Dabei sein ist alles: Sozialraum und Technik machen’s möglich
Für Ambient Assisted Living (AAL) gibt es zahlreiche Definitionen. Im Wesentlichen werden darunter jedoch Konzepte, Produkte und Dienstleistungen verstanden, die das soziale Umfeld und neue Technologien miteinander verbinden, mit dem Ziel, die Lebensqualität zu erhöhen.1 Im Vordergrund steht dabei, die unmittelbare Umgebung an die Situation des gealterten beziehungsweise assistenzbedürftigen Individuums anzupassen.
In Deutschland gibt es ein großes Angebot an technischen Assistenzsystemen. Deren Entwicklung wird von der Bundesregierung mit hohem finanziellem Aufwand unterstützt. Die verwendbaren Ergebnisse sind im Vergleich dazu allerdings sehr spärlich. So ist das Angebot unübersichtlich und geht häufig an den Bedarfen und Bedürfnissen potenzieller Nutzer(innen) vorbei. Auch ist die Frage, wie der Einsatz assistiver Technologien finanziert werden kann, bislang nicht geklärt. In der Folge werden diese derzeit häufig nur innerhalb von Projekten mit zumeist unklarer Nachhaltigkeit eingesetzt. Dabei könnten alters- beziehungsweise behindertengerechte Assistenzsysteme sehr wohl die Lebensqualität von Menschen mit Hilfebedarf erhöhen und ihnen auch in Zeiten veränderter familialer Strukturen ein langes sowie selbstbestimmtes Leben zu Hause ermöglichen.
Wie dies gelingen kann, wurde in einem von der Aktion Mensch geförderten verbandsinternen Projekt „Technische Umgebungsanpassung und Sozialraumorientierung“ im Referat Alter, Pflege und Behinderung des Deutschen Caritasverbandes von Juni 2012 bis Mai 2013 untersucht. Voraussetzung ist, dass Caritas sich als Teil einer Sozialbewegung vor Ort versteht. In dieser arbeitet sie gemeinsam mit den Bürger(inne)n und hilfebedürftigen Menschen daran, dass auch Letztere Teil des Gemeinwesens bleiben beziehungsweise es wieder werden können. Caritas als berufliches Hilfesystem tritt bei dieser Unterstützung nicht als durch ihre Kompetenzen überlegen, sondern partnerschaftlich auf.2
Diese Gemeinwesenorientierung der Caritas kann durch den Einsatz assistiver Technologien optimiert werden.
Drei gute Beispiele gehen voran
Im Projekt „Technische Umgebungsanpassung und Sozialraumorientierung“ wurden dafür im Verband drei Beispiele guter Praxis identifiziert: ein gerontopsychiatrischer Pflegedienst, ein Hausnotrufanbieter sowie eine Sozialstation. Sie verbinden die beiden Aspekte „Technik und Sozialraumorientierung“ bereits miteinander. Als Ziel des Einsatzes assistiver Technologien nannten die befragten Mitarbeiter(innen) den Verbleib der Menschen mit Unterstützungs-, Hilfe- oder Assistenzbedarf zu Hause oder im Quartier, die Optimierung des Zusammenwirkens von beruflichem und nichtberuflichem Hilfesystem sowie die Entlastung des Personals.
Bei den drei Anbietern kommt unterschiedliche Technik zum Einsatz. So nutzt der gerontopsychiatrische Pflegedienst Assistenzsysteme, welche basierend auf einem Datenaustausch-System beziehungsweise auf Funkbasis je nach Bedürfnis des einzelnen Menschen eingesetzt werden. Beispielsweise können Bewegungsmelder am Bett Signale an ein Handy senden und so einem/einer Mitarbeiter(in) oder Angehörigen mitteilen, wenn eine pflegebedürftige Person nachts aufgestanden ist. Es können aber auch Profile über das Bewegungs- oder das Ernährungsverhalten erstellt werden, indem an eine zentrale Stelle übermittelt wird, wie oft am Tag beispielsweise der Kühlschrank geöffnet wurde.
Beim Hausnotrufdienst kommen in erster Linie die klassischen Hausnotrufsysteme mit Funksender zum Einsatz. Darüber hinaus werden aber auch neuere Entwicklungen wie der mobile Notruf mit GPS-Ortung erprobt.
Die Sozialstation nutzt ebenfalls in Kooperation mit einem externen Anbieter den Hausnotruf. Außerdem verwendet sie einfache technische Hilfsmittel wie Nachtlichter oder Herdsicherungen.
