernehmen, das heißt von fachbereichsübergreifenden Gebietsbeauftragten, die für die Ausgestaltung von lokalen Entwicklungsprozessen durch Politik und Verwaltungsleitung entsprechend autorisiert und gegenüber Verwaltungsexternen ausreichend legitimiert sind. Für die Mitgestaltung und Koproduktion von Gemeinwohl ist die Kooperation der Kommune mit anderen Akteuren unabdingbar. Partizipative Kooperationsmodelle mit kirchlich-verbandlicher Beteiligung sollten geschaffen und erprobt, bestehende Ansätze weiterentwickelt werden. Es gilt das Verhältnis zwischen Initiatoren/Akteuren und Berater(inne)n, zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen zu reflektieren und Organisationsformen zu finden, in denen geteilte Verantwortung gelebt werden kann. Dazu ist mehr Öffnung, auch für neue Nutzergruppen, notwendig sowie Mut und Bereitschaft, sich auf neue, unerschlossene Pfade zu begeben. Eine strategische Verankerung im kirchlich-verbandlichen wie auch im politisch-administrativen Mehrebenensystem ist Voraussetzung für eine Koproduktion von Gemeinwohl auf Augenhöhe.
7. Lokale Netzwerke zu verbindlichen Entwicklungspartnerschaften weiterentwickeln und nachhaltige Strukturen schaffen
Die Gestaltung eines inklusiven und teilhabeorientierten Gemeinwesens ist angesichts des demografischen Wandels und einer zunehmenden sozialen und kulturellen Differenzierung bis hin zu Segregationsprozessen eine große Herausforderung. In besonderem Maße gilt dies für den interkulturellen beziehungsweise interreligiösen Dialog. Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden sind dabei unverzichtbare strategische und operative Partner für die Prozessgestaltung und Transformation zu zukunftsfähigen Gemeinwesen. Lokale Netzwerke, die auf diese Herausforderungen eingehen wollen, sollten sich daher zunehmend auch handlungsfeld- und trägerübergreifend zwischen Kirche und Kommune gründen. Die Erfahrungen aus den bereits aufgebauten bereichsübergreifend angelegten Netzwerken, wie sie die Referenzplattform von „Kirche findet Stadt“ entwickelt, sollten stärker verbreitet und ausgewertet, der zusätzliche Nutzen für alle Beteiligten deutlicher herausgestellt werden. Entsprechende lokale und überregionale Kompetenznetzwerke und Transferstrukturen gilt es zu schaffen und ökumenisch auszurichten.
Mitgestaltung und Nachhaltigkeit lokaler Entwicklungsprozesse
8. Integrierte Handlungskonzepte und lokale Aktionspläne in sektor- und themenübergreifender Partnerschaft erarbeiten und umsetzen
Integriertes Handeln in der Stadt- und Regionalentwicklung ist eine gemeinsame strategische Herausforderung für Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft – und gleichzeitig Anliegen aller gesellschaftlichen Kräfte. Hier gilt es auch für die kirchlich-verbandlichen Akteure, unterschiedliche fachliche Zusammenhänge systematisch miteinander in einen Dialog zu bringen, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, Ressourcen und Potenziale besser zu verknüpfen, Perspektiven zu erweitern und Konkurrenzverhalten abzubauen. Auf diese Weise lassen sich eine Mitgestaltung von Entwicklungsprozessen (wie zum Beispiel bei Sozialraumanalysen, integrierten Handlungs- und Entwicklungskonzepten) und ein breiter Konsens über notwendige Strategien im Gemeinwesen herstellen.
9. Lokales „Schnittstellenmanagement“ als intermediäre Instanz vor Ort installieren
Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände profilieren ein gemeinwesenorientiertes Handeln, indem sie aus ihren Strukturen ein „Schnittstellenmanagement“ vor Ort installieren, das die Potenziale von Kirchengemeinden, verbandlichen Trägern und Einrichtungen von Caritas und Diakonie sowie das zivilgesellschaftliche und ehrenamtliche Engagement von Akteuren im Gemeinwesen bündelt. Der Anspruch ist dabei ökumenisch, interdisziplinär und intermediär: ein Handeln als Vermittler und Entwickler von Kooperationskulturen zwischen verschiedenen Systemen und Ansätzen. Die beiden Kirchen stehen vor vergleichbaren Herausforderungen und entwickeln ähnliche Antworten und Strategien. Hier ist eine stärkere Bündelung von Potenzialen kirchlicher Zivilgesellschaft in der integrierten Stadtentwicklung erforderlich und möglich.
10. Sozialraumbezogene Budgets beziehungsweise Verfügungsfonds aufbauen
Trotz zunehmend eingeschränkter Ressourcen sind die kirchlich-verbandlichen Träger vielerorts in der Lage, Grundausstattung und Basisstrukturen für lokale Projektarbeit bereitzustellen. Durch die Generierung von Sozialkapital, das häufig erst durch die Verknüpfung von beruflicher und nicht-beruflicher Arbeit entsteht, kann das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern zu einer verlässlichen, in lokale Gemeinwesenstrukturen eingebundenen Ressource werden. Ehrenamtliche wie auch Hauptamtliche in den Kirchengemeinden sowie den verbandlichen Diensten und Einrichtungen profitieren voneinander, wenn sie sich als gleichberechtigte Partner akzeptieren und auf Augenhöhe agieren. Vielfältige Nutzungspotenziale bieten sich in den vorhandenen kirchlich-verbandlichen Infrastruktureinrichtungen und Raumangeboten. Durch eine Öffnung der Gemeindezentren, der verbandlichen Einrichtungen und – soweit möglich – auch einer flexiblen Nutzung über die ursprünglichen Zielgruppen hinaus entstehen Effekte im Stadtteil, die ein neues Miteinander ermöglichen, gemeinwesenbezogene Kooperation und Beteiligung fördern.
E-Mail: karin.vorhoff@caritas.de, www.kirche-findet-stadt.de