Caritas und Verdi können gemeinsam viel erreichen
Bei der Verteidigung des Sozialstaats sind die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände wichtige Bündnispartner der Gewerkschaften. Warum nur fürchten sie dann in ihren eigenen Betrieben und Einrichtungen die Gewerkschaft Verdi so sehr, die für Beschäftigte im Sozial- und Gesundheitswesen zuständig ist? Erst seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20. November 2012 (siehe Beitrag von Thomas Vortkamp, S. 9ff. in neue caritas Heft 1/2014) ist klargestellt, dass ich als Repräsentantin der Gewerkschaft in ein katholisches Krankenhaus oder ein evangelisches Altenheim gehen darf, um dort Beschäftigte über unsere gewerkschaftliche Arbeit zu informieren und sie für eine Mitgliedschaft zu gewinnen. Was in einem weltlichen Betrieb selbstverständlich ist, ist für die Kirche eine kleine Sensation. Schon das zeigt: Einige der Sonderrechte, die die Kirchen genießen, passen längst nicht mehr in diese Zeit.
Kirchen müssen ihre originär kirchlichen Angelegenheiten selbst regeln können, ohne Einmischung des Staates – das steht außer Zweifel. Aber sind die Arbeitsbedingungen von über einer Million Beschäftigten wirklich eine eigene Sache der Kirche? Ich meine, nein. Es sind die Angelegenheiten der Betroffenen. Schon lange sind es nicht mehr Ordensschwestern, die in den konfessionellen Einrichtungen arbeiten, sondern gut qualifizierte und professionelle Erzieher(innen), Sozialarbeiter(innen) und Krankenpfleger(innen). Viele von ihnen können sich ihren Betrieb nicht aussuchen, denn nach dem Staat sind die Kirchen der größte Arbeitgeber der Branche.
Was ist so schlimm an echter Mitbestimmung, an demokratischen Strukturen in kirchlichen Betrieben? Warum will man nicht, dass die Beschäftigten emanzipiert mit der zuständigen Gewerkschaft und auf Augenhöhe mit ihrem Arbeitgeber Tarifverträge aushandeln können, wie es in jedem anderen Betrieb des Landes möglich ist? Klar, dass dazu auch das Streikrecht gehören muss. Alles andere wäre kollektives Betteln. Doch Arbeitskämpfe sind in Tarifverhandlungen nur das letzte Mittel. Wenn es den Kirchen, wie sie regelmäßig beteuern, tatsächlich nicht darum geht, aus ihrem Sonderweg einen Wettbewerbsvorteil zu schlagen, wenn sie anständige Arbeitgeber sein und ihren Mitarbeiter(inne)n gute Arbeitsbedingungen bieten wollen, dann müssten sie den Arbeitskampf nicht fürchten.
In den Dialog treten
Ein Dialog von Caritas und Verdi ist überfällig. Viele gesellschaftliche Probleme warten auf Lösungen, die wir gemeinsam besser erreichen können. Die dringend notwendige Reform des Pflegesektors ist dafür ein gutes Beispiel. Auch die schlimmen Auswirkungen der Ökonomisierung im Gesundheits- und Sozialwesen sind ein solches Thema: Wenn man mit Sozialer Arbeit an der Börse spekulieren kann, läuft etwas mächtig schief. Ich vermute, das sehen auch die katholische Kirche und ihre Caritas so.
In der Sozial- und Gesundheitswirtschaft gibt es mittlerweile eine „Schmutzkonkurrenz“. Billiganbieter bestimmen immer öfter die Höhe der Refinanzierung. Deshalb stehen auch die Einrichtungen der Caritas unter Druck, was Einkommen und Arbeitsbedingungen betrifft. Unsere Lösung: ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag. Zu dessen Einhaltung wären auch jene Unternehmen verpflichtet, die sich heute mit Lohndumping und schlechten Arbeitsbedingungen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Die Grundlage für eine bessere Refinanzierung wäre gelegt, da so nicht immer weiter an der Kostenschraube gedreht werden könnte. Der im Jahr 2010 in Kraft getretene gesetzliche Mindestlohn in der Pflege war ein Anfang, ist aber viel zu niedrig. Dabei darf es nicht bleiben. Die Arbeit mit und für Menschen muss uns mehr wert sein! Allen, die gerechte Löhne und Arbeitsbedingungen anstreben, bieten wir unsere Zusammenarbeit an.