Um assistive Technologien einsetzen zu können, müssen jedoch einige Rahmenbedingungen beachtet werden. So ist der Nutzen der eingesetzten Technologie zu überprüfen und auf die individuellen Bedürfnisse des Nutzers/der Nutzerin abzustimmen. Darüber hinaus sind ethische Gesichtspunkte zu berücksichtigen, rechtliche Voraussetzungen zu klären und die Mitarbeiter(innen) bei der Einführung zu beteiligen.
Berufliches und nichtberufliches System sind gekoppelt
Allen Beispielen guter Praxis ist gemein, dass das nichtberufliche Hilfesystem auf einer partnerschaftlichen Ebene in die Arbeit des beruflichen Hilfesystems einbezogen wird. Durch den Einsatz assistiver Technologien konnte die Zusammenarbeit im Hilfemix optimiert werden. So gibt es beim gerontopsychiatrischen Pflegedienst die Möglichkeit, die zu Hause eingesetzte Technologie so zu steuern, dass Nachrichten, die von den technischen Geräten gesendet werden, beim nichtberuflichen Hilfesystem – wie zum Beispiel den Angehörigen oder den Nachbarn – eingehen.
Diese Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips findet sich auch beim Hausnotrufanbieter wieder. So wird im Notfall bei fehlendem Sprechkontakt mit dem/der Nutzer(in) als Erstes das nichtberufliche Hilfesystem alarmiert. Dabei handelt es sich um Menschen, die der/die Nutzer(in) zuvor benannt hat. Nur wenn diese nicht erreichbar sind, wird ein Bereitschaftsdienst verständigt. Gleiches gilt für den Einsatz mobiler GPS-Ortung.
Der Sozialstation ist es gelungen, die Hilfeleistungen des nichtberuflichen Hilfesystems in ihrem Quartier intensiv auszubauen. Dank innovativer Vorschläge konnte mit einfachen technischen Mitteln die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung beziehungsweise Menschen mit Hilfebedarf ermöglicht werden. Beispielsweise wurde eine Sprachsoftware für einen gelähmten Menschen selber „gebastelt“.
Alle befragten Anbieter haben die von ihnen umgesetzten Modelle aus einem drittmittelfinanzierten Projekt heraus entwickelt beziehungsweise diese sind innerhalb eines Projekts als Nebenprodukt entstanden. Lediglich der klassische Hausnotruf besteht schon länger als eigenfinanzierte gGmbH, die Projekte im Bereich Ambient Assisted Living werden jedoch mit externen Fördergeldern umgesetzt. Von Anfang an haben sich die Anbieter Gedanken um die Nachhaltigkeit ihrer Projekte gemacht. So ist deren Fortbestehen gesichert durch die Umwandlung in ein Geschäftsmodell, die Gründung eines Fördervereins, die Verwirklichung innovativer eigener Wege sowie die Nutzung einer „Bepreisungsstrategie“. Über politische Aktionen wird auf die fehlende Refinanzierung assistiver Technologien hingewiesen.
Den Beispielen guter Praxis ist es gelungen, nicht einfach blindlings auf den fahrenden Zug „AAL“ aufzuspringen, sondern sich bewusst mit der Frage auseinanderzusetzen, wie assistive Technologien zur selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Hilfebedarf beitragen können. Dafür wurde ein Technikverständnis zugrunde gelegt, das die Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund stellt und ihre Realisierung im Sinne eines gelungenen Hilfemix sinnvoll an das soziale Umfeld koppelt.
Anmerkungen
1. Siehe beispielsweise BMBF (Hrsg.): AAL – Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes und unabhängiges Leben. Ambient Assisted Living. Bonn/Berlin, 2008.
2. Vgl. das Projekt „Hilfe teilen – das Zusammenwirken des beruflichen und nichtberuflichen Hilfesystems im Deutschen Caritasverband“ (April 2010 bis Dezember 2012). Siehe hierzu auch neue caritas-Jahrbuch 2012, S. 119 und neue caritas Heft 15/2012, S. 18.
Caritas und Verdi können gemeinsam viel erreichen
Einbindung statt Konfrontation eröffnet Chancen
Auf die Mitarbeiterinnen kommt es an!
Die Position der Dienstnehmer ist deutlich zu stärken
Das Militär geht, die Caritas bleibt
Führung und Aufsicht wirksam aufstellen
…und wieder nur abgestellt
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