Das Militär geht, die Caritas bleibt
Als US-Truppen im November 2001 die Taliban-Regierung in Kabul gestürzt hatten, war der Optimismus groß. Aufbruchsstimmung herrschte im ganzen Land: 40 Nationen engagierten sich, Tausende Afghanen kehrten aus dem Exil zurück, neue Organisationen und Unternehmen schossen aus dem Boden. Die Welt fragte sich: Was soll da eigentlich schiefgehen? Zwölf Jahre später zeigt der Blick in den aktuellen Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung vom Juni 2013, dass der Optimismus längst verflogen ist. Wenige Monate vor der Präsidentenwahl am 5. April 2014 und dem Abzug der Nato-Truppen macht sich in der offiziellen deutschen Bilanz Ernüchterung breit:
- Soziale und wirtschaftliche Entwicklung: Afghanistan belegt trotz massiver internationaler Unterstützung im aktuellen UN-Entwicklungsindex nur den 175. Platz unter 187 Staaten. Zudem ist die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung durch "Zuflüsse aus der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert", bis heute gebe es "kein selbsttragendes Wachstum".
- Sicherheit: Militärisch konnte das Land trotz der Präsenz von 100.000 Soldaten aus 40 Ländern "nur partiell stabilisiert" werden. Überwiegend unter Kontrolle sei die Sicherheit im Westen und Norden des Landes sowie in Kabul. In Ost-, Süd- und Südwestafghanistan bleibe die Lage überwiegend angespannt. Die Tendenz ist negativ: Besonders erschreckend ist, dass die Zahl der zivilen Opfer 2013 gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr um zwei Drittel auf 582 Menschen in den ersten vier Monaten angestiegen ist.
- Menschenrechte: Die gesellschaftliche Verankerung der Menschenrechte bleibe - trotz Fortschritten - eine große Herausforderung. Es fehle die Akzeptanz in der Gesellschaft, aber auch "die Bereitschaft von Justiz und Strafverfolgungsbehörden, geltende Gesetze zum Schutz von Menschen- und Frauenrechten umzusetzen".
Caritas international ist seit 30 Jahren in Afghanistan aktiv und hat insbesondere die vergangenen zwölf Jahre intensiv begleitet. Nach dem Sturz der Taliban ist das Caritas-Engagement stark ausgeweitet und auf das bettelarme afghanische Hochland sowie Kabul konzentriert worden. In der Hauptstadt wurde ein Büro aufgebaut, in dem derzeit 23 Mitarbeiter tätig sind. Zu den wichtigsten Aktivitäten in Kabul zählte in den vergangenen zwölf Jahren der Aufbau psychosozialer Zentren für Kriegstraumatisierte, die Flüchtlingsarbeit und die Schaffung von Therapieangeboten für Drogenkranke.
Im afghanischen Hochland wurde zunächst der Bau von Schulen, Straßen, Krankenhäusern und Brunnen vorangetrieben. In den nächsten Jahren sollen Ernährungsprojekte sicherstellen, dass die Kleinbauern der Region, deren Ernten derzeit nur für sieben bis acht Monate reichen, in die Lage versetzt werden, sich und ihre Familien ganzjährig selbst versorgen zu können. Mit 30 Millionen Euro sind die Hilfsprojekte der Caritas in den vergangenen zwölf Jahren bislang unterstützt worden. Aufgrund geringer privater Spendeneingänge - diese lagen im Jahr 2012 bei 24.672 Euro - werden die Projekte vor allem durch Gelder öffentlicher Geber wie dem Auswärtigen Amt, dem Entwicklungshilfeministerium sowie dem Nothilfefonds der Europäischen Union (Echo) und der EU finanziert.
Der Gesundheitsstation läuft das Personal weg
Ohne dieses Engagement öffentlicher Geldgeber wären viele Caritas-Projekte nicht denkbar gewesen. Falsch wäre allerdings der Eindruck, dass die Höhe der eingesetzten Gelder bereits eine erfolgreiche Entwicklung sicherstellen würde. Vielmehr ist eine wichtige Lehre der vergangenen Jahre, dass das "Wie" genau so wichtig ist wie das "Wieviel". Es kommt weniger auf den schnell vorzeigbaren Erfolg an als auf die Nachhaltigkeit und Wirksamkeit. Beispielhaft zeigte sich das an einer Gesundheitsstation, die die Caritas im afghanischen Hochland gebaut hatte und im Jahr 2007 an die Regierung übergeben konnte.
Der Start war gut: Endlich mussten Schwangere und Kranke keine Dreitagestouren mehr unternehmen, um medizinische Hilfe zu bekommen. Auch für den Betrieb war im Vorfeld eine Lösung gefunden worden: Für die laufenden Kosten kamen die Weltbank und USAID (Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung) auf, für die Verwaltung war eine von der Zentralregierung beauftragte afghanische Organisation verantwortlich. Nach zwei Jahren jedoch hatte der Ruf der Station stark gelitten: Gehälter wurden nicht gezahlt, Personal kündigte. Es fehlte an Ärzten, Krankenpflegern und Hebammen. Lebensnotwendige Medikamente waren oft nicht vorrätig. Die beauftragte Hilfsorganisation erwies sich als unzuverlässig, genoss aber Rückhalt der Mittelsmänner in Kabul. Nur vereinter, kontinuierlicher Druck durch das Caritas-Büro in Kabul, die afghanischen Caritas-Partner vor Ort, das Krankenhaus-Personal und einige Regionalpolitiker machte schließlich die Neuvergabe möglich. Heute stellt die Gesundheitsstation unter neuer Leitung die Versorgung zur Zufriedenheit der Lokalbevölkerung wieder sicher.