Mut zur Demokratie
Zum Jahreswechsel mussten sich die Caritas-Einrichtungen laut Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz entscheiden: Entweder sie übernehmen die kirchliche Grundordnung mit dem Dritten Weg kircheninterner Lohnfindung in ihre Statuten oder sie verlassen diesen Sonderweg. Ich wünsche mir, dass viele Verantwortliche die Chance erkennen und sich für echte Mitbestimmung und mehr Demokratie entscheiden.
Klar ist: Eine Entscheidung für den Dritten Weg zieht keineswegs automatisch ein Streikverbot nach sich. Das BAG hat hierfür in dem genannten Urteil Voraussetzungen formuliert: Unter anderem muss eine koalitionsmäßige Betätigung der Gewerkschaften gewährleistet sein, ebenso die Verbindlichkeit der getroffenen Vereinbarungen. Beides ist aktuell nicht gegeben, so dass feststeht: Gewerkschaftliche Betätigung ist ohne Abstriche möglich, das Streikrecht besteht auch in katholischen Einrichtungen.
Der Erfolg des Dritten Weges misst sich für die Belegschaften daran, ob und wie die von Verdi im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD) getroffenen Regelungen übernommen werden. Diesem Anspruch wird der Sonderweg in immer mehr Fällen nicht gerecht. Bundesweit gibt es Beispiele, dass in Einrichtungen der Caritas deutlich vom Tarifniveau des öffentlichen Dienstes abgewichen wird. In einzelnen Regionen werden die Ergebnisse der Tarifverhandlungen verzögert oder nicht vollständig übernommen. Stundenlöhne ab 7,19 Euro – wie im Fall eines Krankenhauses in Bergisch Gladbach – sind kein gutes Aushängeschild für die Kirchen. Verdi fordert die Arbeitgeber schon seit Jahren auf, gemeinsam gegen die Unterfinanzierung des Gesundheits- und Sozialwesens vorzugehen. Gerade die Kirchen könnten hier einen Beitrag leisten. Als wertebasierte Institutionen sind sie in einer besonderen Verantwortung.
Die katholische Soziallehre, die in dem vom „Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden“ im Jahr 2004 vorgelegten Kompendium der Soziallehre der Kirche zusammenhängend dargestellt ist, kennt keinen Dritten Weg – wohl aber das Gewerkschaftsprinzip und den Wert des Tarifvertrages. Befremdlich ist vor diesem Hintergrund, wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, bei einer Tagung des sogenannten Christlichen Gewerkschaftsbundes auftritt. Was ist an diesen „Gewerkschaften“ eigentlich christlich? Dass sie auch ohne Mitglieder Gefälligkeitstarifverträge abschließen wohl kaum. Gut, dass die Arbeitsgerichte diesen arbeitgebernahen Organisationen zunehmend den Gewerkschaftsstatus absprechen.
Menschenrechte müssen für alle gelten
Vielerorts setzen sich Kirche und Caritas für die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte ein. Das ist gut. Diese müssen aber auch für die Beschäftigten der eigenen Einrichtungen gelten. Ihnen das aus der Koalitionsfreiheit abgeleitete Streikrecht zu verweigern, ist weder sozial- und rechtsethisch noch theologisch zu rechtfertigen, wie der Sozialethiker Hartmut Kreß von der Universität Bonn in einem Anfang November vorgestellten Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung bestätigt.
Die Situation im Sozial- und Gesundheitswesen hat sich dramatisch verändert, seit es die politische Entscheidung gab, auch in diesem Bereich den ökonomischen Wettbewerb zuzulassen. Zunehmend drängen private Anbieter in die Branche, die mit der Versorgung und Betreuung von Kindern und Hilfebedürftigen Geld verdienen wollen. Es braucht einen Schulterschluss zwischen allen, die diesen Weg für falsch halten. Caritas und Verdi – gemeinsam können wir viel erreichen. Verdi steht bereit.