Der Realität begegnen
"Zwölf Uhr hat’s geschlagen, … zu Hause, da wartet die Mutti auf mich" - mit diesem Lied habe ich als Erzieher vor über 25 Jahren den Kita-Vormittag im Stuhlkreis beendet. Schon immer habe ich mit Unbehagen nur die wartende Mutti besungen. Wo blieben die Väter, und wartete auf so manches Kind überhaupt jemand? Zu einer Frage war ich ratlos: Was tun, wenn ein Kind zwei wartende Muttis oder Papis hat? Und das in einer katholischen Kita!
Homosexualität und katholische Kirche. Geht das? Es fällt nicht schwer zu glauben, dass es auch im KiTa Zweckverband unter den 3000 Beschäftigten persönliche Erfahrungen gibt.
Nicht nur die Verantwortlichen in der Elementarpädagogik, auch die Essener Bistumsleitung zeigt, was Toleranz bedeutet. Bischof Franz-Josef Overbeck pflegt seit einigen Jahren einen aufrichtigen, intensiven Dialog mit dem Forum Essener Lesben und Schwule. Er macht dabei immer wieder deutlich, dass die Türen der Kirche für alle offenstehen - egal welche sexuelle Orientierung sie haben.
Generalvikar Klaus Pfeffer brachte aus diesem Dialog eine wichtige Frage bei uns ein: Was sagt der bundesweit praktizierte elementarpädagogische "Situationsansatz" zum Umgang mit Homosexualität in den Familien unserer Kinder? Und welche Antwort bietet er, wenn ein Kind den Erzieher(inne)n seine zwei Papas vorstellt? Mir bleibt nur zu sagen: "Das Kind in seiner Lebensrealität wahrnehmen und nach Kräften unterstützen!" Doch sind wir darauf vorbereitet? Haben wir Bilderbücher, in denen sich Kinder mit zwei Vätern wiederfinden, Aufnahmeformulare, die geschlechterneutral gestaltet sind? Und was bedeutet ein Vater-Bastelabend für ein Kind mit zwei Müttern?
Beim vom Generalvikar angeregten Treffen zwischen Kita-Leitungen und einer Vertreterin des Forums Essener Lesben und Schwule zeigte sich, dass fast die Hälfte der Leitungen bereits Berührungspunkte mit Regenbogenfamilien hatte. Als Träger von 271 Einrichtungen ist dem KiTa Zweckverband dieses Thema nicht neu.
Es wäre dennoch naiv zu denken, dass es keine Vorurteile gibt. Doch damit gilt es umzugehen. Es muss einen offenen Austausch geben, insbesondere, wenn das Kindeswohl im Vordergrund steht. Nur wenn das scheinbar Fremde nicht mehr fremd ist, können Ängste und Intoleranz überwunden werden. Sowohl im Markus- als auch im Matthäus- und Lukas-Evangelium steht: "Lasset die Kinder zu mir kommen."
Damit sind alle Kinder gemeint - auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aufwachsende.
Gesellschaftlich sind die Zeiten vorbei, in denen Menschen ihre Homosexualität verbergen müssen und in denen sich Kinder oder Eltern schämen müssen. Wenn dann noch Bischof und Generalvikar die pädagogischen Fachkräfte wohlmeinend sensibilisieren, dann zeigt die Uhr nicht fünf nach zwölf, sondern schlägt zur richtigen Stunde.