Dauerhafte Entwicklungserfolge, das zeigen solche Beispiele, sind nur zu erzielen, wenn eine konstante Präsenz im Land sichergestellt ist. Das bestätigen auch Kenner des Landes wie Jacques Dailloux, der seit fünf Jahren für den Nothilfefonds der Europäischen Kommission (Echo) in Afghanistan tätig ist. Er beklagt: "Es ist eine afghanische Krankheit, dass das Rad hier in der Vergangenheit immer wieder neu erfunden wurde, weil kaum jemand länger als ein, zwei Jahre im Land bleibt. Ständig sitze ich in Abstimmungsrunden und die Hälfte der Teilnehmer sagt erst mal: Ich bin hier neu, könnt ihr mir sagen, worum es geht?" Er bedauert, dass den Afghanen in der Vergangenheit zu viel aus der Hand genommen worden sei. Unabhängigkeit und Eigeninitiative habe deshalb auf afghanischer Seite über die Jahre merklich gelitten.
Afghanische Partner sind tragende Säulen für Projekte
Um solche Tendenzen zu vermeiden, sind die afghanischen Partnerorganisationen, die für die Umsetzung der Projekte zuständig sind, tragende Säule des humanitären Engagements der Caritas in Afghanistan. Dahinter steht die grundsätzliche Überzeugung, dass es auf allen Ebenen mehr afghanische Eigenverantwortung und Führung braucht. Die westliche Hilfe darf nur als (kultursensible) Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden. Diese "Afghanisierung" wird so konsequent wie möglich betrieben, das eigene Personal und der eigene administrative Apparat hingegen so schlank wie möglich gehalten. Dreh- und Angelpunkt der Hilfe sind die dörflichen Gemeinschaften, mit deren lokalen Vertretern die Projekte in enger Abstimmung vorangetrieben werden.
Wie der Fortschrittsbericht der Bundesregierung eindrücklich zeigt, ist die Not nach wie vor, trotz Erfolgen in den Bereichen Bildung und Gesundheit, immens. Jeder zweite Afghane lebt in absoluter Armut, also von weniger als einem Euro am Tag. Zwei Drittel sind von Nahrungsunsicherheit bedroht. Das sind alarmierende Indikatoren. Das Land steht zudem vor ungeheuren neuen sozialen Herausforderungen. Für die Landflucht, die Verslumung der Städte, die auseinanderfallenden Familien und den Drogenmissbrauch müssen Lösungen gefunden werden. Zudem wächst Afghanistan jedes Jahr um eine Million Menschen. Viele Erfolge werden allein durch diese Bevölkerungsexplosion wieder aufgezehrt. Aber auch der stetig steigende Drogenmissbrauch bereitet große Sorgen: Eine Million Afghanen sind drogenabhängig; das sind acht Prozent der Bevölkerung. Aber pro Jahr stehen nur für rund 10.000 Menschen Therapieplätze zur Verfügung.
Dieser außerordentliche Hilfebedarf ist eine Verpflichtung, den afghanischen Menschen weiter zur Seite zu stehen. Insbesondere für ein Hilfswerk wie Caritas, das bereits zu Zeiten des Bürgerkrieges sowie während der Taliban-Herrschaft und dem vergangenen Jahrzehnt der Demokratisierung präsent war und auch weiterhin bleiben wird.
Die Finanzierung der zukünftigen Hilfe ist noch fraglich
Im Fokus werden dabei in den nächsten Jahren die Hilfe für Drogenkranke und der Kampf gegen den Hunger stehen. Prognosen deuten darauf hin, dass diese Projekte auch nach 2014 in einem schwierigen Umfeld zwischen Krieg und Frieden umgesetzt werden müssen. Zu hoffen ist, dass das Caritas-Projektgebiet im afghanischen Hochland weiter friedlich bleibt und die Kämpfe aus der benachbarten Unruhe-Region Helmand und Urusgan nicht übergreifen. Andere Regionen wie der an Pakistan angrenzende Osten hingegen werden vermutlich für humanitäre Hilfe kaum noch zu erreichen sein.
Genauso wichtig wie die Sicherheit wird aber vermutlich die Frage werden, ob diese Hilfe noch zu finanzieren sein wird. Bislang gibt es nur bis 2016 Zusagen von öffentlichen Geldgebern. Wenn die Bundesregierung allerdings ihre Aussage im aktuellen Fortschrittsbericht ernst nimmt, dass ein dauerhafter Frieden militärisch nicht zu erreichen ist, führt an einem dauerhaften zivilen Engagement Deutschlands am Hindukusch kein Weg vorbei. Mit derart alarmierenden Sozialindikatoren, wie sie Afghanistan derzeit aufweist, kann kein Land ein politisch stabiles Gemeinwesen aufbauen.
Caritas und Verdi können gemeinsam viel erreichen
Einbindung statt Konfrontation eröffnet Chancen
Auf die Mitarbeiterinnen kommt es an!
Die Position der Dienstnehmer ist deutlich zu stärken
Führung und Aufsicht wirksam aufstellen
…und wieder nur abgestellt
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