Die Position der Dienstnehmer ist deutlich zu stärken
„Gemeinschaft“ ist das Schlüsselwort. Daran will Kirche gemessen werden. So steht in der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GO), die die Grundlage aller privatrechtlichen Arbeitsverträge im Bereich der katholischen Kirche in Deutschland bildet, sowie in der Erklärung der Deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst: Der Berufung aller Menschen zu der Gemeinschaft mit Gott und untereinander zu dienen, sei der Auftrag der Kirche. In lebendigen Gemeinschaften bemühe man sich darum.
Dies ist die ideologische Begründung, warum die christlichen Kirchen in Deutschland in der Regel von der sonst in Deutschland üblichen Tariffindung im sogenannten Zweiten Weg (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften schließen Tarifverträge) abweichen und den sogenannten Dritten Weg (Arbeitsrechtliche Kommissionen finden ohne Gewerkschaften Lösungen) anwenden. Der Dritte Weg profitiert von den Auseinandersetzungen im Zweiten Weg. Die Verhandlungen in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen basieren auf den Ergebnissen der Verhandlungen und gegebenenfalls Streitereien zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften im „normalen“ Zweiten Weg.
Es kommt hinzu, dass Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände wie der Deutsche Caritasverband (DCV) bei Konflikten mit einzelnen Mitarbeitenden stets am längeren Hebel sitzen. Dies gilt sowohl für den weltlichen als auch den kirchlichen Raum. Daher haben die Väter der Verfassung an herausgehobener Stelle ein Grundrecht formuliert (Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz), das „für jedermann und für alle Berufe“ das Recht gewährleistet, „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“. Gemeint sind hier unter anderem die Gewerkschaften. Im Weiteren sind in Artikel 9 GG Arbeitskämpfe erwähnt, die als Ausgestaltung des Rechts, Vereinigungen zu bilden, ausdrücklich geschützt sind.
Diesem verfassungsrechtlichen Umstand trägt auch die GO Rechnung. So können sich die Mitarbeiter(innen) des kirchlichen Dienstes durchaus in Ausübung ihrer Koalitionsfreiheit in Vereinigungen – sprich Gewerkschaften – zusammenschließen, diesen beitreten und sich in ihnen betätigen. Sie sind berechtigt, innerhalb der Einrichtungen für den Beitritt zu diesen Koalitionen zu werben, über deren Aufgaben und Tätigkeiten zu informieren sowie Koalitions- (sprich Gewerkschafts-)Mitglieder bei der zulässigen Koalitionsbetätigung in der Einrichtung zu unterstützen. Arbeitskämpfe sind bislang in kirchlichen Einrichtungen nicht zulässig.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun in zwei Fällen mit seinen Urteilen vom 20. November 2012 Streiks in kirchlichen Einrichtungen zugelassen.1 Verdi sowie der Marburger Bund als auch die Beklagten haben infolge dieser Urteile, obwohl sie in den beklagten Fällen jeweils formal recht bekommen hatten, Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil die Versagung des Streikrechts in kirchlichen Einrichtungen ihrer Meinung nach grundsätzlich gegen Artikel 9 Absatz 3 GG verstößt und aufgehoben werden muss.
Dienstgemeinschaft auf Augenhöhe ist gefordert
Das BAG hat in den oben genannten Urteilen zudem verfügt, dass Arbeitskämpfe in kirchlichen Einrichtungen nur dann von den Kirchen untersagt werden können, wenn die Gewerkschaften organisatorisch in die Entscheidungsfindung der Arbeitsrechtlichen Kommissionen eingebunden werden.
Diese längst überfällige Klarstellung muss nun in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen in die Tat umgesetzt werden. Hier warten die Gewerkschaften gespannt auf die Vorschläge der Kirchen. Der „Geist“ dieser höchstrichterlichen Vorgabe weist in Richtung einer Dienstgemeinschaft auf Augenhöhe. Die von den im kirchlichen Dienst beschäftigten Mitarbeiter(inne)n gewählten Dienstnehmer-Gemeinschaften (sprich die Gewerkschaften) müssen angemessen bei der Tariffindung beteiligt werden. Innerhalb der kirchlichen Dienstgemeinschaft müssen die Dienstnehmer mit „gleich langen Spießen“ ausgestattet werden.
