Eine Anlaufstelle für die Ärmsten
Während der einwöchigen Projektreise von Caritas international (Ci) nach Georgien besuchen wir1 das "Haus der Caritas" in Tiflis. Auf dem Gelände befand sich zu Sowjetzeiten eine Metallfabrik mit 400 Beschäftigten. Sie gehörte zu einem heruntergewirtschafteten Industriekomplex, der mit seinen Arbeiterwohnheimen als sozialer Brennpunkt galt. Ende der 1990er Jahre baute die Caritas Georgien dort ein soziales Zentrum auf.
Heute ist das "Haus der Caritas" Anlaufstelle für Jung und Alt: Im Kinder- und Jugendzentrum werden 200 Heranwachsende aus extrem armen Familien gefördert. Eine Wohngruppe für zehn Sozialwaisen und ehemalige Straßenkinder, eine Tagesstätte für vierzig Senior(inn)en sowie die Suppenküche, die täglich einige hundert Kinder, Jugendliche und ältere Menschen verköstigt, gehören dazu.
Die Kinder- und Jugendhilfe der Caritas Georgien wird seit ihren Anfängen im Jahr 1997 von Ci unterstützt: Neben Kindertagesstätten, Wohngruppen für Kinder und Jugendliche sowie einem offenen Zentrum für Straßenkinder zählt dazu auch das Kinder- und Jugendzentrum im "Haus der Caritas" in Tiflis. Tamar Sharashidze, die Leiterin der Kinder- und Jugendhilfe der Caritas Georgien, begrüßt uns hier. Sie führt uns durch lange Gänge von Werkraum zu Werkraum in eine andere Welt.
Eine andere Welt: Puppentheater, Schreinerei, Friseur
Vor jeder Tür hängt ein kunstvoll gestaltetes Schild, das zeigt, welches Handwerk dahinter gelehrt und gelernt wird. Wir begegnen sechs- bis 18-jährigen Jungen und Mädchen, die konzentriert bei der Sache sind: Vier proben im Puppentheater mit selbst gebastelten Marionetten. In der Schreinerei schnitzen ein paar Jungen an ihren Kunstwerken. Ihr Lehrer ist Absolvent der Meisterklasse der Kunstakademie. Stolz zeigt er uns die Arbeiten seiner Schüler, darunter Holzreliefs mit religiösen Motiven: Auftragsarbeiten für orthodoxe Kirchen in der Umgebung. Im nächsten Werkraum herrscht das gleiche geschäftige Treiben. Hier arbeiten die Jungen und ein Mädchen mit Metall. Sie hämmern, löten und klopfen. Das nächste Türschild zeigt Fön, Kamm und Schere und weist den Weg in den Friseursalon.
Staunend schauen wir zu, wie die Mädchen und Jungen schnitzen, töpfern, emaillieren, malen, weben oder Teppiche knüpfen, und das mit ebenso großer Geduld wie Perfektion. Von der Planung über die ersten Skizzen bis hin zur Fertigstellung ihrer Objekte brauchen sie oft Tage, Wochen, ja sogar Monate. Taraneh Ghasemi, Jugend-Sozialarbeiterin aus Gießen, zeigt sich tief berührt: "Die Kinder bekommen hier die Chance, ihre Fähigkeiten zu entdecken, zu entwickeln und daran zu wachsen!" Irmgard Wirthmüller, leitende Sozialarbeiterin aus Dachau, pflichtet ihr bei: "Wir denken immer, dass die Kinder sich im Gespräch, durch Analysen und Therapien erklären und erforschen müssen. Aber hier sehen wir, wie geschickt sie handwerklich und kreativ arbeiten können und mit welcher Hingabe, welchem Selbstbewusstsein sie sich diesen Herausforderungen stellen!"
Dank intensiver Lobbyarbeit wird die Kinder- und Jugendhilfe der Caritas Georgien heute bis zu 70 Prozent vom georgischen Staat finanziert. Die Restfinanzierung bereitet Nino Charkhalashvili, der Verwaltungsleiterin der Caritas Georgien, dennoch Kopfschmerzen: "Wir suchen dringend Spender, die zum Beispiel einen Kurs für jeweils 20 bis 25 Kinder finanzieren. Der Kurs für Holzschnitzerei kostet einschließlich Lohn- und Materialkosten 7000 Euro im Jahr, der Emaille-Kurs wegen des teuren Materials fast 9000 Euro." Die meisten ehemaligen Schülerinnen und Schüler bleiben in Kontakt: Einige unterrichten als ehrenamtliche Lehrkräfte, andere sind inzwischen bei der Caritas fest angestellt, so die Leiterin einer Wohngruppe für Kinder und Jugendliche, die Pädagogik studiert hat.
