Der Pflegenotstand ist real
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Verfassungsbeschwerde des VdK gegen den Pflegenotstand nicht zur Entscheidung angenommen. Der VdK wollte feststellen lassen, dass die gegenwärtigen staatlichen Maßnahmen zum Schutze der Grundrechte von Pflegeheimbewohnern nicht genügen und der Staat zur Abhilfe und kontinuierlichen Überprüfung verpflichtet ist.
Das BVerfG argumentiert, es könne erst dann eingreifen, wenn der Gesetzgeber seine Pflicht evident verletze. Die Verletzung einer grundrechtlichen Schutzpflicht durch Unterlassen des Gesetzgebers sei aber nicht hinreichend substanziiert vorgetragen worden. Unzulänglichkeiten von landes- und bundesrechtlichen Regelungen zur Qualitätssicherung seien nicht ausreichend deutlich dargelegt worden. Die Beschwerde zeige ebenso unzulänglich auf, inwieweit sich eventuelle Defizite in der Versorgung von Pflegebedürftigen durch staatliche normative Maßnahmen effektiv verbessern ließen. Die Beschwerde belege zudem nicht hinreichend, dass die Beschwerdeführer selbst gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten verletzt worden seien. Das Gericht verweist die Beschwerdeführer auf die Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Pflegeheimen und auf den fachgerichtlichen Rechtsschutz.
Dass überhaupt ein Beschluss des BVerfG herbeigeführt werden musste, verweist auf ein Problem an der Wurzel des Systems der Pflegeversicherung und -gesetzgebung. Auch der VKAD benennt beispielhaft einen Systemfehler: So wird die Behandlungspflege in stationären Pflegeeinrichtungen nicht aus der Krankenversicherung bezahlt. Während ambulant Pflegebedürftige neben den Leistungen der Pflegeversicherung auch Krankenversicherungsleistungen zur Pflege beziehen, müssen Heimbewohner(innen) allein aus dem Budget der Pflegeversicherung versorgt werden. Daraus lassen sich zwar keine konkreten Verletzungen der Menschenwürde ableiten, aber häufig kompensieren die Pflegenden dies durch ihre eigene Überlastung. Einrichtungsträger manövrieren je nach pflegerischem Behandlungsaufwand ihrer Bewohner(innen) an der Grenze der Wirtschaftlichkeit. Dass diese Belastungen des Pflegesystems summiert in Einzelfällen eine menschenunwürdige Pflege erzeugen, lässt sich nicht ausschließen - aber auch kaum beweisen.
Es ist eine Welle von Einzelklagen zu befürchten
Aus dem Ablehnungsbescheid des BVerfG darf man nicht folgern, dass der Pflegenotstand nur ein Konstrukt der Beschwerdeführer ist. Er ist real, aber er muss jeweils konkret benannt und bearbeitet werden. Ob die Finanzierungslücke der Behandlungspflege in stationären Pflegeeinrichtungen durch eine Zusammenlegung der Pflege- und der Krankenversicherung zu lösen ist, ist keine Frage gerichtlicher Beurteilung. Aber wenn dieser Systemfehler nicht "geheilt" wird, wird eine Welle von Einzelklagen die jetzt ausgefallene gerichtliche Klärung ersetzen (müssen). Politik und Träger sind daher aufgerufen, rechtzeitig nach Lösungen zu suchen.