Die Dienstgebervertreter sind längst in einer Dienstgeber-Gemeinschaft unter Leitung des DCV-Vorstandes organisiert und haben daher bereits seit langem einen institutionellen Vorteil. Es fehlt allerdings der logische und grundgesetzlich vorgesehene Gegenspieler, die Gewerkschaften. Von einer „Gemeinschaft“ mit Akteuren auf Augenhöhe kann unter solchen Bedingungen wohl kaum mehr die Rede sein.
Der Duktus der Empfehlungen des DCV ist eher abwehrend. Viele der Empfehlungen sind nicht per se falsch. Sie orientieren sich an der Rechtsprechung und der Kommentierung zum Betriebsverfassungsgesetz. So können Dienstgeber einem betriebsfremden Gewerkschaftsbeauftragten eine Begleitung an die Seite stellen, um das Hausrecht sicherzustellen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Begleitperson bei jedem Gespräch mit den Mitarbeiter(inne)n anwesend sein darf, um alles mitzuhören. Juristisch falsch ist die Aussage, dass eine Gewerkschaft alles zu unterlassen habe, was in irgendeiner Form den Organisationsablauf in der Einrichtung störe.
Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Caritas überhaupt ernsthaft gewillt ist, die Vorgabe aus den jüngsten BAG-Urteilen umzusetzen, ob sie Dienstgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes und der BAG-Rechtsprechung überhaupt leben will? Dies bedeutete allerdings, dass die ideologische Begründung des Dritten Weges über die gelebte Gemeinschaft von den Dienstgebern selektiv interpretiert würde. Eine echte Dienstgemeinschaft zwischen Dienstgeber- und Dienstnehmervertretern auf Augenhöhe wäre nur dann gewährleistet, wenn die Dienstnehmervertreter über eine strukturierte gewerkschaftliche Unterstützung verfügten. Die Dienstgeberseite hat eben dieses „Backoffice“, also eine professionelle, permanente Unterstützung im Büro des Vorstandes des DCV.
Kirche muss sich, wenn sie sich in weltlichen Gefilden bewegt – Arbeitsvertragsgestaltung und Tariffindung gehören zweifelsfrei dort hinein –, an weltliche Regeln, Gesetze und Gesetzmäßigkeiten halten. Die jüngsten Urteile des Bundesarbeitsgerichtes haben den Prozess der Verweltlichung beschleunigt. Es ist an der Zeit, dass die Kirchen mit konstruktiven Vorschlägen für eine künftige Zusammenarbeit auf die Gewerkschaften zugehen. Dies wäre im Sinne des Grundgesetzes (Artikel 9 Absatz 3 GG) und im Sinne der in der Grundordnung propagierten gelebten Dienstgemeinschaft.
DCV und Gewerkschaften sollten zusammen überlegen
Die Konsequenzen aus dem BAG-Urteil werden in kirchlichen Gremien und Kreisen intensiv diskutiert. Es wäre ein Zeichen der Einsicht, wenn der Verband der Diözesen Deutschlands oder der DCV2 bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Gewerkschaften der Mitarbeiter(innen) in ihre Überlegungen einbezögen. Die Gewerkschaften verfügen zweifellos über größere Erfahrungen in der institutionalisierten Tariffindung und den dafür notwendigen Strukturen. Der Marburger Bund steht dazu gerne zur Verfügung.
Die Mitarbeiter(innen) in den kirchlichen Gemeinschaften können bis dahin Zeichen setzen und Zwischenschritte gehen. Sie sollten ihre Gewerkschaften in die Krankenhäuser und die weiteren Einrichtungen einladen. Sie sollten sich über ihre kollektiven Arbeitnehmerrechte informieren lassen. Es macht für kirchliche Mitarbeiter(innen) schon heute Sinn, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein – viele sind es bereits.
Anmerkungen
1. Vgl. Deutsche Bischofskonferenz: Erklärung der Deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst, VI Koalitionsfreiheit kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 11. Auflage, Bonn, 2008.
2. Vgl. Vorstand des DCV: Anmerkungen zu der Argumentationshilfe bei gewerkschaftlicher Betätigung in der Caritas. In: neue caritas Heft 14/2013, S. 34 ff.
Caritas und Verdi können gemeinsam viel erreichen
Einbindung statt Konfrontation eröffnet Chancen
Auf die Mitarbeiterinnen kommt es an!
Das Militär geht, die Caritas bleibt
Führung und Aufsicht wirksam aufstellen
…und wieder nur abgestellt
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