Armut nach Punkten
Das Sozialamt schickt die Kinder mit einem Ausweis zur Caritas, der ihnen nach einem Punktesystem bestätigt, dass ihre Eltern unterhalb der Armutsgrenze leben. Je geringer die Punktzahl, desto größer die Armut. "Die Kinder hier sehen ordentlich gekleidet und gut aus. Oft denke ich, das muss ein Schreibfehler sein, es ist kaum möglich, dass eine Familie in so großer Armut lebt!", sagt Tamar Sharashidze. Und doch ist es so. Unterrichtet werden die Jugendlichen von 32 engagierten Lehrerinnen und Lehrern. Sie schenken den Kindern die Zuwendung, die sie zu Hause von ihren Eltern meist nicht bekommen. Das Zentrum ist außer freitags und samstags jeden Tag von 10 bis 18 Uhr geöffnet - auch während der Schulferien. Eltern hatten sich dafür eingesetzt, damit die Kinder in den Ferien nicht hungern müssen!
Zusammen mit Anna, die im Tageszentrum Englisch unterrichtet und für uns dolmetscht, begleiten wir einige Kinder nach Hause. Einer von ihnen ist der 13-jährige Giorgi. Wir hatten ihn vorher im Puppentheater getroffen, wo er seine Marionette über die Bühne tanzen ließ. Mit seinem sechs Jahre alten Bruder Nika und seiner Mutter Keth (32) bewohnt er zwei winzig kleine, fensterlose Hinterhofkammern. Der Vater ist vor Monaten verschwunden, nur eine halbleere Wodkaflasche hat er zurückgelassen. Keth und ihre beiden Söhne leben von umgerechnet 85 Euro Sozialhilfe im Monat. Nach Abzug der Miete bleiben ihnen gerade mal zwanzig Euro zum Leben. Ohne die Caritas-Suppenküche würden sie hungern. Nach ihren Zu-kunftsträumen befragt, sagt Keth, dass sie sich eine gute Ausbildung für ihre Söhne wünscht und hofft, bald Arbeit zu finden.
Ohne Toiletten und Strom
Unsere nächste Station ist das Zuhause der siebenjährigen Mari. Das aufgeweckte Mädchen ist eine eifrige und fleißige Schülerin. Das Tanzen mache ihr am meisten Spaß, erzählt sie uns stolz. Ihr Vater starb vor zweieinhalb Jahren an einer Lungenkrankheit. Kurz darauf zog Maris Mutter mit ihr nach Tiflis. Die Ersparnisse waren schnell weg. Seither wohnen die beiden in der ehemaligen Radiologischen Klinik, von der praktisch nur noch ein Rohbau übrig ist. Vor dem von Polizisten bewachten Eingang sitzen ein paar ältere Leute. "Wir müssen hoch in den 6. Stock!", ruft Mari uns zu und verschwindet im offenen Treppenhaus, das wohl mal eine riesige Glasfront hatte. Jetzt schützt nur noch ein wackeliges Geländer vor dem Sturz in den Abgrund. Die beiden Räume, die Mari und ihre Mutter mietfrei bewohnen, haben zum Glück noch Fenster. Aber es gibt hier keine Toiletten, kein fließendes Wasser, keinen Strom. Auf der Etage leben noch fünf Familien. Wir wagen es nicht, uns auszumalen, wie der Alltag von Mutter und Tochter in dieser siebenstöckigen Ruine aussieht. Und noch weniger, was sich hinter den beiden einzigen stabilen Wohnungstüren aus dunklem Holz mit Türspion und Sicherheitsschlössern verbirgt. Es seien Privatwohnungen, sagt Maris Mutter und zuckt hilflos mit den Schultern, als wir sie nach ihren Wünschen für die Zukunft fragen.
Zurück im Zentrum gehen wir noch einmal die Gänge mit den bunten Türschildern, Bildern und Fotos der Kinder entlang. Wir denken an die 17-jährige Elena, die hier in den vergangenen neun Jahren ihre Liebe und Gabe für die Malerei entdeckt hat. Vor kurzem hat sie die Aufnahmeprüfung für die Kunstakademie bestanden. Und wir denken an die etwa 25 jugendlichen Tänzerinnen und Tänzer, die uns traditionelle georgische Tänze vorgeführt haben. Sie probten noch, bevor sie am nächsten Tag zur Tournee nach Polen aufbrachen. In Italien und Frankreich sind sie auch schon aufgetreten. "Wir kommen auch gerne nach Deutschland!", rufen sie uns fröhlich zu. Die Tanzgruppe ist Maris ganzer Traum. Sie trainiert hart und wünscht sich, dass sie schon bald mit den anderen auf Tournee gehen darf.
Anmerkung
1. Zur Reisegruppe gehörten Michael Bader, Stiftung St. Zeno in Kirchseeon; Taraneh
Ghasemi, Caritasverband Gießen; Gudrun Schemel, Caritasverband Lörrach; Christine Streich-Karas, Caritasverband Gießen und Irmgard Wirthmüller, Caritas-Zentrum
Dachau.
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